ProSiebenSat1-Projekt hakt

5 Kardinalfehler beim IT-Outsourcing

05.07.2012 von Alexander Freimark
Vor drei Jahren lagerte ProSiebenSat.1 die komplette IT an IBM aus – es folgten Pleiten, Pech und Pannen. CIO Andreas König sieht die Schuld jedoch nicht nur beim Dienstleister. Im Rückblick erkennt er fünf Fehler.
Andreas König, CIO von ProSiebenSat.1
Foto: ProSiebenSat.1

Mehrere Wochen sollte Andreas König auf einen neuen Server warten. "Bei GoDaddy im Internet dauert das fünf Minuten", sagt der CIO von ProSiebenSat.1. Zwar hinke der Vergleich allein wegen der unterschiedlichen Service-Level, aber er zeigt, welche Erfahrungen der TV-Konzern nach einem Komplett-Outsourcing machen musste: "Es gab Qualitätsprobleme bei der Geschwindigkeit", resümiert König sachlich. Seit einem Jahr stellt er die Partnerschaft mit dem IT-Dienstleister deshalb auf eine neue Basis.

2008 hatte sich IBM als Generalunternehmer die komplette IT von den Netzen über die Infrastruktur und das Software-Engineering bis zum Projekt-Management und zur Governance geschnappt. Damals oberstes Ziel von ProSiebenSat.1: die IT-Kosten senken. Der Plan ging jedoch nicht ganz auf: "Bei jeder Transition nach dem Outsourcing kommt es zu einem temporären Einbruch der Servicequalität", sagt König. "Wenn in einer solchen Zeit zusätzlich neue Anforderungen an die IT gestellt werden, die nicht im Vertrag fixiert sind, kann es sein, dass man aus dieser Phase nicht mehr herauskommt und der temporäre Einbruch zum Dauerzustand wird."

ProSiebenSat.1 Studio
Foto: ProSiebenSat.1 Media AG

Beispiel Netzwerke - angesichts der hohen Anforderungen durch den Sendebetrieb musste zwangsläufig Support vor Ort geleistet werden, was der Dienstleister nicht kostendeckend abbilden konnte. Folglich dauerte die Fehlerbehebung länger als erwartet. Und das Software-Engineering für Online-Anwendungen mittels agiler Methoden vertrug sich nicht mit dem Overhead für das Projekt-Management der Entwickler in Indien. Auch gab es zum Abschluss des Vertrags noch keinen CIO bei ProSiebenSat.1 - die Position wurde erst vor einem Jahr mit König besetzt.

Der ehemalige Accenture-Mann ging auch gleich mit Lösungen für die größten Probleme an den Start - und musste erkennen, dass dieser "Reflex im Projektgeschäft, die Symptome zu behandeln", nicht ausreicht: "Wir haben versucht, die Liegestühle an Deck der Titanic neu anzuordnen." Radikale Änderungen mussten her, sofern sie im vertraglich vereinbarten Rahmen möglich waren. "Wir haben inzwischen nach intensiven und sehr offenen Diskussionen mit IBM ein gemeinsames Bild, wo und warum bei uns Fehlentwicklungen im IT-Service entstehen konnten." In fünf Kardinalfehler fasst König seine Lessons Learned zusammen.

Rundum sorglos gibt es nicht

Sendezentrale von ProSiebenSat.1
Foto: ProSiebenSat.1 Media AG

"Fabrik bestellen und Boutique abrufen, das kann nicht funktionieren", sagt der CIO. Wenn die Kosten der Hauptgrund für das Outsourcing sind, kommen beim Provider Standard-Produkte und Standard-Services zum Einsatz. "Maßgeschneiderte Lösungen darf man nicht im Basispaket erwarten - dafür haben die Dienstleister ja den Change Request erfunden", meint König. Werde nach einer bestimmten Laufzeit etwa das flexible Business-Wachstum wichtiger als der Kostenaspekt, steige zwangsläufig der Aufwand. Spannungen im Verhältnis von Auftraggeber und Auftragnehmer sind programmiert und beileibe nicht überraschend. "Die Schuld daran muss man beim Kunden suchen, wenn dieser unterwegs die Richtung wechselt."

Unternehmen

ProSiebenSat.1 Media AG

Hauptsitz

München/Unterföhring

Umsatz

3 Milliarden Euro (2010)

Ebit

669,6 Millionen Euro (2010)

Mitarbeiter

4749 (vollzeitäquivalente Stellen am 31.12.2010)

Ranking

Platz 220 der umsatzstärksten Unternehmen in
Deutschland (siehe cio.de/top500)

My mess for less

"Wenn Sie parallel zur Transition noch Ihre Hausaufgaben im Bereich Configuration-Management oder beim Re-Engineering der Architektur machen müssen, werden Sie scheitern." Nicht der Dienstleister ist zuständig, im Zuge des Übergangs alles zu ordnen, zu optimieren und zu dokumentieren, um Kostenvorteile zu erzielen. "Die Transition eines aufgeräumten Systems ist schon schwierig genug", sagt CIO König. Zwar könne man den Dienstleister auf Projektbasis beauftragen, die Verfügbarkeit der Applikationen zu verbessern - "das frisst aber einen Teil der Ersparnis auf". Der Provider übernimmt den Zustand, den er vorfindet, und optimiert ihn - nach eigenen Kostengesichtspunkten.

IT-Kennzahlen

IT - Mitarbeiter

IT+Operations circa 350 inhouse

IT-Budget

circa 70 Millionen Euro

CIO

Andreas König

IT-Benutzer

nahezu alle Mitarbeiter

Papier ist geduldig

"Aus 20 Seiten mit harten Anforderungen werden in den Verhandlungen schließlich 1000 Seiten rechtlich sicherer Text." Selbst wer gut vorbereitet und mit klar strukturierten Anforderungen an Service-Levels in die Diskussion einsteigt, läuft Gefahr, dass seine Ziele verwässert werden. "Die Erfahrungen der Gegenseite mit Verhandlungen darf man als Kunde nicht unterschätzen", warnt CIO König. Gerade bei langer Vertragslaufzeit stoßen juristische Konvolute, in denen vermeintlich alles geregelt ist, rasch an ihre Grenzen. Schließlich ändern sich Technologien, Volumina und Anforderungen grundsätzlich immer schneller als angenommen.

"Das Setup der Rollen - wer tut was - ist daher wesentlich wichtiger als der Versuch, im Voraus alles für die Ewigkeit festzuschreiben." Im Idealfall gibt es keinen Vertrag, sondern lediglich ein Agreement über die partnerschaftliche Zusammenarbeit. "Für diese Flexibilität muss man natürlich mehr zahlen, denn das ist der Maßanzug und nicht mehr Commodity."

Keine besonderen Vorkommnisse

Foto: Perrush, Fotolia.de

"Das Erwartungs-Management für die Nutzer entscheidet über den Erfolg, und das ist die Aufgabe des Kunden." In den meisten Inhouse-IT-Organisationen hilft Joe, der Kollege für IT-Probleme, unbürokratisch und vor allem sofort. Sobald jemand mit einem freundlichen "Hey, Joe!" in sein Büro kommt, ist das Problem auch schon gelöst.

Nach der Transition ist häufig die erste Erkenntnis: Joe ist nicht mehr da. Seine Stelle habe ein "strukturierter Zugang zum Helpdesk" übernommen, berichtet König. "Viele Nutzer nehmen das Formular oder das Callcenter als Qualitätseinbuße wahr - die Bürokratie hält Einzug, und der eigene Aufwand steigt."

Mit jedem Problem nehmen die Zweifel zu, es folgt die klassische Abwärtsspirale: "Das kann der Provider kaum noch retten, auch nicht mit Qualitäts-initiativen", sagt König. Daher müsse das Top-Management des Auftraggebers frühzeitig die Gründe und die Folgen des Outsourcings für das Unternehmen, die Abteilung und die Mitarbeiter kommunizieren. "Viele Manager, speziell mit technischem Hintergrund, unterschätzen diese Aufgabe."

Die Zurückgebliebenen

"Wer Governance, Projekt-Management, Enterprise Architecture und die Kontrolle aus der Hand gibt, ist verloren." Viele Retained Organisations machen heute nur Vendor-Management, berichtet CIO König aus der Praxis - einmal im Monat den Provider-Report mit seinen KPIs abgehakt, ohne selbst zu messen oder aktiv zu steuern.

Statt der typischen Outsourcing-Aufteilung "Fünf Prozent intern, 95 Prozent extern" plädiert der IT-Manager für 30 Prozent interne Ressourcen, denn "was passiert, wenn es in der Retained Organisation keine Feuerwehrmänner mehr gibt, die genug Wissen haben und ausreichend vernetzt sind, um im Notfall etwas bewegen zu können?" Um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können, gehören Governance, Projekt-Management, fachliches Know-how und geschäftliche Kenntnisse in die interne IT. "Wenn sich die IT im Unternehmen als professionelle Organisation präsentieren möchte, muss sie geschäftliche Kompetenz demonstrieren können", sagt König. "Sonst ist der CIO kein Kanzler, sondern Bundespräsident."

Auch bei ProSiebenSat.1 hat man aus Königs Lesson Learned gelernt. In einigen Teilen müssen sich die Vertragspartner zusammenraufen, damit der Deal für beide Seiten erfolgreich verlaufen kann. In gut funktionierenden Bereichen soll IBM mehr Geschäft machen, während etwa im Netzwerk und beim Web-Hosting die Verantwortung an ProSiebenSat.1 rückübertragen wurde.

Ein Rollentausch, der nicht aus dem Rahmen fällt. "Bis Ende des Jahres sollten wir einen Zielzustand gefunden haben, der uns und dem Provider gefällt", hofft König. "Alle Eier in einen Korb" - das wird es unter König nicht mehr geben. Der Manager stärkt verschiedene Partner, flexible Beschaffungsverfahren und vor allem mehr Eigenleistung. "Ein CIO muss das Zusammenspiel dirigieren, das kann einem kein Generalunternehmer abnehmen. Der CIO alter Schule ist vielleicht ein Auslaufmodell, die moderne Inhouse-IT sicher nicht."

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO. (mhr)