Digitale Mythen entlarven

3 Tipps für den Umgang mit digitalen Themen

Kommentar  von Juliane Waack
Der Digitalisierungsdiskurs ist häufig einseitig. Dabei hilft der ganzheitliche Blick auf moderne Technologien und Geschäftsmodelle, um sie auch produktiv umzusetzen.

Fakt oder Fiktion? Digitalisierung im Diskurs

Der Beitrag "Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt" im Schweizer "Das Magazin" ist ein Paradebeispiel des aktuellen Diskurses rund um die Digitalisierung. Anstatt die Möglichkeiten aber auch Grenzen der Datenanalysen im politischen und werblichen Umfeld aufzuzeigen, wurde einseitig über eine Analyse-Methode berichtet, die am Ende maßgeblich über die US-Wahl entschieden haben soll.

Der "Bombe"-Beitrag von Das Magazin ist ein Musterbeispiel für Schwarz-weiß-Denken im Umgang mit Digitalisierungsthemen.

Dabei wurden jedoch keine unabhängigen Experten, sondern der Erfinder der Methode sowie das Unternehmen, das mit ihr Geld verdient, befragt. Und die erklären natürlich, dass die Methode nicht nur jeden einzelnen Menschen individuell erfassen kann (und zwar besser als Freunde oder Familie), sondern auch eine immense Wirkkraft auf Wahlergebnisse hat.

Merkwürdig nur, dass der Selbsttest der Methode meistens vor allem unfreiwillig komische (und falsche) Ergebnisse mit sich bringt und diverse Kunden des Unternehmens den Vertrag kündigten, weil nicht eingehalten werden konnte, was versprochen wurde. Ein ausgewogener Journalismus hätte dies ruhig erwähnen können, im "Bombe-Beitrag" liest man jedoch nichts davon.

Digitale Trends: Panikmache vs. Glorifizierung

Wenn es um die Digitalisierung geht, sitzt der Diskurs selten in der goldenen Mitte. Ob nun die Big Data-Bombe eingeschlagen hat oder Sigmar Gabriel erklärt, dass Datenschutz den digitalen Wandel aufhält, es scheint nicht möglich zu sein, die Digitalisierung ganzheitlich in ihren Schwächen, Stärken und Buzzwords zu erfassen.

So wird lieber von den Gefahren durch Hacker, NSA und Hasskommentare auf der einen Seite und den magischen Möglichkeiten von Datenanalysen, digitalen Systemen und Apps auf der anderen Seite berichtet. Der unbedarfte Leser muss dann entscheiden, auf welche Seite er sich schlagen will.

Was also kann man tun, um sich im Schwarz-Weiß-Denken des digitalen Diskurses zurecht zu finden?

1. Studien kritisch lesen

Ich persönlich bin ein großer Fan von Studienergebnissen, da sie oft eine Übersicht über Stimmungen und Tendenzen sowie Probleme und Herausforderungen in Unternehmen bzw. bei Nutzern bieten. Auch wenn es mir nicht immer gelingt, ich versuche häufiger, die Originalstudie zu lesen und so die oft handverlesenen Ergebnisse in den richtigen Kontext zu setzen.

Bei Studien und Ähnlichem ist eine gesunde Skepsis nicht fehl am Platze.
Foto: Shutterstock - Gustavo Frazao

So kann die Botschaft einer IDG-Studie aus dem Jahr 2016, dass knapp zwei Drittel aller Unternehmen Cloud-Anwendungen nutzen, als Zeichen der hinkenden deutschen Attitüde gewertet werden. Schaut man sich dann jedoch an, dass es im Vorjahr rund ein Drittel war, kann man auch von einem überraschenden Anstieg reden und es als Erfolg buchen.

Wichtig ist, dass man sich mit der Studie und ihren Ergebnissen auseinandersetzt. Selbst ein kompetentes Unternehmen wie Crisp Research kann beispielsweise die falschen Schlüsse ziehen, wenn es bemängelt, dass deutsche Familienunternehmen kaum das Internet der Dinge für kundennahe Prozesse in Betracht ziehen. Dass es aktuell kaum real existierende Mittel gibt, dies zu tun, wird nicht berücksichtigt, obwohl es grundlegend für eine derartige Aussage ist.

2. Offen sein, ohne naiv zu sein

Der "Bombe"-Artikel hat meiner Meinung nach gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Auf der einen Seite wird der individuelle Leser sich plötzlich sehr gläsern und darin bestätigt fühlen, dass diese Datensammelwut und Digitalisierung nie etwas Gutes mit sich bringt. Auf der anderen Seite wird dem motivierten Unternehmer oder Marketer ein völlig unrealistisches Bild von den Möglichkeiten der Datenanalysen vermittelt.

Ähnliches können wir bereits seit einigen Jahren am Beispiel der Cloud beobachten, wo jeder Hacker-Angriff der unsicheren Wolke zugeschrieben wird, während Evangelisten sie als das einzig Wahre für quasi jeden Zweck sehen.

Das liegt sicher auch daran, dass sich Journalisten und Experten selten in der Mitte treffen. Während viele Journalisten besonders gerne kritisch über die modernen Entwicklungen berichten wollen, arbeiten die Experten meistens unmittelbar in der Branche, sei es als Berater, Investoren oder Geschäftsführer. Nur wenige trauen sich da, allzu kritisch über Themen zu sprechen und zu schreiben, mit denen sie ihr Brot verdienen.

Die goldene Mitte ist derweil nicht unmöglich. Ich selbst sehe mich als eine der Digitalisierung gegenüber aufgeschlossene und sehr wohl begeisterungsfähige Person, die jedoch aus persönlichen Erfahrungen wie auch der tagtäglichen Recherche weiß, dass die Tücken der Technik nicht durch die Cloud hinweggezaubert werden können.

Für mich ist es auch als Redakteurin eines Beratungsunternehmens kein Widerspruch, kritisch über die Möglichkeiten der Digitalisierung zu schreiben, immerhin möchte ich, dass Leser und potenzielle Kunden ein realistisches Bild von dem haben, was ihnen digitale Technologien bringen können. Eine gesunde Skepsis ist daher nicht technikfeindlich, solange sie nicht in einer Totalverweigerung umschlägt.

3. Prognosen wahrnehmen, nicht ernst nehmen

Während ich Studien und Use Cases gerne lese, reagiere ich geradezu allergisch auf Prognosen, obwohl diese einen Großteil des Diskurses ausmachen. Ich will der Schätzung gewisser Trends (und oft Budgets und Umsätze) gar nicht ihren Mehrwert absprechen, doch die meisten Prognosen basieren auf nicht gerade vertrauenswürdigen Berechnungen und verkaufen vielmehr eine Idealversion anstelle der wahrscheinlichen Zukunft.

Prognosen: Der Blick in die Glaskugel für Ungläubige
Foto: Shutterstock - Everett Collection

Tauchen Prognosen (oft so voller Zahlen, dass man sie gerne mit Studien verwechselt) in Beiträgen auf, kann man diese gerne vermerken, sollte sie aber nicht als Tatsachenberichte behandeln.

Es ist eine einfache Regel im Bereich der Predictive Analytics (vorhersagende Analysen): je mehr Variablen darin eine Rolle spielen und je weiter voraus sie in die Zukunft blicken, desto ungenauer werden die Aussagen. Wer den Wetterbericht für die nächsten vier Wochen einmal auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft hat, wird wissen, wovon ich rede. (mb)