2007: Integrationssoftware macht Firmen durchsichtiger

28.09.2007
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die Geschäfte mit Integrationslösungen boomen. Vor allem Werkzeuge wie der Enterprise Service Bus (ESB) und Business Process Management (BPM) treiben den Markt an.

Die Zeiten, in denen die Geschäftsverantwortlichen nur widerwillig ihre Börsen für Integrationsvorhaben öffneten, scheinen endgültig vorbei. Vorurteile wie diese teuren und aufwändigen Projekte dienten nur dazu, ineffiziente und unordentliche Prozesse innerhalb der IT aufzuräumen, und brächten kein Geld, war in der Vergangenheit immer wieder aus den Vorstandsetagen zu hören. Viele Manager wollten nicht glauben, dass flexible, schnell anpassbare und integrierte Prozesse das eigene Geschäft beflügeln könnten.

Integrationssoftware - Marktanteile in Deutschland nach Umsatz

Hersteller

Marktanteil in Prozent

1. IBM

32,6

2. Bea Systems

8,9

3. Oracle

5,4

4. Fujitsu-Siemens

4,6

5. Microsoft

4,5

6. Abaxx

3,0

7. Seeburger

3,0

8. Tibco Software

2,3

9. Atos Origin

2,1

10. Crossgate

1,9

Das hat sich mittlerweile geändert. Regulatorische Vorgaben wie Basel II und Sarbanes-Oxley sowie die immer stärkere Prozessverflechtung firmenintern wie auch zwischen den Unternehmen haben die Verantwortlichen zum Umdenken gezwungen (siehe auch: Alles, was Recht ist). Die Firmengrenzen werden durchlässiger, sagt Gartner-Analyst Massimo Pezzini. Informationen, Güter und Services fließen ständig hin und her. Die IT muss dieses System stützen und entsprechend flexibel sein, um Veränderungen schnell umsetzen zu können. Dem stehen jedoch meist alte und vor allem starre, schwerfällige Legacy-Anwendungen im Wege, die sich kaum modifizieren lassen (siehe auch: Der Mainframe: theoretisch das Maß aller Dinge, aber …).

Pezzini zufolge wird die Integration verschiedener Applikationen zunehmend schwieriger, weil die Anforderungen der Unternehmen steigen. Heute gilt es nicht nur, Anwendungen intern zu verknüpfen, sondern auch Applikationen außerhalb der Firmengrenzen mit einzubinden. Auch die Frequenz der Interaktion zwischen den einzelnen Softwaresystemen steigt ständig. Damit wächst der Bedarf an Integration.

Das spiegelt sich auch in den aktuellen Marktzahlen wider. Nachdem das Geschäft mit Integrationslösungen hierzulande in den Jahren 2003 und 2004 noch bei knapp 352 Millionen Dollar stagnierte, legte der Markt in den darauf folgenden Jahren deutlich zu. 2005 verkauften die Softwareanbieter Lizenzen im Wert von 443 Millionen Dollar in Deutschland. Das bedeutete ein Plus von 26 Prozent. Bis 2006 stiegen die Lizenzumsätze um weitere 37 Prozent auf knapp 608 Millionen Dollar.

Der Integrationsmarkt bleibt ständig in Bewegung

Fabrizio Biscotti Analyst bei Gartner: "Der Enterprise Service Bus stellt den am schnellsten wachsenden Softwaremarkt überhaupt dar."
Fabrizio Biscotti Analyst bei Gartner: "Der Enterprise Service Bus stellt den am schnellsten wachsenden Softwaremarkt überhaupt dar."

Doch nicht nur die Umsätze geraten in Bewegung, auch der Markt an sich verändert sich ständig. Schon in den vergangenen Jahren war es eine Herausforderung für die Analysten, dieses Segment im Blick zu behalten. Teilweise sind Integrationslösungen in Applikationspaketen beziehungsweise Betriebssystem-Umgebungen eingebunden. Dazu kommt, dass die Hersteller verschiedene Lösungen unterschiedlich paketieren. Das macht es schwierig, den Markt exakt abzugrenzen.

Gartner fasst das Integrationsgeschäft seit diesem Jahr unter dem Kürzel PPMW zusammen (Portal, Process and Middleware). Diese Bezeichnung löst den Begriff AIM ab, der für "Application Integration and Middleware" stand (siehe auch: Gartner meldet gesundes Wachstum im PPMW-Markt). Darunter fassten die Analysten von Gartner Anwendungen wie beispielsweise Application Server und Werkzeuge für Enterprise Application Integration (EAI) sowie Middleware und Portale zusammen. "Wir zählen nun auch den Bereich Business Process Management" (BPM) dazu", erklärt Gartner-Analyst Fabrizio Biscotti die neue Marktbezeichnung. Aufmerksamkeit auf Prozesse Kunden die sich heute mit Integrations- oder SOA-Projekten beschäftigen, kümmerten sich nicht nur um Middleware oder Portale. Sie richteten mehr und mehr ihre Aufmerksamkeit auf die Prozesse. Während sich früher Integration meist auf das Zusammenspiel von Produkten beschränkte, denken die Anwender heute verstärkt an die Integration von Abläufen. Damit benötigten sie auch ein breiter angelegtes Produktportfolio. Die Anbieter hätten diesen Trend erkannt und ihr Angebot entsprechend erweitert, um alle nachgefragten Komponenten liefern zu können. Mit Schlagworten wie Schnelligkeit, Flexibilität und Transparenz der Prozesse werben sie für ihre Software und Services.

Alle fragen nach dem Enterprise Service Bus

Neben dem Thema BPM registriert Biscotti eine starke Nachfrage nach ESB-Produkten: "Das ist derzeit das am schnellsten wachsende Segment im gesamten Softwaremarkt." Gartner zufolgen legen die Geschäfte mit ESB-Produkten jährlich um rund 40 Prozent zu. Dieses Wachstum werde in den kommenden fünf Jahren nicht nachlassen. Während sich zuletzt vor allem kleinere Spezialhersteller als ESB-Anbieter profiliert haben, schreiben sich aktuell auch die Generalanbieter das Thema auf die Fahnen. "Die Großen versuchen, auf den ESB-Wagen aufzuspringen sei es durch Übernahmen oder dadurch, dass sie selbst entsprechende Entwicklungen vorantreiben beziehungsweise einfach einen Teil ihres Integrationsportfolios als ESB deklarieren."

Im deutschen Integrationsgeschäft konnten jedoch gerade die kleineren Anbieter im vergangenen Jahr ihre Marktanteile ausbauen. Sicherten sich die zehn führenden Hersteller 2005 noch 87,5 Prozent des gesamten Geschäfts, entfielen ein Jahr später nur noch 68,3 Prozent auf die Top Ten. Marktführer bleibt unangefochten IBM. Der Konzern konnte hierzulande seine Lizenzumsätze mit Integrationslösungen 2006 im Vergleich zum Vorjahr um knapp zehn Prozent auf 198 Millionen Dollar erhöhen. Allerdings reduzierte sich Big Blues Marktanteil von 40,8 auf 32,6 Prozent.

IT-Budgets unter Druck

Gartner zufolge bleiben die IT-Budgets der Unternehmen weiter unter Druck. Die Projekte werden im Allgemeinen kleiner. Die Anwender geben weniger für neue Lizenzen aus. Demgegenüber steigen jedoch die Ausgaben für Wartung und mit Software zusammenhängende Services. In den IT-Abteilungen verschiebt sich der Fokus weg vom technischen Betrieb der IT hin zur Unterstützung der Geschäftsprozesse. Dabei müssen keine ausgefeilten Techniken zum Einsatz kommen. Laut Gartner reichen den meisten Anwendern "Good-enough"-Lösungen völlig aus. Viele Unternehmen finden sich heute in der Situation, dass der größte Teil des IT-Budgets für den Betrieb von stark angepassten Altanwendungen aufgewendet werden muss. Daher sinkt die Bereitschaft, zusätzliche Software einzubinden, die den Pflegeaufwand möglicherweise noch stärker in die Höhe treibt. An dieser Stelle suchen die Verantwortlichen in den Anwenderunternehmen verstärkt nach alternativen Möglichkeiten, die benötigten Funktionen günstig und unkompliziert zu beschaffen, beispielsweise als Service, der auch von einem externen Provider geliefert werden kann.

"IBM versteht sich seit Jahren als Infrastruktursoftware-Company", erklärt IDC-Analyst Frank Naujoks die Dominanz dieses Herstellers. Neben der Entwicklung moderner Produkte wie Application Server, Portal und ESB muss der IT-Riese auch zusehen, dass alte Legacy-Anwendungen in die neue Softwarewelt integriert werden. "IBM hat viel Erfahrung", ergänzt sein Kollege Biscotti. Den Transaktionsmonitor "Customer Information Control System" (Cics) gibt es seit mehr als 30 Jahren. Im Jahr verdiene IBM damit rund 1,5 Milliarden Dollar. Weitere 800 Millionen Dollar stammten von der 1994 eingeführten Message-oriented Middleware "MQ Series". Nimmt man dagegen nur die modernen Produkte, liefere sich IBM mit Bea ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Bea und Oracle kämpfen um den zweiten Platz

Der Kampf um die weltweite Nummer zwei im Integrationsmarkt zwischen Bea und Oracle dürfte Biscotti zufolge 2007 in die entscheidende Phase gehen. Oracle-Boss Lawrence Ellison übe starken Druck auf Thomas Kurian, den Chef von Oracles Middleware-Sparte, aus. Der Datenbankspezialist unternehme große Anstrengungen und agiere aggressiv. Schon in den zurückliegenden Jahren habe Oracle auf Kosten von Bea Boden gutgemacht. "Es wird spannend, wer am Ende des Jahres der größte Herausforderer von IBM sein wird."

Nicht zu unterschätzen sei auch Microsoft, meint der Gartner-Analyst. Vor einigen Jahren noch ein Niemand in diesem Geschäft, habe sich der Softwareprimus mittlerweile unter den Top Five etabliert. Produkte wie "Biztalk" und "Sharepoint" hätten einen bleibenden Eindruck im Markt hinterlassen.

Auch die Analysten von IDC gehen davon aus, dass Oracle weiter aufholt. Das gute Standing im Datenbanksektor könnte dem US-Konzern beim Verkauf seiner Middleware-Lösungen helfen. Im weltweiten Integrationsgeschäft, das IDC unter dem Begriff "Application Deployment Software" zusammenfasst, konnte Oracle von 2005 auf 2006 um 40,3 Prozent zulegen. Einnahmen in Höhe von 850,4 Millionen Dollar reichten für einen Marktanteil von 9,1 Prozent und Platz drei. Nicht weit hinter Bea, das nur um 7,3 Prozent zulegen konnte und mit einem Umsatz von 996 Millionen Dollar den zweiten Platz verteidigte. Unangefochten führt auch weltweit IBM mit einem Anteil von 35,5 Prozent. Der Konzern setzte 2006 knapp 3,33 Milliarden Dollar um, 14,3 Prozent mehr als 2005.

Integrationsmarkt wächst zweistellig

Den Gesamtmarkt taxierte IDC im vergangenen Jahr auf 9,38 Milliarden Dollar. Das bedeutete im Vergleich zu 2005 ein Wachstum von 17,8 Prozent. Für die kommenden Jahre prophezeien die Marktforscher dem Segment ein durchschnittliches Plus pro Jahr von 14,4 Prozent. 2011 soll das Volumen des weltweiten Integrationsgeschäfts 18,4 Milliarden Dollar erreichen. Getrieben wird das Wachstum in erster Linie durch branchenspezifische Integrationslösungen sowie Integration-Server-Software-Plattformen (ISSP). Darunter fassen die Analysten unter anderem Werkzeuge wie BPM, ESB und Business Activity Monitoring (BAM) zusammen.

Für alle Hersteller geht es heute in erster Linie darum, ihren Kunden komplette Plattformen zur Verfügung zu stellen. Gartner zufolge besteht die Software-Infrastruktur nicht mehr aus einem Set von Einzellösungen, sondern vielmehr aus einer von Haus aus integrierten Infrastruktur-Plattform. Damit kämpfen die großen Softwareanbieter um die Schaltzentrale in der Unternehmens-IT ihrer Kunden.

Enterprise-Software-Markt

Die Gartner-Analysten gehen davon aus, dass sich das weltweite Lizenzaufkommen für Enterprise-Software bis 2010 auf rund 170 Milliarden Dollar erhöhen wird. 2002 lag dieser Betrag noch knapp unter 100 Milliarden Dollar. Das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 6,9 Prozent. Den Löwenanteil macht dabei die Infrastruktursoftware aus. Deren Anteil liegt bei fast zwei Drittel des gesamten Lizenzvolumens.

Allerdings verlieren die Anwender dabei nur zu leicht den Überblick. Zum einen bestehen die Plattformen aus einer Vielzahl verschiedener Komponenten, angefangen vom Application Server und dem Portal über Integrationswerkzeuge bis hin zu Web-Services-Brokern und Prozess-Management-Tools. Dazu kommt, dass nicht nur die Hersteller selbst ihre eigenen Infrastruktur-Suiten bestücken, sondern zum Teil auch Lösungen von übernommenen Firmen, Drittanbietern und Partnern integriert werden. Rund um die eigene Architektur entsteht ein Ökosystem aus unterschiedlichsten Produkten und Services, konstatiert Gartner.

SOA macht die Geschichte nicht unbedingt einfacher

Für die Anwender bietet dieses System auf den ersten Blick Vorteile. Sie erhalten eine auf Standards aufgebaute, vorintegrierte Plattform mit einheitlichen Sicherheits- und Management-Funktionen. Andererseits ist nicht gewährleistet, dass alle Komponenten der Plattform die gleiche Qualität besitzen. Zudem müssten sich die Anwender bewusst machen, dass sie sich mit der Entscheidung für die Architektur eines bestimmten Herstellers in eine gewisse Abhängigkeit begeben, warnen die Marktforscher. Dieser Anbieter bestimmt Regeln und Preise, die für die jeweilige Plattform gelten.

Spezialfall SAP

"Es ist schwierig zu sagen, welche Rolle SAPs Plattform Netweaver im Integrationsgeschäft spielt", meint Gartner-Analyst Fabrizio Biscotti. SAP verkaufe in erster Linie an seine Bestandsklientel. Speziell in Deutschland besitze der Konzern daher eine starke Position auch in Sachen Integration. SAP habe jedoch Probleme mit dem Thema SOA. Gerade die Finanzdienstleister, die dem SOA-Gedanken am aufgeschlossensten gegenüberstehen, setzten meist Produkte der etablierten Integrationsanbieter ein. Hier kämen in erster Linie IBM, Bea und Oracle zum Zuge. SAP weise in diesem Segment eine wesentlich schwächere Durchdringung auf. Dagegen stehe die klassische SAP-Klientel aus dem produzierenden Gewerbe in Sachen SOA-Adaption nicht in vorderster Linie. Das macht es SAP schwer, gegen IBM, Bea und Oracle zu bestehen. "SAP verkauft seine Integrationsprodukte und seine Plattform in einem Markt, der diesen Lösungen wenig aufgeschlossen gegen-übersteht. Das ist eine Herausforderung, der sich SAP stellen muss."

"Das Zauberwort SOA macht das Thema Integration nicht unbedingt einfacher", sagt IDC-Analyst Naujoks. "Die Anwendungsintegration wird damit grundsätzlich auch umfangreicher." Unternehmen, die ihre IT flexibler aufstellen wollen, kämen um das Thema SOA nicht herum. Dabei müssten sie sich allerdings auch mit Aspekten wie Master Data Management (MDM) und den Geschäftsprozessen beschäftigen. "Mit einem Mal stecken die Anwender dann in einem Wust von Arbeit." Naujoks rät den Firmen, gerade die Konzeption eines SOA-Projekts sorgfältig und intensiv zu planen. "Wer dies versäumt oder hier schlampt, bereut es hinterher. Dann wird es nämlich noch teurer."