Top 100 - Business-Software 2012

Enterprise-Software muss einfacher werden

25.09.2012
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Viele Anwender sind aufwendige Softwareprojekte mit ungewissem Ausgang und komplexe Applikationslandschaften leid. Neue Paradigmen wie Cloud Computing versprechen Abhilfe. Doch es wird noch dauern, bis sich Anbieter und Anwender ganz auf das kommende Softwarezeitalter eingestellt haben.

Viele Unternehmen überlegen, wie sie ihre Strategie in Sachen Enterprise-Applikationen gestalten sollen. Themen wie Cloud und Mobile Computing sowie Social Web versprechen neue Möglichkeiten und eine einfachere IT-Nutzung. Dabei ist aber noch nicht absehbar, wie der Weg in die neue Softwarewelt verläuft. Das ist ein Grund, warum sich das Wachstum in diesem Markt derzeit abbremst.

Gartner geht davon aus, dass in diesem Jahr weltweit rund 120,4 Milliarden Dollar für Enterprise-Applikationen ausgegeben werden. Trifft diese Prognose zu, würde das gegenüber dem Vorjahr (115,2 Milliarden Dollar) einen Anstieg um 4,5 Prozent bedeuten. Allerdings bleibt ein gewisser Unsicherheitsfaktor. Schon einmal mussten die Gartner-Experten in diesem Jahr ihre Prognose revidieren. Zuvor waren sie von einer Wachstumsrate von fünf Prozent ausgegangen. Klar ist jedoch, dass der globale Markt im laufenden Jahr nicht mehr so schnell wächst wie 2011. Im Vorjahr hatten die Geschäfte mit Business-Applikationen noch um fast elf Prozent zugelegt.

Vor allem die weltweit schwelenden Krisen, darunter die europäische Finanzkrise, die schwächelnde US-Wirtschaft und die nachlassende Dynamik in China, machen es den Marktbeobachtern nicht leicht, vorherzusagen, in welche Richtung sich die Geschäfte entwickeln. "Die vollen Auswirkungen der ökonomischen Unsicherheiten auf die Märkte für Enterprise Software sind noch nicht abzusehen", sagt Tom Eid, Research Vice President von Gartner. Aus seiner Sicht konzentrieren sich die Anwenderunternehmen mit ihren Investitionen momentan auf industrie- und branchenspezifische Funktionen, auf das Stabilisieren und Absichern ihrer geschäftskritischen Systeme und auf die Integration von Software-as-a-Service-Modulen (SaaS), um bestehende Applikationslandschaften zu ergänzen beziehungsweise teilweise zu ersetzen.

Vor allem Cloud-Anwendungen gewinnen nach Auffassung der Marktbeobachter an Akzeptanz. Die Zeiten, in denen Unternehmen hohe Beträge in aufwendige und langfristig angelegte Softwareprojekte steckten, um mit manchmal ungewissem Ausgang große Suiten zu implementieren, gehen zu Ende. Zu oft haben sich die damit verbundenen Erwartungen nicht erfüllt. Heute ist das Ziel, neue Softwarefunktionen zügig einzuführen und schnell Kapital für das eigene Unternehmen daraus zu schlagen.

Deshalb rechnen die Marktforscher in den kommenden Jahren mit steigenden Investitionen in Software-as-a-Service-Angebote. Gartner taxiert das weltweite Marktvolumen im laufenden Jahr auf 14,5 Milliarden Dollar, ein Plus von 17,9 Prozent gegenüber 2011. Bis 2015 sollen die Ausgaben der Unternehmen für Software aus der Wolke auf dann 22,5 Milliarden Dollar steigen. Diesen Zug wollen die großen Anbieter nicht verpassen; derzeit bauen sie fieberhaft ihr Cloud-Portfolio aus - durch Eigenentwicklungen, vor allem aber durch Zukäufe.

Beispielsweise investierte SAP in den zurückliegenden Monaten 7,7 Milliarden Dollar in die Akquisitionen von SuccessFactors und Ariba. Konkurrent Oracle kaufte für 3,4 Milliarden Dollar Rightnow Technologies und Taleo. Das sind in erster Linie Investitionen in die Zukunft. Noch macht die Cloud bei den etablierten Anbietern von Enterprise-Applikationen nur einen Bruchteil der Einnahmen aus. SAP weist zum Beispiel für das zweite Quartal 2012 lediglich einen SaaS-Umsatz in Höhe von 52 Millionen Euro aus. Das entspricht einem Anteil von gerade mal 1,3 Prozent an den Gesamteinnahmen von 3,9 Milliarden Euro.

Für die Granden des Softwaremarkts, die in den vergangenen Jahrzehnten mit ihrem Lizenz- und Wartungsgeschäft viel Geld verdient haben, dürften die anstehenden Umstellungen nicht einfach werden. Die klassischen Applikationen in die Wolke zu hieven, ist weder möglich noch sinnvoll. Vielmehr wird die Cloud die Softwarelandschaften an sich verändern: Hybriden Welten aus On-Premise- und Cloud-Angeboten gehört die nähere Zukunft.

Bislang finden Cloud-Angebote - bezogen auf klassische Enterprise-Applikationen - vor allem in Bereichen wie Customer-Relationship- Management (CRM) und zunehmend auch Human Resources (HR) Akzeptanz. In anderen Segmenten wie Enterprise Resource Planning (ERP) sind die Anwender dagegen noch zögerlich. Die Investitionen in SaaS-ERP fallen bisher relativ gering aus, bilanziert etwa Frank Schmeiler, Analyst der Experton Group. Die für 2012 prognostizierten 83 Millionen Euro entsprächen einem Anteil von gerade einmal drei Prozent am gesamten ERP-Markt hierzulande. Vor allem der nach wie vor hohe Individualisierungsgrad vieler ERP-Umgebungen lasse sich in der Cloud nicht abbilden. Hier müssten sich Anwender mit weitgehend standardisierten Applikationen begnügen.

Früher oder später werden sich aber die Anwendungsinfrastrukturen fundamental verändern, ist sich Gartners Forschungschef Peter Sondergaard sicher. Neben der Cloud stellten vor allem Themen wie Mobile Computing, Social Media und Big Data die bisherigen Paradigmen in Frage. Der prozessorientierte Ansatz, in dem einzelne Softwaremodule die verschiedenen Abläufe im Unternehmen abdeckten, habe in der Vergangenheit gut funktioniert. Allerdings werde in den SAP- und Oracle-Systemen keine einzige Entscheidung getroffen, gibt Sondergaard zu bedenken. Das geschehe heute in Meetings, per Mail oder über Instant Messaging. Diese Interaktion könne mit Hilfe von Social-Komponenten künftig direkt in den Anwendungssystemen stattfinden und dort auch direkt umgesetzt werden. Sondergaard zufolge gibt es bereits etliche Softwarehersteller, die diesen Ansatz verfolgen und langfristig die etablierten Anbieter herausfordern können.