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Dubiose Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro

Siemens-Schmiergeldskandal erreicht Milliarden-Dimension

09.11.2007
Der Schmiergeldskandal beim Siemens-Konzern hat eine Milliarden-Dimension erreicht. Bei der Prüfung sämtlicher Beraterverträge der vergangenen Jahre entdeckte der Konzern dubiose Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro.

Der Großteil davon ist vermutlich in schwarze Kassen geflossen und im Ausland als Schmiergeld eingesetzt worden. "Wir setzen alles daran, um die Vergangenheit schnell und umfassend aufzuarbeiten", sagte Siemens-Chef Peter Löscher am Donnerstag in München. Die Geschäfte laufen bei Deutschlands größtem Elektrokonzern trotz des Skandals glänzend.

Obwohl der Konzern wegen der Affäre rund 1,4 Milliarden Euro für Bußgelder, Anwalts- und Beraterhonorare und Steuernachzahlungen ausgeben musste, stieg der Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr um 21 Prozent auf mehr als vier Milliarden Euro. Der Umsatz legte um neun Prozent auf knapp 72,5 Milliarden Euro zu. "Das sind fantastische Ergebnisse", sagte Löscher. Vier Monate nach Amtsantritt verordnete er den Geschäftsbereichen noch strengere Renditeziele. Zudem sollen in der Verwaltung Milliardensummen eingespart werden. Auf diesem Wege will der Konzern weiter zulegen: Das Geschäft soll 2007/08 (30. September) doppelt so schnell wachsen wie die Weltwirtschaft, der operative Gewinn wiederum nochmals doppelt so stark.

Die Schmiergeldaffäre markiert die bisher größte Krise in der Siemens-Geschichte. Bisher hatte der Konzern nur eine konkrete Summe verdächtiger Zahlungen für den früheren Kommunikationsbereich Com genannt, in dem die Affäre ihren Anfang genommen hatte. Hier hatte Siemens mögliche Schmiergeldzahlungen in Höhe von 449 Millionen Euro identifiziert. Als Konsequenz akzeptierte der Konzern ein Bußgeld in Höhe von 201 Millionen Euro. Inzwischen wurden auch die anderen Geschäftsbereiche unter die Lupe genommen, dabei hat sich die verdächtige Summe auf 1,3 Milliarden Euro fast verdreifacht. Künftig soll es keine Sündenfälle mehr geben. "Wir sind nur interessiert an sauberen Geschäften - immer und überall", sagte Löscher.

Nach Bekanntwerden der Affäre hatte Siemens die internen Regeln und Kontrollen verschärft. Insgesamt seien im abgelaufenen Geschäftsjahr 470 Mitarbeiter wegen Verstößen gegen interne Richtlinien belangt worden, sagte Löscher. In 14 Prozent der Fälle seien dabei Korruption oder Verstöße gegen das Kartellrecht nachgewiesen worden. "Unsere Haltung bei dem Thema Compliance (interne Richtlinien) erlaubt keine Grauzone und keine Kompromisse." In rund einem Viertel der Fälle ging es um Untreue oder Betrug. Bei den restlichen 62 Prozent handelte es sich um andere Verstöße wie zum Beispiel Diskriminierungen. Von 30 Prozent der betroffenen Beschäftigten hat sich Siemens laut Löscher getrennt.

Die Münchner Staatsanwaltschaft registrierte die Aufstockung der Summe der verdächtigen Zahlungen. "Wir beobachten das und werden gegebenenfalls die Ermittlungen ausweiten", sagte Oberstaatsanwalt Anton Winkler der dpa in München. Dies seien zunächst einmal interne Untersuchungen bei Siemens. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass die Steuerbehörden ihnen gegebenenfalls Mitteilung erstatten. Die Behörde ermittelt gegen ehemalige Top-Manager des Konzerns, die erste Anklage ist bereits erhoben.

Finanzvorstand Joe Kaeser betonte, das Unternehmen sei trotz des Skandals "voll leistungs- und handlungsfähig". Das zeige sich an den guten Geschäftszahlen. Das operative Ergebnis der Bereiche steigerte Siemens 2006/07 im fortgeführten Geschäft um 70 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro. Allein zwei Milliarden davon wurden im vierten Quartal eingefahren. Unter dem Strich stand allerdings wegen der Sonderbelastungen im Zuge der Schmiergeldaffäre und eines Sondereffekts beim VDO-Verkauf ein kleiner Verlust. Sorgenkinder waren die Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks (NSN) und Fujitsu Siemens Computers. Größte Gewinnbringer waren die Antriebssparte A&D (Bereichsergebnis 2,1 Milliarden Euro), die Medizintechnik (1,3 Milliarden) und die Energieerzeugung (1,1 Milliarden Euro).

Vom kommenden Jahr an soll der Konzern auf den Säulen Industrie, Energie und Medizintechnik stehen. Die gesamte Führungsstruktur wird darauf ausgerichtet, auch der Vorstand wird verkleinert. Die künftigen drei Bereiche bekommen noch schärfere Renditevorgaben. In der Medizintechnik werde ab sofort eine Umsatzrendite vor Zinsen und Steuern von 14 bis 17 Prozent erwartet, sagte Löscher. Zuletzt lag der Zielkorridor bei 13 bis 15 Prozent. Die neuen Rendite-Vorgaben für das Industrie- und das Energie-Geschäft sollen im Januar genannt werden. In der Verwaltung sollen laut Kaeser 1,2 bis 2,4 Millionen Euro eingespart werden. "Ich stehe für schlanke und schlagkräftige Strukturen", sagte Löscher. Ob dies zu einem Stellenabbau führen könnte, ließ er offen. (dpa/tc)