Bundesagentur denkt an Neuentwicklung

ALG-II-Pannensoftware vor der Ablösung

10.03.2008
Nach jahrelangen Querelen rund um die Hartz-IV-Software A2LL plant die Bundesagentur für Arbeit (BA) offenbar eine Neuentwicklung. Der Schaden geht in die Millionen.

"Die Software A2LL ist nicht so anpassungsfähig und flexibel programmierbar, wie wir es brauchen", kritisiert Heinrich Alt, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, die von T-Systems entwickelte Anwendung. Deshalb gibt es Überlegungen, eine komplett neue Software zu entwickeln. Diese könnte frühestens in fünf Jahren eingesetzt werden.

Die Verantwortlichen in der Arbeitsagentur wollen angesichts der fortgesetzten Probleme einen Schlussstrich ziehen. Die Software ist nicht zukunftsfähig, verlautet aus der Nürnberger Behörde. Es sei vor allem schwierig, gesetzliche Änderungen in dem System zügig abzubilden. Daher gebe es bereits seit längerer Zeit Überlegungen, A2LL abzulösen. Bereits seit 2005 wurde wiederholt darüber spekuliert, wann die Behörde die Geduld mit der Problemsoftware verlieren und einen Neuanfang wagen würde.

Die Software dient dazu, die Daten der bundesweit rund sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger zu erfassen und die entsprechenden Leistungen zu buchen. Allerdings gab es seit Einführung der Software Anfang 2005 Probleme. Jeder Mitarbeiter, der mit A2LL arbeitet, verliere etwa eine Stunde am Tag, weil die Software nicht rund laufe, hieß es Ende 2005. Prozesse, die eigentlich automatisiert ablaufen sollten, müssten händisch abgewickelt werden. Außerdem fiel das System immer wieder aus. Zuletzt hatte im vergangenen November eine fehlerhafte Programmaktualisierung die Software für mehrere Tage lahm gelegt.

Heinrich Alt, Vorstand Bundesagentur für Arbeit: Die Software A2LL ist nicht so anpassungsfähig und flexibel programmierbar, wie wir es brauchen.
Heinrich Alt, Vorstand Bundesagentur für Arbeit: Die Software A2LL ist nicht so anpassungsfähig und flexibel programmierbar, wie wir es brauchen.
Foto: Bundesagentur für Arbeit

Dazu kam, dass die Mitte 2005 gesenkten Krankenkassenbeiträge der ALG-II-Bezieher nicht in das System eingepflegt werden konnten. In der Folge überwies die Behörde monatlich rund 25 Millionen Euro zu viel an die Kassen. Der Fehlbetrag summierte sich im Endeffekt auf 364 Millionen Euro. Für den Mehraufwand, die Folgen des Fehlers zu beseitigen, behielten die Krankenkassen 75,6 Millionen Euro ein.

Vor allem die Kosten für Umgehungslösungen und Upgrade-Prüfungen machen der Arbeitsagentur zu schaffen. Außerdem, so klagen die Verantwortlichen in Nürnberg, seien immer noch nicht alle notwendigen Funktionen verfügbar, obwohl die Software Ende Januar 2008 nach jahrelangen Verzögerungen offiziell abgenommen wurde. Welcher Schaden den öffentlichen Haushalten durch die jahrelangen Probleme entstanden ist, lässt sich derzeit nicht exakt beziffern. Mitte 2005 sprachen die Verantwortlichen in der Bundesagentur von einer Summe in Höhe von 28 Millionen Euro. Da jedoch die maximale Regresssumme auf fünf Millionen Euro begrenzt sei, habe man in der Folge die Mehraufwände nicht mehr erfasst, heißt es aus der Frankenmetropole. Vorwürfe, die Arbeitsagentur habe den Vertrag schlampig verhandelt, wies die Behörde jedoch schon vor zwei Jahren zurück. Aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofs dürfe man lediglich zehn Prozent des Auftragsvolumens als Schadenssersatz vom Dienstleister fordern.

Schaden im dreistelligen Millionenbereich

Die Zeche zahlen die Steuerzahler – und die dürfte sich mittlerweile auf einen dreistelligen Millionenbetrag belaufen. 2006 taxierte der Landkreistag in Schleswig-Holstein die durch die fehlerhafte Software verursachten jährlichen Zusatzkosten auf einen Betrag zwischen 230 und 380 Millionen Euro. Grundlage war die Kalkulation, dass die Mitarbeiter in den Agenturen rund 15 bis 25 Prozent mehr Zeit benötigten. Inklusive der Aufwände aus dem Jahr 2005 und den Ausgleichszahlungen für die Krankenkassen dürfte sich der Schaden bis Ende 2006 auf eine Summe von deutlich über 500 Millionen Euro summiert haben – die Zusatzkosten aus dem vergangenen Jahr sind hier noch nicht eingerechnet.

Die Bundesregierung räumte Probleme mit A2LL ein. Zwischenzeitlich hätten sich die Anwender mit 146 Umgehungslösungen und Bedienhinweisen behelfen müssen, um die Software überhaupt nutzen zu können, hieß es im Mai 2006 in einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Dies führe zu einem zeitlichen Mehraufwand. Zudem würden gesetzliche Neuregelungen, die in das System eingearbeitet werden müssten, die funktionale Fertigstellung weiter verzögern. Den finanziellen Schaden konnte oder wollte die Regierung zu diesem Zeitpunkt nicht beziffern.

In der Folge änderte sich wenig. Im Frühjahr 2007 verwies die Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linken auf die vertraglich bereits ausgeschöpften Schadensersatzansprüche. Der Auftragnehmer T-Systems habe der Bundesagentur für Arbeit nachträglich einen Nachlass auf den Festpreis in Höhe von fünf Millionen Euro gewährt. Die vom schleswig-holsteinischen Landkreistag genannte Schadenssumme sei nicht nachvollziehbar. Allerdings beabsichtigen die politisch Verantwortlichen offenbar auch nicht, die finanziellen Folgen des IT-Debakels aufzudecken. Auf eine weitere Anfrage der Linken hin hieß es im Herbst vergangenen Jahres: "Es werden keine weiteren Berechnungen zur Ermittlung der durch A2LL verursachten Schadenshöhe durchgeführt." Auch im Fall weiterer Fehler sei nichts dergleichen geplant.

A2LL muss noch eine Weile funktionieren

T-Systems will sich zu den aktuellen Querelen rund um das Softwareprojekt nicht äußern und verweist auf die fehlende Autorisierung durch die Bundesagentur. Nur die Behörde in Nürnberg dürfe etwas zu A2LL und der möglichen Neuentwicklung sagen. Die Kritik an der Software sei jedoch überzogen, klang auf Seiten des Dienstleisters durch. Immerhin sei die Anwendung abgenommen und laufe. Außerdem müsse die Software auch noch einige Zeit funktionieren, wenn sich die Behörde für die Neuentwicklung fünf Jahre Zeit nehmen will. Dann könne die Software so schlecht nicht sein, verlautet aus der T-Systems-Zentrale.

Allerdings räumen die T-Systems-Verantwortlichen Probleme in den zurückliegenden Jahren ein. Das habe jedoch auch an den unglücklichen Startbedingungen gelegen. Immerhin habe man angesichts der zeitlich knappen politischen Zeitvorgaben innerhalb weniger Monate eine Softwarelösung auf die Beine stellen müssen. In der Folge sei es nie gelungen, aufgrund der zahlreichen gesetzlichen Änderungen und der Anstrengungen, die Fehler zu beheben, eine stabile Softwarebasis aufzubauen. In dem Stufenmodell für die Einführung der Software habe man immer "am lebenden Objekt" arbeiten müssen, so der Dienstleister. Eine Alternative habe es nicht gegeben – Hartz IV hätte sonst nicht an den Start gehen können. (ba)