Café-Besitzer plagen Abmahnungen

Offenes WLAN ist bedroht

03.04.2012
Zum illegalen Tauschen von Musik und Filmen gehen manche ins Café um die Ecke - und der Wirt bekommt dafür die Abmahnung.

Dabei ist gar nicht klar, ob er dafür verantwortlich zu machen ist. Wenn sich die Café-Betreiber schützen, wird es allerdings für ihre Gäste kompliziert.

Zum Milchkaffee gibt es Facebook, zur Focaccia Twitter und zur Suppe werden Blogs konsumiert. Im Café St. Oberholz in Berlin-Mitte trifft sich die "digitale Bohème" zum Arbeiten und zum Plausch. Selbstverständlich steht deswegen auf der Speisekarte neben Kuchen und Gebäck auch kostenloser Internetzugang. Bis vor kurzem musste, wer online gehen wollte, im St. Oberholz nur ein allseits bekanntes Passwort eintippen. So einfach ist das heute nicht mehr.

"Jetzt muss man sich einer nervigen Anmeldeprozedur unterziehen", ärgert sich Ansgar Oberholz. Bislang hatte der Café-Besitzer selbst einen Router aufgestellt, über den seine Gäste unbeschränkt im Netz surfen konnten, nun hat er die Aufgabe an einen Provider abgegeben. Denn in den vergangenen Monaten flatterten mehrere Abmahnschreiben von Kanzleien herein, weil Gäste in seinem Haus Urheberrechte verletzten.

Wie viele andere Café-, Restaurantbesitzer und Hoteliers hat Oberholz Angst vor hohen Geldbußen und Strafen. Er weiß ja nicht, wer im Café illegal Musik herunterlädt, geschützte Filme teilt oder unrechtmäßig Spiele weitergibt. "Als Gastwirt darf er wegen des Fernmeldegeheimnisses auch gar nicht überprüfen, was seine Gäste über sein WLAN treiben", sagt Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht, der solche Fälle wie den von Oberholz ständig auf dem Tisch hat. Er spricht von einer regelrechten "Abmahnindustrie".

Die Kanzleien behaupten, der Betreiber eines WLANs sei haftbar für das, was von dort aus geschehe. Doch ist das nicht sicher. "Diese Frage ist höchstrichterlich nicht entschieden", sagt Stadler. Es gibt zwar ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mai 2010, wonach eine Privatperson zur Kasse gebeten werden kann, wenn Fremde über einen unzureichend gesicherten Internetzugang illegal Musik ziehen.

Doch könne diese Entscheidung nicht 1:1 auf Geschäftsleute übertragen werden, sagt sogar die Kanzlei Kornmeier & Partner, die damals das Urteil erstritt. Verteidiger Stadler glaubt, dass der BGH bei Gastwirten zu einem anderen Ergebnis kommen würde. "Heutzutage wird ja allgemein erwartet, dass ein Café-Betreiber den Kunden Internet zur Verfügung stellt." Damit sei ohne WLAN das Geschäftsmodell der Gastwirte gefährdet.

Doch haben Anwälte wie Stadler bislang niemanden gefunden, der einen solchen Fall durch alle Instanzen durchfechten möchte, um Klarheit zu schaffen. Schließlich würde das mehrere tausend Euro kosten - Geld, das kleine Cafébesitzer normalerweise nicht haben. Medienrecht-Anwalt Lars Jaeschke erklärt, dass die Abmahner auf der anderen Seite nicht klagten, weil sie kein Interesse an einem Musterurteil hätten. Schließlich zeigten die Tendenzen des BGH, dass er wohl im Sinne der Gastwirte entscheiden würde. "Momentan leben die Abmahner wohl ganz gut von der Rechtsunsicherheit."

Björn Frommer vertritt die Rechte der Urheber und findet, dass die Gastwirte eigentlich wissen sollten, wie sie sich absichern. "Das sind Profis im Umgang mit gesellschaftlichen Regeln wie Jugendschutz und Alkohol." Frommer und viele seiner Kollegen empfehlen: Gäste sollen auf einer Startseite den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Cafés zustimmen, dass sie nichts Illegales tun. Außerdem könnten Tauschbörsen und bestimmte Internetseiten technisch ausgeschaltet werden.

Von der aktuellen Lage profitieren auch Internet-Service-Provider - wie etwa die Firma Hotsplots, die nun das WLAN im St. Oberholz betreibt, meinhotspot.com oder große Unternehmen wie die Deutsche Telekom, deren Hotspots in vielen Raststätten, Flughäfen, Hotels und McDonald's-Restaurants zu finden sind. "Wir hatten selbst überlegt, ob wir Provider werden", sagt Oberholz. Aber eigentlich wolle er doch nur sein Café weiter betreiben. "Und das klang alles sehr aufwendig und kompliziert, deswegen haben wir es nicht weiter verfolgt."

Nun, resümiert Oberholz, sei eigentlich alles wie vorher - nur werde er nicht mehr abgemahnt. Und an Hotsplots schicken die Anwälte keine Schreiben, meint dessen Geschäftsführer Ulrich Meier. "Ich nehme an, dass sie schnell die Finger davon lassen, wenn sie sehen, dass der Internetanschluss von uns ist." Denn bei ihm hätten sie keinen Erfolg. Dabei sei ein Gastwirt, der WLAN zur Verfügung stellt, doch nichts anderes als ein Hotspot-Betreiber, sagt Anwalt Stadler. "Kafkaesk" sei das, meint Oberholz.

Aus dem Bundesjustizministerium heißt es hingegen, die Pflicht zu prüfen, was im WLAN passiert, stelle "keine unzumutbare Belastung dar". Die Pflichten für Privatleute oder Gastwirte richteten sich danach, was ihnen im Einzelfall jeweils abverlangt werden könne. Außerdem sei die Haftung der Gastwirte sinnvoll, "denn sie ist für den Anspruchsinhaber in der Praxis häufig die einzige Möglichkeit, sich gegen Rechtsverletzungen zu wehren. Die Täter selbst können oft nicht herangezogen werden".

Tatsächlich ist es nicht nur für die Einkläger von Urheberrechten, sondern sogar für Polizei und Staatsanwaltschaften oft nicht möglich, an den eigentlichen Verursacher von Straftaten zu kommen. In Cafés und Restaurants gibt es die WLAN-Zugangsdaten manchmal per Handy, mal per E-Mail-Adresse oder auch auf dem Kassenbon oder mündlich vom Kellner - ohne dass man persönliche Daten angeben muss. Anwälte wie Kornmeier & Partner raten den WLAN-Betreibern, nur eine Anmeldung mit persönlichen Daten wie etwa einer Kreditkarte anzubieten.

Der mit dem Internetrecht vertraute Jurist Dieter Ferner findet, dass dies unpraktikabel ist und deswegen die Gesetze der Realität angepasst werden müssen. "Momentan vertrauen die Gastwirte wildfremden Menschen, dass sie nichts Verbotenes machen." Doch für die unbeschränkte Kommunikation müsse die Gesellschaft auch einen Preis zahlen: "Dann werden Rechtsbrüche begangenen, ohne dass der Verursacher dazu in Haftung genommen werden kann." (dpa/tc)