Unternehmenskultur hinderlich

Angst vor Kontrollverlust hemmt Innovationen

20.02.2012
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Nach-vorne-Schauen ist Fehlanzeige: Zu viele Firmen setzen primär auf die in der Vergangenheit "bewährten" Prozesse, sagt Jens-Uwe-Meyer.

Die meisten Unternehmen haben erkannt: Unser künftiger Erfolg hängt weitgehend von unserer Fähigkeit zur Innovation ab. Nur wenige haben aber bisher in ihrer Organisation eine Kultur geschaffen, die Kreativität und Innovation fördert. Das zeigt die Studie "Erfolgsfaktor Innovationskultur", für die fast 200 Innovationsmanager und Top-Manager befragt wurden.

Innovationskultur? Da liegen bei vielen Unternehmen zahlreiche Stolpersteine im Weg...
Innovationskultur? Da liegen bei vielen Unternehmen zahlreiche Stolpersteine im Weg...
Foto: CHW - Fotolia.com

Was ist Wahnsinn? Der ehemalige US-Präsident Benjamin Franklin drückte es so aus: "Immer wieder das selbe tun und dabei auf andere Ergebnisse hoffen." Genau das tut ein Großteil der Unternehmen im deutschsprachigen Raum, wenn es um das Thema Innovation geht. Sie setzen dabei primär auf die in der Vergangenheit "bewährten" Prozesse. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Ideeologen Gesellschaft für neue Ideen mbH zum Thema Innovationskultur in Unternehmen, für die 194 Verantwortliche in den Bereichen Business Development sowie Vorstände und Geschäftsführer befragt wurden.

Ein ernüchternder Befund! Denn spätestens seit Mitte der 90er Jahre ist bekannt: Mit den klassischen, schwerfälligen Innovationsprozessen - mit definierten Verantwortlichkeiten und Schnittstellen sowie einer Vielzahl von Vorschriften - lassen sich nur inkrementelle Verbesserungen erzielen, die (weitgehend) das Bestehende optimieren. "Echte" Innovationen hingegen erfordern andere Managementkonzepte und Innovationsmodelle - zum Beispiel solche, wie sie die Forscher Teresa Amabile (Harvard Universität) sowie Alan G. Robinson und Sam Stern von den Universitäten Massachusetts und Ore-gon beschrieben haben. Sie beruhen meist auf der Idee kleiner Start-up-Teams im Unternehmen, die eigenverantwortlich handeln und schnell und flexibel Hürden überwinden.

Innovation mit Vollkaskoschutz

Von solchen "Strukturen" sind die meisten Unternehmen im deutschsprachigen Raum noch weit entfernt. Zumeist lassen sich die Rahmenbedingungen für Innovation in ihnen mit folgenden Worten umreißen: viele Vorschriften und wenig Kreativität. In vier von fünf Unternehmen ist ein Regelbruch sogar "in begründeten Ausnahmefällen" nur "sehr eingeschränkt" möglich - selbst in den für "Innovation" zuständigen Abteilungen. Und in 35 Prozent der Unternehmen dominieren die Regeln so sehr, dass man ihr Streben nach Innovation als "Kreativität nach Vorschrift" bezeichnen kann. Eine Ursache hierfür ist: Kreatives Denken und Handeln ist nach Aussagen der Befragten nur in 28 Prozent der Unternehmen hoch angesehen. Und "Querdenker" werden schnell als "Querulanten" angesehen.

Angst vor Kontrollverlust

Warum halten so viele Unternehmen an ihren tradierten schwerfälligen Innovationsprozessen fest? Unter anderem aufgrund des Bedürfnisses nach Absicherung seitens des Managements. Geordnete Prozesse täuschen ihm Sicherheit vor. Dem Denken vieler Manager ist der Gedanke fremd: "Lasst’ uns das doch einfach mal ausprobieren. Und wenn die ersten Versuche scheitern? Dann lernen wir daraus."

Ein solches Managementdenken eignet sich nicht für Zeiten des schnellen Wandels. Heute gilt für hochinnovative Unternehmen: Sie haben in ihrer Organisation eine Kultur des Experimentierens etabliert. Amazon-Gründer Jeff Bezos ist zum Beispiel überzeugt: "Man muss ein Unternehmen so organisieren, dass die Struktur eine möglichst hohe Zahl von Experimenten zur gleichen Zeit zulässt."

Genau damit tun sich Unternehmen im deutschsprachigen Raum schwer. Innovation, gerne - aber bitte kein Risiko. Nur knapp jedes fünfte Unternehmen fördert aktiv "Experimente", die nicht von Studien und Analysen abgesichert sind. Und nur 12 Prozent akzeptieren "schlechte" Ideen als Teil des kreativen Prozesses. Das steht in Widerspruch zu hochinnovativen Unternehmen wie Research in Motion. Die Philosophie von dessen Gründer Mike Lazaridis lautet: "Neun schlechte Ideen helfen, die zehnte gute zu entwickeln."

Neue Wege gehen - doch kein Neuland betreten

Die Forderung, neue Wege zu denken, gehört heute zum festen Repertoire der Innovationsrhetorik. Die Befragungsergebnisse zeigen aber, dass im Arbeitsalltag der meisten Unternehmen noch die Einstellung dominiert: Die Innovation soll im Rahmen des Bestehenden erfolgen. Deshalb würden sich zum Beispiel nur 24 Prozent der befragten "Innovationsmanager" trauen, einen echten Querdenker in ihr Team zu holen. Und nicht einmal jedes vierte Unternehmen sorgt dafür, dass die eigenen Denkwege regelmäßig von außen in Frage gestellt werden.

Hier ist eine Denkschranke am Werk: Wenn Manager über "das Unternehmen" sprechen, dann haben sie meist die Gebäude und die Mitarbeiter im Kopf. Ausgeblendet wird dass zum "System Unternehmen" auch dessen Kunden, Partner, Zulieferer und Dienstleister gehören - ja sogar die Freiwilligen im Internet, die zum Beispiel Apps für neue Handy-Betriebssysteme programmieren. Diese gedankliche Reduktion der Unternehmen ist eine Ursache dafür, dass die meisten Firmen nicht offen für frischen Wind von außen sind.