Interview mit Bernd Becker von EuroCloud

Die Cloud-Szene ist in Bewegung

02.02.2012
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Bernd Becker von EuroCloud diskutierte mit der COMPUTERWOCHE über den Cloud-Markt in Deutschland und die Chancen heimischer Anbieter.

CW: Wie steht es derzeit um die deutsche Cloud-Szene?

Bernd Becker, Vorstandsvorsitzender von EuroCloud Deutschland.
Bernd Becker, Vorstandsvorsitzender von EuroCloud Deutschland.
Foto: EuroCloud Deutschland_eco e.V.

BERND BECKER: Die Wolke ist angekommen in Deutschland, so viel kann man sagen. Cloud-Services haben bei den Anwendern erheblich an Bedeutung gewonnen. Mehr als zwei Drittel aller Unternehmen haben Cloud-Services bereits im Einsatz oder planen dies in der nächsten Zeit. Den Schwerpunkt bildet dabei mit Software as a Service (SaaS) die Nutzung von Anwendungen aus der Cloud, während virtuell bereitgestellte Infrastruktur und Middleware (IaaS und Platform as a Service = PaaS) mit noch deutlichem Abstand folgen.

CW: Agieren hier eher Newcomer, oder suchen Systemhäuser, Internet-Service-Provider (ISPs) und andere lediglich neue Geschäftsfelder?

BECKER: Cloud Computing ist so heterogen wie die ICT-Branche insgesamt. Sicher kann man Deutschland angesichts der hohen Sicherheitsstandards im europäischen Vergleich zu den führenden Cloud-Nationen zählen, dennoch ist der deutsche Cloud-Markt heutzutage noch bestimmt durch die Anbieter selbst.

Kaum ein ICT-Unternehmen am deutschen Markt, das nicht sein Angebotsportfolio durch Cloud-Angebote erweitert und sich so für den Zukunftsmarkt aus der Wolke in Position bringt. Unter ihnen findet man unabhängige Softwareunternehmen und Systemhäuser, Colocation-Anbieter und Hosting-Provider, ISPs und Telcos, alle wollen gewappnet sein.

Aber es gibt auch die reinen Cloud-Player, Unternehmen, die ihr Angebot komplett in die Cloud verlagert haben. Zu ihnen gehören insbesondere Start-ups mit oft pfiffigen neuen Services; aber auch etablierte ISVs haben die Transformation hin zu reinen Cloud-Anbietern zwischenzeitlich erfolgreich vollzogen.

Allerdings bestimmen nach wie vor die globalen Cloud-Anbieter mit ihren standardisierten, horizontalen Services die öffentliche Wahrnehmung, sie sind die eigentlichen Wegbereiter der Cloud. Dies gilt im positiven Sinne hinsichtlich der gebotenen Funktionalität und Flexibilität und der preislichen Attraktivität, die sich aus der schieren Größe der Cloud-Rechenzentren dieser Marktführer ableitet. Aber diese internationalen Anbieter verunsichern andererseits die Anwender, werden doch ihre Namen in den Diskussionen über die Zuverlässigkeit und Sicherheit von Cloud-Services immer wieder auch in einem negativen Kontext zitiert. Dabei ist es schon fast unerheblich, ob dies zu Recht oder zu Unrecht geschieht.

CW: Wie hoch schätzen Sie die Zahl an echten Startups, also Neugründungen?

BECKER: Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich mit der Cloud erschließen, werden die schon immer hohe Innovationsgeschwindigkeit der Informations- und Kommunikationstechnik noch einmal erheblich beschleunigen. Dass mit so genannten Developer Clouds bereits Entwicklungsumgebungen als Cloud-Services bereitgestellt werden, bietet für kreative Köpfe eine ideale Plattform, ihre Ideen ohne vorheriges Eigeninvestment zu realisieren und innerhalb kürzester Zeit auf den globalen Markt zu bringen - der Apple App Store lässt grüßen. Schließt man die bereits begonnene, zunehmende IP-Fähigkeit vieler Maschinen und Gerätschaften ein, so lässt sich erahnen, welche neuen Möglichkeiten sich mit der Cloud eröffnen.

Wie viele echte Startup-Neugründungen es gibt, kann ich leider nicht schätzen. Allerdings haben wir im Rahmen unseres EuroCloud-Kongresses im Mai 2011 und der Bewerbungen um den EuroCloud Award in der Kategorie Startup eine ganze Reihe solcher junger Unternehmen kennen gelernt.

CW: Wie beurteilen Sie die Finanzierungssituation für neue Cloud-Unternehmen - ist das ein Problem oder womöglich gar kein Thema?

BECKER: Cloud-Services sind für mittelständische Anbieter nur durch Partnerschaften zu realisieren. Unabhängige Softwarehäuser und Rechenzentrumsdienstleister müssen zueinander finden, um Software as a Service auf den Markt bringen zu können. Dies geht nicht ohne vorheriges Investment, die Independent Software Vendors (ISVs) müssen ihre Anwendungssoftware fit machen für den Cloud-Einsatz (Multi-Tenancy, Operational Framework), ebenso müssen RZ-Dienstleister moderne, virtualisierte und energieeffiziente Leistungen zu attraktiven Preisen bieten können.

Hinzu kommt für ISVs der langsame Abschied von kurzfristigen Umsätzen aus dem Lizenzgeschäft, mit dem sie bislang ihre laufenden Betriebskosten abdecken konnten. Mit einer Transformation zum Cloud-Service-Provider erfolgen die Zahlungen durch die Kunden auf monatlicher Basis und abhängig vom jeweiligen Verbrauch. Dies ist bei ausreichend großem Kundenstamm sehr komfortabel, in der Ramp-up-Phase aber eine zusätzliche Herausforderung.

Die Verlagerung von Capex auf Opex als eines der wesentlichen Argumente für Cloud-Services kommt uneingeschränkt den Anwendern zugute. Dies bedeutet jedoch auch, dass die Anbieter entsprechende Investitionen tragen müssen. Dieser Investment-Bedarf stellt vor allem für mittelständische Anbieter eine beträchtliche Herausforderung dar, wenn sie mit ihren Cloud-Business-Plänen bei den Finanzinstituten um Kreditlinien vorstellig werden. Nicht alle Banken haben das Geschäftsmodell Cloud und die damit verbundenen Chancen und Risiken verinnerlicht.

EuroCloud Deutschland

EuroCloud Deutschland_eco e.V. ist als Verband der Cloud-ComputingIndustrie in Deutschland hervorgegangen aus dem eco e.V. als Verband der Internet-Wirtschaft in Deutschland und Teil eines europäischen Netzwerks von EuroCloud-Organisationen in 27 Ländern Europas.

EuroCloud hat zum Ziel, das Vertrauen der Anwender in Cloud Computing zu fördern. Vor diesem Hintergrund sind sowohl der Leitfaden "Recht, Datenschutz und Compliance in der Cloud" wie auch das Zertifizierungsprogramm EuroCloud Star Audit SaaS entstanden.