Woran VoIP krankt

11.04.2007
Von Jürgen Hoffmeister
Während die Marketiers der großen IT-Hersteller den schnellen Umstieg auf VoIP propagieren, schlägt Jürgen Hoffmeister von Sikom Software nach seinen Erfahrungen bei der Entwicklung von SIP-Produkten bedächtigere Töne an und rät zum Abwarten.

Der potenzielle VoIP-Kunde kann einem Leid tun: Fast täglich wird er mit angeblichen Innovationen, neuen Protokollen und Erweiterungen, die ihm den Überblick erschweren, zugeschüttet. Von den vermeintlichen Industriestandards profitiert aber letztendlich nur einer - der Hersteller. Er bindet den Nutzer mit immer feineren Methoden an den Anbieter.

ISDN versus VoIP

Die Sinnfrage wird dabei nur in den seltensten Fällen gestellt: Wozu braucht ein Unternehmen, das seit zehn Jahren über ISDN telefoniert, eine neue Telefonanlage, die VoIP-Verbindungen über ISDN-Leitungen aufbaut? Die schon vorher vorhandene Funktion Sprachtelefonie wird über neue Geräte, Programme und Dienstleistungen teuer erkauft. Auch der Umstieg auf den künftigen Standard Session Initiation Protocol (SIP), der DSL-Verbindungen verwenden kann, bringt für den nüchtern kalkulierenden Entscheider wenig Vorteile. Die Anbieter addieren zu den ISDN-Anschlüssen die DSL-Anschlüsse, um angeblich das beste aus zwei Welten zu vereinen. Der Effekt verfliegt aber spätestens dann, wenn neben der gewohnten monatlichen Rechnung für den ISDN-Primärmultiplexanschluss die Zahlungsaufforderungen für einen symmetrischen DSL-Anschluss und den VoIP-Provider ins Haus flattern. Außerdem beklagt sich der Administrator über die zusätzliche Arbeit, die die Konfiguration des VoIP-Netzes mit sich bringt.

Hier lesen Sie ...

- woran es bei VoIP noch krankt;

- warum Abwarten eventuell die bessere Lösung ist;

- wie Anwender mit VoIP in eine neue Abhängigkeit geraten;

- welche Komfortmerkmale bei VoIP noch fehlen.

Hier nutzt die günstige Flatrate für die Telefonie relativ wenig. Mehrere monatliche Grundgebühren für ISDN und VoIP werden nur sehr ungern gesehen. Die für VoIP notwendige DSL-Technik kostet eine Anschlussgebühr, hinzu kommen die Kosten für den Datenverkehr und die VoIP-Entgelte. Unter dem Strich bleiben nur wenige wirtschaftliche Anreize, um auf die neue Technik umzusteigen. Ob es wirklich eine Innovation ist, von der heute auf ISDN basierenden Technik auf VoIP mit einem ISDN-Anschluss zu wechseln, darf ebenfalls bezweifelt werden. Die komplette Ablösung des Primärmultiplexanschlusses durch DSL steht nämlich erst am Anfang. Zudem muss die neue Technik noch beweisen, ob mit ihr die gewohnte Verfügbarkeit erzielt werden kann.

Kundenbindung aus Sicht der Anbieter

Richtig zum Ärgernis wird der neue Anschluss aber dann, wenn der Provider spezielle Funktionen bereithält. Die Enhanced Symmetrical Digital Subscriber Line (ESDSL) ist so ein Fall. Der um proprietäre Ergänzungen erweiterte DSL-Anschluss ist so gestaltet, dass ein Wechsel zu einem anderen Provider mit eventuell besseren Serviceleistungen nur mit einem Hardwarewechsel und Eingriffen in der Telefonanlage vorgenommen werden kann.

Aber die Anwender sind diese Art der Kundenbindung ja gewohnt. So wurden beispielsweise am Anfang der VoIP-Euphorie hybride Anlagen propagiert, die eine Migration erleichtern sollten. Hybride Anlagen besitzen neben den klassischen ISDN-Verbindungen auch Ethernet-Steckplätze, um etwa die alten Telefone und neue VoIP-Geräte parallel zu betreiben. Die Technik zementierte aber die Abhängigkeit vom alten Hersteller, da die alten Geräte nur mit der hybriden Anlage des bisherigen Anbieters funktionierten. Das Thema Telefone ist einer der absoluten Schwachpunkte von VoIP. Vor VoIP sprachen die Hersteller immer dann von Systemtelefonie, wenn firmeneigene Standards die Funktionen im Telefon bereitstellten. Daran hat VoIP nichts geändert. Zwar gibt es offizielle Verlautbarungen der Marktführer, den SIP-Standard zu unterstützen, doch klammheimlich werden weiter proprietäre Signalisierungsverfahren verwendet.