"Wahrnehmung der Menschen ist entscheidendes Kriterium"

Gewagte Vermutung: Naturgetreue virtuelle Welten sind absehbar

07.04.2008
Von pte pte
Bereits in wenigen Jahren werden virtuelle Welten möglich sein, die durch nichts mehr von der tatsächlichen Realität zu unterscheiden sind. Das behauptet zumindest Michael McGuigan, Forscher am Brookhaven National Laboratory in New York.

Schon heute sei es McGuigan zufolge kein Ding der Unmöglichkeit mehr, digitale Umgebungen so zu gestalten, dass sie sich für das menschliche Auge nicht mehr von der ursprünglichen realen Welt unterscheiden lassen. Das Problem liege bislang lediglich noch darin, dass die Entwicklung derartiger Szenerien in der Regel viele Stunden an Renderarbeit benötigen. Es genüge seiner Meinung nach deshalb nicht, nur fotorealistische Grafiken zu produzieren. Eigentliches Ziel müsste es vielmehr sein, eine Software zu entwickeln, die solch naturgetreue Umgebungen in Echtzeit umrechnen kann.

Um die derzeitigen grafischen Möglichkeiten einem ultimativen Test zu unterziehen, hat McGuigan den am Brookhaven National Laboratory (BNL) stationierten Supercomputer Blue Gene/L dazu verwendet, um eine fotorealistische virtuelle Umgebung berechnen zu lassen. Der Supercomputer, der aktuell als einer der stärksten Rechner der Welt gilt, erreicht durch die parallele Verbindung von 36.864 Prozessoren eine Rechenkraft von 103 Teraflops, das entspricht 103 Trillionen Gleitkommaoperationen pro Sekunde. Besonderes Augenmerk legte McGuigan dabei auf die Fähigkeiten von Blue Gene/L, verschiedene in der Natur zu beobachtende Lichteffekte nachzustellen. Dabei stellte sich heraus, dass der Supercomputer mit konventioneller Software rund 822-mal schneller natürliche Lichtberechnungen durchführen konnte als ein durchschnittlicher Standard-PC. Trotz diesen gewaltigen Unterschieds sei es laut McGuigan allerdings immer noch nicht möglich, die Renderprozesse tatsächlich in Echtzeit durchzuführen. In wenigen Jahren jedoch, so schätzt der Forscher, werden weiterentwickelte Supercomputer diese Aufgabe endgültig gelöst haben.

"Im Grunde gibt es heute bereits viele virtuell erstellte Grafiken, die vom menschlichen Auge nicht mehr von der Realität zu unterscheiden sind", erklärt Reinhard Klein, Leiter der Arbeitsgruppe Computer Grafik am Institut für Informatik II der Universität Bonn, im pressetext-Gespräch. Die Forschung sei aber insgesamt in vielen Bereichen bei weitem noch nicht so weit, wie sie eigentlich sein sollte. "Entscheidendes Kriterium in diesem Zusammenhang ist die unterschiedliche Wahrnehmung der Menschen", meint Klein. So würde ein speziell geschultes Auge oft Unterschiede zwischen Original und virtueller Kopie feststellen, die vorher niemandem aufgefallen seien. "Je weiter wir mit unserer Forschung kommen, desto eher kommen wir auch mit Experten aus verschiedenen Bereichen in Berührung, die uns auf falsch dargestellte Details aufmerksam machen", erläutert Klein. Auf diese Weise würden oft Fehler festgestellt, die vorher nicht einmal durch Messgeräte aufgefallen waren.

"Ein zweites großes Problem sehe ich darin, dass wir zur Zeit noch über kein geeignetes Werkzeug verfügen, um die uns umgebende Welt im Detail nachmodellieren zu können", ergänzt Klein. Die erforderlichen Daten hierfür könnten einfach noch nicht schnell genug generiert werden. "Die einzelnen Aspekte, die bestimmen, wie ein Mensch etwas wahrnimmt, sind unglaublich vielfältig. Will man die Natur eins zu eins virtuell darstellen, müssten alle Faktoren in das Computerabbild miteinbezogen werden. Die so entstehende Datenmenge wäre riesig", stellt Klein fest. Die anfallenden Renderingzeiten seien in dieser Hinsicht vergleichsweise unproblematisch. "Wir werden in fünf Jahren zwar vermutlich bereits wesentlich weiter sein. Insgesamt glaube ich aber, dass doch noch viele Puzzleteile auf dem Weg zu einer 100-prozentig naturgemäßen Darstellung von virtuellen Welten fehlen", so Klein abschließend. (pte)