IPv6: Der fast vergessene Jubilar

13.12.2005
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Das neue Internet Protocol erobert über die asiatische Hintertür das globale Netz.

Vor zehn Jahren wurde IP Version 6 (IPv6) als Nachfolger des Internet Protocol v4 aus der Taufe gehoben. Mit zahlreichen technischen Neuerungen sollte das auch gerne als IP NG (Next Generation) bezeichnete Protokoll den Datenaustausch im globalen Netz verbessern. Überzeugt von den technischen Vorzügen der sechsten Protokollgeneration, prophezeiten gar einige Analysten für das Jahr 2006 den großen IPv6-Rollout.

Hier lesen Sie...

  • wie IPv6 durch die Hintertür Einzug hält;

  • welche Vorteile das neue Protokoll bietet;

  • wer es bereits nutzt;

  • was heute bei Investitionsentscheidungen zu bedenken ist.

Doch mittlerweile scheint das einst gefeierte Protokoll, zumindest in der westlichen Welt, vom Radar vieler IT-Manager verschwunden und sein zehnter Geburtstag vergessen zu sein. Kaum ein Anwender berücksichtigt bei seiner Netzplanung den Jubilar. Dabei könnte das Protokoll schneller als von vielen gedacht durch die Hintertür über Asien im globalen Netzverbund Einzug halten.

Aufgrund des IPv4-Adressmangels spielt Asien bei der IPv6-Einführung eine Vorreiterrolle.
Aufgrund des IPv4-Adressmangels spielt Asien bei der IPv6-Einführung eine Vorreiterrolle.

Die Asiaten haben nämlich mit einem der Schwachpunkte von IPv4 massiv zu kämpfen: Ihnen gehen die verfügbaren IPv4-Adressen aus, während IPv6 einen aus heutiger Sicht fast unendlichen Vorrat offeriert. Zwar bietet IPv4 theoretisch rund vier Milliarden IP-Adressen, doch ein Teil davon ist in der Praxis nicht nutzbar, da er für Sonderaufgaben wie Multicast (= Versand von Daten an eine Gruppe von Empfängern) oder Mehrpunktverbindungen reserviert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass den ersten großen, meist amerikanischen Teilnehmern am Internet riesige Adressbereiche - die begehrten Class-A-Netze mit je 16,8 Millionen Adressen - zugeteilt wurden, die sie aber kaum voll ausnutzen. Ingesamt haben die Amerikaner fast 70 Prozent aller IPv4-Adressen für sich reserviert. Den Rest der Class-A-Netze haben die Europäer in Beschlag genommen - mehr als sie brauchen: In der Alten Welt sind noch mehr als 50 Prozent der zugeteilten Adressen frei.

Anders sieht es dagegen für Internet-Späteinsteiger wie Südamerika und vor allem Asien aus. So mancher US-amerikanische Provider besitzt so viele Adressen, wie für ganz Asien zur Verfügung stehen. "Aufgrund dieser Limitierung geht in Asien", so berichtet Uwe Nickl, deutscher Geschäftsführer bei der global agierenden Level 3 Communications, "der Trend dahin, bei Netzneubauten IPv6 einzusetzen." Ein prominentes Beispiel ist etwa NTT Japan. Der Carrier verwendet in seinem Backbone bereits das neue Protokoll. Und für Marc Bruchhäuser, Operations Manager beim virtuellen Netzbetreiber Vanco in Deutschland, könnte China beispielsweise ein Markt sein, der die Einführung von IPv6 vorantreiben wird, denn "alleine bis zu den Olympischen Spielen im Jahr 2008 soll die Zahl der vernetzten Kunden dort auf 800 Millionen steigen".

Neben der Adressfrage, die mittlerweile eher wirtschaftspolitische Dimensionen annimmt, wurden in den 90er Jahren immer wieder technische Gründe dafür angeführt, warum ein neues IP erforderlich ist. So sollte der Newcomer vor allem mit Features wie Quality of Services (QoS), Multicast oder Mobile IPv6 - also eine gemeinsame IP-Adresse für das Heimnetz und mobile Endgeräte - oder IP-Headern mit einer festen Länge die Anwender zur Migration bewegen. Letztere Funktion sollte etwa die Router von der Aufgabe befreien, überlange Pakete selbst zu fragmentieren, und so zu mehr Performance in den IP-Netzen beitragen.