Piraten im Bundestag

Jörg Tauss springt bei der SPD von Bord

22.06.2009
Der Überraschungscoup ist gelungen. Der unter Kinderpornographie-Verdacht stehende SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss hat sich der Piraten-Partei angeschlossen.

Wenige Wochen vor Ende der Legislaturperiode hat die SPD einen Abgeordneten im Bundestag verloren, der allerdings bei vielen Genossen schon länger nicht mehr wohlgelitten war. Dafür hat die kleine Piratenpartei unverhofft einen Sitz im Parlament gewonnen - ganz ohne Wählervotum. "Piraten entern manchmal ein Schiff", sagt Jörg Tauss, der am Samstag seine Ankündigung eines Parteiwechsels in die Tat umsetzte und bei Kundgebungen in Berlin unermüdlich die schwarze Totenkopffahne schwenkte. Während der letzten Sitzungswoche will er nun als "erster Abgeordneter der Piratenpartei im Bundestag" Platz nehmen - damit gibt es dann drei Fraktionslose im Berliner Parlament.

Schon seit dem 5. März war die Politiker-Welt von Tauss nicht mehr in Ordnung. Nach Razzien in seinen Abgeordneten-Büros und Wohnungen in Berlin und Karlsruhe musste sich der Internetfachmann des Verdachts erwehren, kinderpornografisches Material besessen zu haben. Im Bundestag war der SPD-Politiker Fraktionssprecher für Bildung, Forschung und Medien - und hatte sich deshalb seit längerem mit dem wachsenden Problem der Kinderpornografie im Internet beschäftigt. Das bei ihm sichergestellte Material will der 55-Jährige ausschließlich für Recherchen gegen die Kinderporno-Szene benutzt haben. Noch ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Die Forderung nach einem sofortigen Verzicht auf sein Mandat hat der selbst ernannte Aufklärer zwar überstanden - und denkt auch jetzt nicht daran. Doch im Laufe der Monate musste er seine Ämter als medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion sowie als Generalsekretär der baden-württembergischen Sozialdemokraten abgeben. Schließlich wurde er auch zum Verzicht auf eine weitere Kandidatur für das Parlament gedrängt, in dem er seit 1994 saß. Tauss fühlte sich von der SPD zunehmend "gemobbt". "Die Fraktion hat sich von mir und meinen Positionen weit entfernt", stellt er nun nicht ohne Bitterkeit fest. In der Innen-, Rechts- und Internetpolitik gebe es in der SPD eine "schlimme Fehlentwicklung", die er nicht akzeptieren wollte.

Das Fass zum Überlaufen brachte die Zustimmung der SPD zur Sperrung von Internet-Angeboten mit Kinderpornografie am Donnerstag im Bundestag. Seit Bekanntwerden der Pläne von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte Tauss davor gewarnt, die freie Kommunikation im Internet zu behindern - zuletzt noch einmal in der SPD-Fraktionssitzung am vergangenen Dienstag. "Bei der Internet- Überwachung ist bei mir der Rubikon überschritten", macht Tauss klar. Doch außer ihm stimmten am Ende nur noch zwei weitere SPD-Abgeordnete gegen das Gesetz von "Zensursula", wie von der Leyen von Kritikern getauft wurde. Aus Enttäuschung über das SPD-Votum für die Netz-Sperren gab Tauss nun nach 38 Jahren Parteizugehörigkeit sein Mitgliedsbuch zurück. "Kein schönes Gefühl", räumt er ein.

Für die letzte Sitzungswoche des Bundestags vom 29. Juni bis 3. Juli hat der Neu-"Pirat" bereits um einen Extrastuhl gebeten. Bis zur Wahl am 27. September ist er neben dem früheren Linke-Abgeordneten Gert Winkelmeier und dem aus der CDU ausgetretenen Parlamentarier Henry Nitzsche der dritte Fraktionslose im Bundestag. Für die Piratenpartei will Tauss nicht kandidieren. Mit einem bundesweiten Stimmenanteil von 0,9 Prozent wie bei der Europawahl hat sie ohnehin keine Chancen auf einen Sitz. Doch Tauss verspricht, einen "munteren Internet-Wahlkampf" für die Piraten zu führen. Seine Fans lässt er über den Internet-Kurznachrichtendienst Twitter wissen: "Nehm jetzt bis Montag Auszeit. Für nächste Woche einige Ideen, die mit PP (Piratenpartei) zu klären sind."