Appell zum Popkomm-Auftakt

Schützt die Kreativen vor Piraten

09.10.2008
In den Berliner Messehallen unter dem Funkturm dröhnt und tönt es in diesen Tagen - es ist wieder Popkomm. In den Berliner Clubs lassen 400 Interpreten, Bands und DJs mit Gitarrenriffs und Elektrosounds die Wände wackeln.

Und selbst auf dem Weg zur Popkomm quer durch die Hauptstadt ist Musik allgegenwärtig - zumindest in den Gehörgängen Tausender nicht nur junger Menschen, die mit Ohrstöpseln bewehrt nicht dem Takt der Großstadt folgen, sondern ihrer eigenen Musikauswahl lauschen. Doch wie viele dieser Songs, die aus MP3-Playern und Handys schallen, gehören wirklich den Nutzern, sind von ihnen bezahlt und rechtmäßig erworben?

Nicht allzu viele, wenn man den Statistiken der Branche glauben darf: Auf rund 38 Millionen legal aus dem Internet heruntergeladene Songs kamen demnach im vergangenen Jahr 312 Millionen Lieder aus unerlaubten Tauschbörsen. Dazu kommen noch massenhaft im Kollegen-, Freundes- und Familienkreis kopierte CDs. Das Ergebnis: Seit der Jahrtausendwende haben die hiesigen Plattenfirmen fast 40 Prozent ihrer Umsätze verloren, die 2007 noch bei 1,65 Milliarden Euro lagen. Auch in diesem Jahr gehen Branchenexperten wieder von zwei, drei oder vier Prozent Minus aus.

Da kommt es gut an, wenn Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) zum Auftakt der 5. Berliner Popkomm eindringlich mahnt, vehement gegen die Musikpiraterie zu kämpfen. "Raubkopieren ist kein Kavaliersdelikt", sagte er am Mittwoch. Selbst bei kleinen Verstößen müsse das unerlaubte Brennen von Musik oder das Herunterladen von Songs aus illegalen Tauschbörsen geahndet werden.

Dem Musikmanager Dieter Gorny spricht er damit aus dem Herzen. Hatte doch der Popkomm- und VIVA-Gründer und heutige Chef des Bundesverbandes Musikindustrie noch am Vortag gesagt: "Der Begriff Bagatelle ist tödlich" - will heißen: Wer auch nur einen Song unerlaubt brennt oder aus dem Internet zieht, sollte mit Bestrafung rechnen, auch wenn es soweit meist nicht kommen müsse. "Der Versand von Warnhinweisen bei Internetpiraterie ist ein effizienter Weg zur Lösung des Problems", sagte er kürzlich der dpa. Umfragen in Frankreich und Großbritannien hätten gezeigt, "dass 70 bis 90 Prozent der Befragten nach einem ersten beziehungsweise zweiten Warnhinweis mit illegalen Downloads aufhören würden". Wer eine Dose Cola im Laden klaue, komme ja auch nicht ohne weiteres davon.

Das sieht die deutsche Justiz jedoch ein bisschen anders. Einige Bundesländer wollen kleine, private und nicht gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzungen im Internet nicht mehr strafrechtlich verfolgen - vermutlich auch, um sich vor einer Prozesslawine zu schützen. Immerhin hat der Musikverband im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben rund 40.000 Strafanträge wegen Verletzung des Urheberrechts gestellt. In 16.000 Fällen gab es Zivilverfahren.

Die Novelle des Urheberrechts vom April hat den Kreativen mehr Rechte eingeräumt, doch den Musikschaffenden geht das nicht weit genug. "Die politischen Rahmenbedingungen sind zum Zeitpunkt dieser Popkomm noch ein Problem. Wir haben eine sperrige Justizpolitik in Deutschland", sagt Gorny. So kritisiert die Musikindustrie, die Novelle sei zu schwammig. Zwar ermöglicht das Gesetz den Urhebern, direkt bei einem Internetdienstanbieter nach der Identität von Musikpiraten zu fragen, jedoch nur bei einem gewerblichen Ausmaß des Raubkopierens. Die Branche will aber auch Privatleute abschrecken. Außerdem ist die Herausgabe der Daten an einen richterlichen Vorbehalt geknüpft, und den gibt es nur in triftigen Fällen.

Gorny sieht durch einen zaghaften Urheberrechtsschutz die gesamte Kreativbranche in Gefahr. "Es geht dabei nicht nur um kulturelle Werte, die verloren gehen, sondern auch um Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft." Kreativität sei nun einmal die wichtigste Ressource der meisten europäischen Staaten. Andere Länder wie Großbritannien hätten dies längst erkannt und schützten ihre Kreativen und deren Produkte entsprechend. "Wir verlieren hier in Deutschland an Boden." (dpa/tc)