Überall schwarze Kassen

Halbzeit im Siemens-Prozess: Rolle der Ex-Führung bleibt im Fokus

13.06.2008
Auch zur Halbzeit im Siemens-Prozess bleibt die Frage nach der Rolle der früheren Konzernspitze in Deutschlands größtem Korruptionsskandal zentral.

Dass es bei Siemens ein verzweigtes System von schwarzen Kassen, Tarnfirmen und Scheinberaterverträgen gab, über das viele Jahre lang dubiose Provisionszahlungen in zahlreiche Länder abgewickelt wurden, hat an den bisher sieben Prozesstagen im Prinzip niemand bestritten. Von einer "Erosion jeglichen Rechtsbewusstseins aller Beteiligten" spricht deshalb mittlerweile der Vorsitzende Richter Peter Noll. Er hat nun zu klären, ob und wie viel die frühere Siemens-Führung um Ex-Vorstandschef Heinrich von Pierer von alldem wusste. Denn das dürfte auch bei der Urteilsfindung gegen den angeklagten früheren Manager der Siemens-Festnetzsparte ICN entscheidend sein. Allerdings ist die Zeugenliste mittlerweile arg ausgedünnt.

Erst am Mittwoch war bekannt geworden, dass nach den früheren Zentralvorständen Thomas Ganswindt und Heinz-Joachim Neubürger auch Pierer selbst nicht als Zeuge in dem Prozess aussagen will. Gegen den langjährigen Siemens-Lenker ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen einer Verletzung der Aufsichtspflicht. Mit Blick auf dieses sogenannte Ordnungswidrigkeitenverfahren mache Pierer daher von seinem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch, teilte sein Anwalt mit. Als prominente Zeugen bleiben damit noch der amtierende Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser, der am Montag vom Gericht erwartet wird, sowie der frühere Zentralvorstand Volker Jung, gegen den selbst im Siemens-Komplex ermittelt wird. Und natürlich der einst oberste Siemens-Korruptionsbekämpfer Albrecht Schäfer, der nach derzeitiger Planung am 17. Juli in den Zeugenstand treten soll.

Schon zum Prozessbeginn hatte der 57 Jahre alte Angeklagte beteuert, seinen Vorgesetzten seien die schwarzen Kassen im einstigen Siemens -Kommunikationsbereich Com, für deren Aufbau er verantwortlich gewesen sein soll, bekannt gewesen und dort geduldet worden. Disziplinarische Maßnahmen habe es deshalb aber nie gegeben. Zwischenzeitlich räumten auch Vertreter der Rechtsabteilung ein, von dubiosen Provisionszahlungen gewusst zu haben und ein früherer Mitarbeiter des Rechnungswesens bestätigte, er habe mit seinen Unterschriften solche Zahlungen mitveranlasst. Aber auch die Arbeit der Wirtschaftsprüfer war im Verlauf des Prozesses wiederholt ins Blickfeld gerückt. Sie hätten das Thema gekannt, seien aber nicht eingeschritten, hatte einer der Zeugen am zweiten Prozesstag erklärt.

Dass es sich bei Vorfällen in der früheren Siemens-Kommunikationssparte nur um einen Ausschnitt des kompletten Skandals handeln dürfte, hatte Staatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl im Prozessverlauf deutlich gemacht: Auch in anderen Siemens-Bereichen habe es Schmiergeld-Zahlungen gegeben, doch habe jeder Bereich seine "eigenen Modelle gehabt", erklärte sie.

Für den Korruptions-Experten Peter von Blomberg bestätigen sich damit die schlimmsten Befürchtungen: "Es hat sich bei Siemens nicht um Fehlleistungen einzelner Leute gehandelt, sondern offensichtlich um ein etabliertes System, das über die Jahre hinweg immer weiter verfeinert wurde", sagte der stellvertretende Vorsitzende von Transparency International Deutschland. Deshalb sei es "ganz schwer vorstellbar", dass auch nur ein einziges Mitglied der einstigen Konzernleitung darüber nichts gewusst habe. Letztlich habe es sich aber wohl um eine Mischung aus "Wissen über Weggucken bis hin zu gesteuerter Unwissenheit" gehandelt, glaubt Blomberg. (dpa/tc)