Neue Urteile

Gerichte bewerten Freiberufler unterschiedlich

16.11.2010
Von Benno Grunewald
Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte durch drei Urteile vom 22. September 2009 die Grenzen freiberuflicher Tätigkeiten neu gezogen. Nun liegen erste Erfahrungen vor.
Foto: Falco - Fotolia.com

Zwei Fälle betrafen IT-Selbständige ohne akademischen Abschluss. Die Vergleichbarkeit ihres Wissens mit dem eines Ingenieurs hatten diese Selbständigen bereits im Verfahren vor dem Finanzgericht belegt. Im dritten Fall ging es um einen Diplomingenieur, bei dem sich die Frage des vergleichbaren Wissens daher nicht stellte.

Der BFH hat in allen drei Fällen die jeweiligen Tätigkeiten als ingenieurvergleichbar und damit als freiberuflich eingestuft. Dabei schuf er en passant in diesem Zusammenhang den neuen Begriff des Informatikingenieurs.

Freiberufler muss tief ins Detail gehen

Der BFH klassifiziert als freiberufliche Tätigkeiten: die Entwicklung von Betriebssystemen, ihre Anpassung an Kundenbedürfnisse, die rechnergestützte Steuerung, die Überwachung und Optimierung industrieller Abläufe, die Betreuung und Verwaltung von Firmennetzen und -Servern, die Anpassung vorhandener Systeme an spezielle Produktionsbedingungen und Organisationsstrukturen, die Bereitstellung qualifizierter Dienstleistungen sowie Benutzerservice und Schulung.

Weiterhin gelten als freiberufliche Arbeiten

• die Netz- und Systemadministration;

• die Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Rechnernetzen;

• die Bewertung der Energieeffizienz bestehender Systeme;

• die Entwicklung und Anpassung von Software;

• die Fehleranalyse und -beseitigung sowie

• die Projektleitung

Die Finanzämter, die mit solchen Verfahren zu tun haben, setzen die Urteile unterschiedlich um. Manche lassen sich von den oben genannten Urteilen beeindrucken. Wenn der Selbständige seine Tätigkeit detailliert und plausibel darlegt und mit entsprechenden Dokumenten belegt, beschäftigen diese Ämter sich nicht sehr intensiv mit dem Wissensnachweis des IT-Spezialisten.

Finanzamt prüft intensiver

Andere Finanzämter prüfen die Tätigkeit nur noch oberflächlich, konzentrieren sich aber auf die Kenntnisse des Selbständigen. Da die neuen Urteile nur wenig Änderung bringen, gilt die bisherige Rechtsprechung: Der Selbständige muss Kenntnisse nachweisen, über die auch ein Diplomingenieur oder Diplominformatiker (FH) verfügt. Hier kommt es durch die neuen Urteile sogar zu einer Verschlechterung der Situation, weil das Finanzamt den Wissensnachweis intensiver als früher prüft.

Einige Finanzämter interpretieren die Urteile außerdem ausgesprochen individuell, um sie nicht auf den Einzelfall anwenden zu müssen. So machte ein Finanzamt die Anerkennung der Freiberuflichkeit unter anderem davon abhängig, dass selbstentwickelte Hilfs- und Dienstprogramme eingesetzt werden und dass der Selbständige bei der Softwareanpassung auf Eigenentwicklungen zurückgreifen muss. Hier handelt es sich um krasse Überinterpretationen der BFH-Urteile, die am eigentlichen Gehalt der Entscheidungen vorbeigehen.

Bei den Finanzgerichten ist oft zu beobachten, dass Richter versuchen, die Verfahren mittels der neuen BFH-Urteile schneller vom Tisch zu bekommen. Sie weisen das Finanzamt auf die verbesserten Chancen der klagenden Selbständigen hin, um es zum Nach- beziehungsweise Aufgeben zu bewegen.

Die Finanzgerichte haben gegenüber den ordentlichen Gerichten wie Amts- oder Landgericht einen Aufklärungsauftrag. Dies bedeutet, dass Finanzgerichte entscheidungserhebliche Tatsachen teilweise selbst aufklären müssen. Und da die Tätigkeiten hierfür keinen großen Spielraum mehr bieten, kann es dazu kommen, dass das Finanzgericht den Kenntnisstand der IT-Selbständigen intensiver erforscht als sonst.

Anerkennung kann leichter werden

Die drei neuen BFH-Urteile weiten den Begriff der ingenieurmäßigen, freiberuflichen qualifizierten Tätigkeiten erheblich aus. Dies bietet IT-Selbständigen deutlich bessere Chancen auf die Anerkennung als Freiberufler. Die Praxis belegt dies. Trotz dieses Wandels müssen Tätigkeit und Wissen aber nach wie vor plausibel dargelegt und begründet werden. Diese Aufgaben nimmt der BFH den Selbständigen nicht ab. Die Anerkennung als Freiberufler bezüglich der ausgeübten Tätigkeiten ist zwar leichter geworden, nach wie vor aber kein Automatismus.