Arbeite mit wem, wann und wo du willst

10.01.2007
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Arbeiten via WLAN und UMTS, von jedem Ort der Welt und stark fragmentiert. Wilhelm Bauer, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), skizziert im Gespräch mit CW-Redakteur Hans Königes die Welt der "New Work".

CW: Was beeinflusst unsere Arbeitswelt am stärksten?

BAUER: Ich sehe drei treibende Kräfte. Zum Ersten verändert der zunehmende internationale Wettbewerb unser Leben nachhaltig: Der Innovationsdruck steigt ständig, die Anforderungen an bessere und effizientere Prozesse wachsen, und von den Menschen werden immer mehr Kompetenzen und hohe Einsatzbereitschaft erwartet. Zum Zweiten erfordert die demografische Veränderung in den entwickelten Gesellschaften, die Arbeit anders zu gestalten. Diese sollte auf "Diversity" ausgerichtet sein und jung wie alt, Frauen wie Männer sowie verschiedene Kulturen berücksichtigen. Zum Dritten werden auch technische Innovationen die Arbeit beeinflussen. Die kommenden Entwicklungen durch das Web 2.0, aber auch Innovationen im Kontext von Usability und mobiler Vernetzung lassen hier eine weitere dramatische Veränderung des Arbeitslebens erwarten.

CW: Wie wird IT unsere Art zu arbeiten konkret verändern?

BAUER: Sie schafft ganz neue Möglichkeiten zum gemeinsamen, vernetzten Arbeiten: über Gruppen-, Abteilungs-, Unternehmens- sowie über Länder- und Zeitgrenzen hinweg. Die Anforderungen an die Büros ändern sich in der Wissensgesellschaft erheblich. Die wesentlichen Koordinaten der Arbeit verschieben sich: Ort, Zeit und Struktur. Viele Menschen arbeiten heute im Wechsel an verschiedenen Orten: am Büroarbeitsplatz, im Besprechungsraum, im Auto, in der Bahn und im Flugzeug mittels WLAN und UMTS beziehungsweise am Bahnhof, am Flughafen und im Café über entsprechende Access Points, aber auch beim Kunden, beim Lieferanten und immer öfter von zu Hause via Virtual Private Networks. Und dies zu den unterschiedlichsten Zeiten. Wir wechseln die Arbeit auch häufiger, manche den Arbeitgeber, andere mindestens die Abteilung oder das Projektteam. Diese zunehmende Dynamik und die dadurch nötige persönliche Flexibilität sind die wichtigsten Veränderungen, auf die sich die Menschen einstellen müssen.

CW: Die technischen Möglichkeiten in puncto mobiles und kollaboratives Arbeiten sind zweifelsohne gegeben. Wo und wie oft findet aber in der Praxis die propagierte flexible Teamarbeit via Instant Messaging oder WLAN tatsächlich statt?

Wilhelm Bauer, IAO: Die technischen Möglichkeiten allein garantieren noch keine Anwendung.
Wilhelm Bauer, IAO: Die technischen Möglichkeiten allein garantieren noch keine Anwendung.

BAUER: Na ja, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Aber Sie haben Recht: Die technischen Möglichkeiten allein garantieren noch keine Anwendung. Unsere Office-21-E-Work- Studie hat gezeigt, dass die Nutzer für neue Technologien erst gewonnen werden müssen. Das geht nicht von selbst. Man muss dafür sorgen, dass über Training und gezieltes Heranführen die anfänglichen Hemmschwellen überwunden werden. Einfaches Learning-by-doing reicht nicht. Hier sind die Fachleute der IT-Abteilungen und auch das Management gefragt. Letztlich gilt auch für „New Work“: Gute Planung und zielsicheres Management sind der Schlüssel zum Erfolg.

CW: Was verstehen Sie unter New Work?

BAUER: Es gibt schon konkrete Hinweise darauf: mehr Eigenverantwortung statt straffe Führung, Team- statt Einzelarbeit, an Ergebnissen statt an Anwesenheit orientierte Honorierung von Arbeit. Insgesamt kann man New Work auch mit dem Slogan umschreiben: "Arbeite mit wem, wann und wo du willst".

CW: Welche Folgen hat New Work für die Mitarbeiter?

BAUER: Arbeit wird sich immer weiter fragmentieren. Komplexität zu beherrschen bedeutet stärker vernetztes Arbeiten, Bündelung von Kompetenzen und Zusammenarbeit unterschiedlicher Qualifikationen. Der Einzelne hat mehr Möglichkeiten, sich nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Gegebenheiten hin zu organisieren. Mehr Freiheiten zu haben, wann und wo man arbeitet bedeutet aber auch, selbst Verantwortung dafür zu übernehmen, nicht zu viel zu arbeiten, sich nicht über das sinnvolle Maß zu stressen und auch für die geleistete Arbeit die entsprechende Honorierung einzufordern. Zielvereinbarung und Selbst-Management sind hierzu geeignete Instrumente.

CW: Hat die vielbeschworene Work-Life-Balance angesichts des steigenden Drucks im Job eine Chance?

BAUER: Ja. Es hat ja schon etwas, sich die Zeit selbst einteilen zu können. Man kann zum Surfen gehen, wenn der Wind bläst, und nicht wenn die Stempeluhr es zulässt. Man kann dann arbeiten, wenn man dazu richtig Lust hat, wenn es gerade gut läuft oder wenn es eben viel zu tun gibt. Voraussetzung dafür ist, dass man sich selbst gut organisiert. Sonst besteht die Gefahr, dass man sich so sehr vom Job vereinnahmen lässt, dass für die anderen Dinge des Lebens zu wenig Zeit übrig bleibt.

CW: Der ominöse Wissensarbeiter nimmt in der Arbeitswelt von morgen eine zentrale Rolle ein. Was kennzeichnet ihn eigentlich?

BAUER: Wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen, müssen wir Höchstleistungen bringen und Innovationen in schneller Folge umsetzen. Wichtigste Voraussetzung für Innovation sind die Steigerung der Kreativität und der Zugang zu Wissen. Durch die Vernetzung der Mitarbeiter mit Hilfe moderner Kommunikationstechniken lassen sich die kreativen Potenziale viel rascher und wirksamer erschließen als bisher. Ein erfolgreich etabliertes Wissens-Management in Unternehmen ist von drei Faktoren geprägt: den Menschen, der Organisation und der Technik. Wir müssen Wissen an jedem Ort zu jeder Zeit zur Verfügung stellen. Wissensarbeiter der Zukunft werden demnach gut ausgebildet sein und sich lebenslang weiterqualifizieren müssen. Sie arbeiten verstärkt in Netzwerken und Teams, und sie nutzen in hohem Maße Informations- und Kommunikationstechnologien für ihre Arbeit.

CW: Wie wird Wissensarbeit den Arbeitsplatz verändern?

BAUER: In Zukunft werden die Mitarbeiter nicht mehr an Einzelbildschirmen, sondern in vernetzten Multimedia-Umgebungen arbeiten. Die Besprechungsräume werden von großen Projektionsflächen geprägt sein, an denen unterschiedliche Mitarbeiter - auch durch Telepräsenz hinzugeschaltet - interaktiv alle Informationen bearbeiten können. Eine gerade abgeschlossene Studie aus Office 21 zeigt, dass viele Besprechungsräume den heutigen Anforderungen nicht mehr genügen und dass moderne Technologien und Medien bislang viel zu wenig genutzt werden. Dennoch verbringt der durchschnittliche Wissensarbeiter etwa ein Fünftel seiner Arbeitszeit in Besprechungen, Führungskräfte sogar bis zu 60 Prozent. Es lohnt sich also, hier wesentlich mehr zu investieren.

CW: Sind die Wissensarbeiter mehr als eine kleine Minderheit?

BAUER: Nach einer aktuellen Studie von McKinsey sind in den hoch entwickelten Industrieländern bereits 35 bis 45 Prozent der Mitarbeiter mit komplexen Interaktionen beschäftigt. Auch unsere Studien bestätigen, dass Wissensarbeit erheblich zunimmt, wohingegen einfache Sachbearbeitung mit großen Routineanteilen immer mehr automatisiert wird beziehungsweise verschwindet.

Arbeit der Zukunft

Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) beschäftigt sich seit zehn Jahren im Rahmen des Projekts Office 21 damit, wie wir in Zukunft arbeiten werden. In diesem Forschungsprojekt, in dem die Stuttgarter Wissenschaftler mit großen Unternehmen wie Deutsche Bank, Fujitsu-Siemens, Microsoft und der Telekom zusammenarbeiten, haben sie eine Veränderung der Arbeit in der Informations- und Wissensgesellschaft nachgewiesen. Institutsdirektor am IAO ist seit 2003 Wilhelm Bauer, der in Stuttgart studierte und in Arbeitswissenschaft promovierte.

CW: Ungeachtet der Zunahme an hoch qualifizierten Tätigkeiten geht die Zahl der Ingenieur- und Informatikerstudenten zurück. Wie lässt sich dieser Trend umkehren?

BAUER: Ein Kochrezept gibt es dafür nicht. Wir brauchen eine verstärkte öffentliche Debatte über diese Themen, die ja schon begonnen hat. Die Bundesregierung hat einen Innovationsrat eingerichtet, nach dem Pisa-Schock sprechen wir zumindest mal über eine Bildungsoffensive, und die Hochschulen versuchen sich in Richtung Exzellenz zu bewegen. Insgesamt müssen wir es schaffen, wieder eine Technikaffinität zu erzeugen. Hierzu braucht es noch eine echte Werbekampagne, vielleicht in der Fortsetzung der "Du bist Deutschland"-Initiative des Rats für Innovation. Wir müssen uns mal wieder an unsere Wurzeln hier in Deutschland erinnern, an die Daimlers, Boschs, Zuses und andere. Denn von deren Erfolgen und Leistungen leben wir heute noch immer sehr gut. Wenn es so bleiben soll, müssen wir zurück zu dieser Mentalität von Forschergeist und Unternehmertum.

Hier lesen Sie

  • welches die treibenden Kräfte sind, die unsere Arbeitswelt verändern;

  • was "New Work" auszeichnet und den Unterschied zu "Old Work" ausmacht;

  • wann die Work-Life-Balance trotz steigenden Drucks eine Chance hat.