CIOs wehren sich: IT ist keine Wachstumsbremse

02.10.2007
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Einer Studie von A.T. Kearney zufolge klagen europäische Topmanager über mangelhafte Unterstützung der Unternehmensziele.

Sechs Prozent Umsatzwachstum pro Jahr gehen den Unternehmen verloren, weil ihre IT den Geschäftsanforderungen nicht im erforderlichen Maß entspricht. Allein in Deutschland ergibt sich daraus ein nicht erzielter Umsatz von 50 Milliarden Euro, so behauptet die Management-Beratung A.T. Kearney in einer aktuellen Studie.

A.T. Kearney befragte 65 Topmanager aus den Bereichen Sales, Marketing und Unternehmensentwicklung nach ihrer Einschätzung der IT. Was die Berater zu hören bekamen, dürfte bei vielen CIOs für rote Ohren sorgen: Die Führungsetagen beklagen sich in erster Linie über mangelnde Unterstützung der IT bei wachstumsrelevanten Unternehmensfunktionen wie Business Intelligence (BI) und Customer Relationship Management (CRM).

Inkonsistent, langsam, zu wenig transparent

Vor allem im BI-Bereich werden Wachstumsinitiativen durch unzureichende IT-Unterstützung gehemmt (Durchschnittswert 5,6). Ähnliches gilt für Initiativen auf den Gebieten CRM (5,3), Pricing und Sales (4,4) sowie Product Lifecycle Management (4,1). Als die größten "Wachstumsblocker" erwiesen sich inkonsistente Daten (7,2), zu lange Reaktionszeiten der IT (6,3) und fehlende Transparenz über den konkreten wirtschaftlichen Nutzen der IT (6,1).

Kaum jemand evaluiert den Nutzen

"Die Gründe dafür liegen jedoch nicht nur in den IT-Abteilungen", räumt Marcus Eul, Partner bei A.T. Kearney und Experte für strategisches IT-Management, ein: "In den meisten Fällen sind die Anforderungen an die IT im Sinne der strategischen Unternehmensziele noch nicht ausreichend formuliert."

Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass 76 Prozent der befragten Unternehmen bei der Bewertung von IT-Projekten den Nutzen für das Unternehmen außer Acht lassen, so Eul weiter: "Am Ende eines IT-Projektes fragen sich die meisten zwar, ob das Projekt auch innerhalb des geplanten Zeit- und Budgetrahmens abgewickelt wurde, doch nur jedes vierte Unternehmen evaluiert den tatsächlichen Mehrwert seiner IT-Projekte."

Wachstumshebel? – Kostenfaktor!

Schuld am mangelnden Nutzenbeitrag der IT ist aus Sicht der A.T.-Kearney-Experten vor allem deren "klassische" Wahrnehmung als reiner Kostenfaktor. Die IT sei vielfach noch weit davon entfernt, als ein Wachstumshebel angesehen zu werden, konstatieren die Berater. Nur 19 Prozent der befragten Unternehmen involvierten die IT bereits in die Strategiephase von Wachstumsprojekten. In den meisten Fällen (33 Prozent) würden die IT-Verantwortlichen erst dann hinzugezogen, wenn die Planungsphase bereits abgeschlossen sei, nicht selten (19 Prozent) sogar erst dann, wenn es "nur noch" um die Implementierung gehe.

Dazu Holger Röder, Partner bei A.T. Kearney und Koordinator des Strategic Information Technology Competence Team in Zentraleuropa: "Klare Defizite existieren bei der Festlegung der Verantwortlichkeit für das Design der Geschäftsprozesse." Einerseits beanspruche die Geschäftsseite für sich, ihre Prozesse zu definieren, andererseits ziehe sie sich im Laufe einer Spezifikation zurück und überlasse die detaillierte Ausgestaltung der IT: "Bei der Analyse des Nutzenbeitrags fehlen damit die erforderlichen Spezifikation für einen gemeinsamen Business-Case zwischen Geschäft und IT."

Was die CIOs entgegnen

Ricardo Diaz-Rohr, Leiter Informationstechnik bei EnBW
Ricardo Diaz-Rohr, Leiter Informationstechnik bei EnBW
Foto: Diaz-Rohr

Diese Ansicht teilen auch die CIOs. Ricardo Diaz-Rohr, Leiter Informationstechnik beim Karlsruher Energieversorger EnBW, will überhaupt nicht bestreiten, dass die Zusammenarbeit zwischen IT und Business für jeden CIO eine "Challenge" sei. Aber aus seiner Sicht ist der Ausgangspunkt jeder Wachstumsinitiative das Business, während die IT vor allem eine unterstützende Funktion ausübe.

Das Business, im Fall CRM beispielsweise die Marketing-Abteilung, sollte wissen, dass es für eine schnelle Umsetzung seiner Anforderungen auf individuelle Prozesse verzichten muss, mahnt Diaz-Rohr: "Eine Standardlösung lässt sich in acht Wochen implementieren, aber man kann ein System beliebig komplex machen – und die Umsetzung sehr langwierig."

Für den CIO der EnBW geht die plakative Aussage der Studie deshalb am Thema vorbei. "Genauso könnte man sagen, der Finanz- oder der Personalbereich bremsen das Wachstum, weil sie nicht genügend Ressourcen bereitstellen. Letzten Endes kommt es auf eine möglichst gute Zusammenarbeit zwischen dem Fachbereich und diesen unterstützenden Einheiten an."

Andreas Dietrich, CIO der Schweizerichen Bundesbahnen
Andreas Dietrich, CIO der Schweizerichen Bundesbahnen
Foto: Andreas Dietrich

Auch Andreas Dietrich, CIO der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), sieht das Business in der Mitverantwortung. "Die heutigen Probleme in der IT haben ihren Ursprung in der gemeinsam mit dem Business verursachten Komplexität", erläutert er. Zur Zeit des E-Business-Booms habe die IT den Hunger des Business nach neuen Lösungen unter dem Time-to-Market-Druck mit nicht integrierten Systemen beantwortet. Damit habe sie sich Komplexität und langfristige Kosten "ans Bein gebunden". Im Zuge des wirtschaftlichen Abschwungs und nach dem Platzen der E-Business-Blase sei dann kein Geld dagewesen, um Ordnung zu schaffen. "Und unter diesem Zustand leiden heute die meisten größeren Firmen mit ihrer IT. Da gibt es nur einen Ausweg: Die IT braucht Zeit, Geld, Kraft und vor allem Unterstützung, um aus dieser Falle herauszukommen."

Die Kuh auf dem Surf-Brett

Martin Frick, CIO der Avis Europe, kann die Kritik der Fachbereiche ebenfalls nachvollziehen – zumindest teilweise. Nicht überall sei die IT bereits mit dem Business vernetzt. Vielfach arbeite sie daran, die Dinge richtig zu machen, anstatt die richtigen Dinge zu tun: "Die IT muss sich durch das Business führen lassen, und sie muss ihm Instrumente geben, mit dem es sie führen kann", konstatiert Frick. Zu diesen Instrumenten zählt er unter anderen Portfolio- und Architektur-Management.

Martin Frick, CIO der Avis Europe
Martin Frick, CIO der Avis Europe
Foto: Martin Frick

Allerdings gibt der Avis-CIO auch zu bedenken, dass sich eine über Jahrzehnte gewachsene IT kaum jemals so schnell bewegen kann, wie das Business es gern hätte: "You can bring a cow to the beach, but you cannot make her surf", scherzt er. Die meisten IT-Landschaften seien wegen ihrer gewachsenen Komplexität nun einmal träge – verglichen mit den Agiliätsanforderungen des Business.

Den Ausweg aus diesem Dilemma sieht Frick in der Gestaltung einer Integrations- und BPM-Architektur (Business Process Management): "Wir müssen die unterschiedlichen Zeitskalen entkoppeln", erläutert er, "dazu benötigen wir eine Zwischenschicht". Die Entscheidung darüber müsse jedoch gut überlegt sein. "Es hat keinen Zweck, einfach mal auf gut Glück in eine SOA oder einen BPM-Layer zu investieren. Der mittelfristige Zweck muss klar definiert sein."