Fehlerhafte Software: Projektvergabe an CSC steht in der Kritik

20.09.2007
Das hessische Kultusministerium hat das 20 Millionen Euro teure LUSD-Einzelprojekt womöglich entgegen gesetzlicher Vorgaben nicht ausgeschrieben. Mit CSC gibt es nur einen deutlich geringer dotierten Rahmenvertrag. In Hamburg läuft die Software problemlos.
Harald Lemke, CIO im Land Hessen: "Ich kenne kein komplexes Softwareprojekt, in dem es keine Änderungen oder Präzisierungen gegeben hat."
Harald Lemke, CIO im Land Hessen: "Ich kenne kein komplexes Softwareprojekt, in dem es keine Änderungen oder Präzisierungen gegeben hat."

Bis Freitagmittag soll die Kultusministerin Karin Wolff über die Vergabepraxis in dem Softwareentwicklungsprojekt LUSD (Lehrer- und Schülerdatenbank) aufklären. Eine entsprechende Anfrage hat die Landtagsfraktion der Grünen gestellt. Das LUSD-Projekt in Hessen steht in der Kritik. Es soll die Daten von rund 50.000 Lehrern und 200.000 Schülern an rund 2000 hessischen Schulen zentral verwalten. Allerdings klagen die Sekretariate über Datenverluste und Leistungsprobleme. Das Projekt hat ein Volumen von 20 Millionen Euro. Projektpartner ist der IT-Dienstleister CSC. Gegenüber der COMPUTERWOCHE sagte der kulturpolitische Sprecher der Grünen, Mathias Wagner: "Für das Einzelprojekt LUSD hat es keine Ausschreibung gegeben. Die Entwicklungsaufgabe wurde nur auf Grundlage eines Rahmenvertrags mit CSC vergeben." Nun soll die Ministerin Einsicht in die Unterlagen gewähren, die die Vergabegrundlagen beschreiben.

Rahmenvertrag umfasst nur sechs Millionen Euro

In der öffentlichen Verwaltung müssen Projekte ab einem Volumen von 200.000 Euro europaweit ausgeschrieben werden. Ob sich diese Regelung mit einem Rahmenvertrag umgehen lässt, ist offen. Laut Wagner umfasst die Rahmenvereinbarung mit CSC ein Projektvolumen von sechs Millionen Euro. "Dass innerhalb einer Rahmenvereinbarung Projekte über insgesamt 20 Millionen Euro vergeben werden, erscheint uns merkwürdig", wundert er sich.

Aus dem Projektumfeld ist eine andere Darstellung zu hören: Demnach ist CSC seit dem Jahr 2005 strategischer Partner für den Aufbau und den Betrieb des E-Government-Entwicklungscenters (EEC). Für das Projekt LUSD wurde mit CSC ein Rahmenvertrag über drei Jahre beziehungsweise bis Mitte 2008 vereinbart. Darin ist der Tagessatz für die Mitarbeiter und Berater von CSC auf 680 Euro gedeckelt.

Das ist ein ungewöhnlich niedriger Tagessatz. Der Marktdurchschnitt liegt einer aktuellen Erhebung des Analystenhauses Berlecon zufolge deutlich darüber. "Ein Tagessatz von 680 Euro entspricht allenfalls dem Niveau von Junior-Beratern beziehungsweise Berufseinsteigern, die Software entwickeln und Roll-out-Projekte begleiten", erläutert Andreas Stiehler, Senior Analyst bei Berlecon. Für erfahrene Mitarbeiter, die mit der Softwareeinführung betraut werden, berechnen IT-Dienstleister ihren Kunden üblicherweise rund 800 bis 900 Euro pro Tag, wobei große Anbieter wie etwa CSC mit ihren Preisen in der Regel über dem Durchschnitt liegen. Business- und IT-Consultants sowie Projektleiter und Spezialisten sind zum Teil noch erheblich teurer.

Die Aufwandsschätzung für die Entwicklung der LUSD-Software belief sich zunächst auf sechs Millionen Euro. "Bei einem solch niedrigen Tagessatz streben die Berater üblicherweise Mehrgeschäft durch zusätzliche Aufgaben an. Wenn die Meilensteine nicht sauber definiert werden, können Nachforderungen sehr teuer werden", schildert der Informant. Das ist offenbar auch geschehen. Bis dato hat das Land Hessen für die Entwicklung rund 20 Millionen Euro bezahlt.

Die Grünen werden am kommenden Dienstag im Rahmen der Landtagsfragestunde LUSD auf die Tagesordnung setzen und Kultusministerin Wolff zur Rede stellen. Die Oppositionspartei drängt beispielsweise auf einen finanziellen Ausgleich für die mit der fehlerhaften Software verbundene Mehrarbeit, möchte Details zu der Funktionsfähigkeit erfahren und wird erneut personelle Konsequenzen fordern. Gemeint ist Staatssekretär Joachim Jacobi (CDU). Er trägt nach Ansicht der Grünen die politische Verantwortung.

Fehlerhafte 3-Tier-Architektur

Der IT-Dienstleister CSC, Implementierungs- und Entwicklungspartner des hessischen Kultusministeriums, hat seinen Projektleiter bereits ausgetauscht. In einer Anhörung des kulturpolitischen Ausschusses zum LUSD-Thema habe man wortreich von Seiten der Behörde erfahren können, warum ein Neustart unter neuer Projektleitung sinnvoll sei, schildert Wagner. Demnach sei eine Ablösung in der Branche üblich, da sich der bisher verantwortliche Mitarbeiter ständig für alte Fehler rechtfertigen müsse und damit den Neustart des Projekts blockiere. "Was für die Entwicklungsfirma gilt, muss auch für das Kultusministerium möglich sein: den Verantwortlichen auszutauschen", meint Wagner.

Die kritisierte Lehrer- und Schüler-Datenbank: In Hessen bereitet ihre Implementierung Probleme. In Hamburger Schulen läuft sie nach Angaben der zuständigen Behörde fehlerfrei.
Die kritisierte Lehrer- und Schüler-Datenbank: In Hessen bereitet ihre Implementierung Probleme. In Hamburger Schulen läuft sie nach Angaben der zuständigen Behörde fehlerfrei.
Foto: Lehrer- und Schülerdatenbank

Aus dem Projektumfeld wurden mittlerweile Einzelheiten bekannt: Demnach ist die Ursache der Leistungsprobleme eine nicht sauber implementierte 3-Tier-Architektur aus Web-Client, Application- und Datenbank-Server. Im Lauf des Entwicklungsprojekts wurde Prozess- beziehungsweise Business-Logik auf dem Datenbank-Server statt auf dem Application-Server abgebildet. Eine Skalierung des Datenbank-Servers ist jedoch nur bedingt möglich beziehungsweise zu teuer. Sinnvoller wäre es, Lastspitzen am Application-Server abzufangen. Doch das lässt die derzeitige Implementierung nicht zu. "Das Problem besteht darin, dass bei hoher, aber vertragskonformer Beanspruchung der Datenbank-Server überlastet wird. Daraus ergeben sich Wartezeiten, die zu Timeouts der Client-Sessions führen, was in der Folge zum Verlust der eingegebenen Daten bewirken kann", schilderte Harald Lemke, CIO im Land Hessen, die Schwierigkeiten gegenüber der COMPUTERWOCHE.

Neues Release erscheint im Sommer 2008

Ein vom Land beauftragter unabhängiger Systemspezialist hat das System überprüft. Das Ergebnis ist, dass CSC unter neuer Projektleitung die Software grundlegend überarbeiten wird. Allerdings wird dies eine Weile dauern. Eine Installation mit gutem Laufzeitverhalten und verbesserter Handhabung kann das Kultusministerium den Anwendern erst für Sommer 2008 in Aussicht stellen. Kurzfristig wurde das System bereits so überarbeitet und stabilisieret, dass die häufigen Systemabstürze und unzumutbaren Wartezeiten der Vergangenheit angehören. Infolge der Probleme hat die Behörde den Stichtag für die diesjährige Schulstatistik vom 1. November auf den 20. November verschoben.

Ein CSC-Unternehmenssprecher räumte Leistungsdefizite ein, dementierte allerdings, dass die Schwierigkeiten allein der fehlerhaften, dreistufigen Installation geschuldet sind. "Eine reine 3-Tier-Architektur wird nicht alle Probleme lösen", warnte er. Probleme mit nicht ausreichend dimensionierten dezentralen Systemen und Netzen schloss Hessens CIO Lemke hingegen aus: "Die Schwierigkeiten haben nichts mit Leitungen oder Clients zu tun." Aus dem CSC-Umfeld ist darüber hinaus zu hören, dass die ständigen Nachforderungen aus dem Kultusministerium die Projektarbeit erschwert hätten. Auch diesen Vorwurf hält Lemke für haltlos: "Ich kenne kein komplexes Softwareprojekt, in dem es keine Änderungen oder Präzisierungen gegeben hat."

Hamburger Schulen arbeitet in Citrix-Umgebung

In Hamburg ist die LUSD-Software ebenfalls implementiert, bereitet aber offenbar keine Probleme. Sie läuft stabil und bietet eine relative gute Verfügbarkeit, erläuterte die Behörde für Bildung und Sport in Hamburg auf Anfrage der COMPUTERWOCHE. Allerdings ist dort eine alte Version im Einsatz, die bei einem Partner gehostet wird. Während Hessen mit Hilfe von CSC auf eine Web-basierende Ausführung setzt, arbeiten die Hamburger Schulen in einer Terminal-Server-Umgebung von Citrix und Microsoft. Zurzeit bereiten die Hanseaten eine grundlegende Überarbeitung der Software vor. "Für die Risikobetrachtung werden die Defizite unseres Partners aus Hessen von vornherein berücksichtigt", sagte ein Sprecher der Behörde. So sei beispielsweise das in Hessen gewählte Datenbank-Release bereits zu Beginn der Weiterentwicklung veraltet. "Die Entwicklungsfirma CSC wird in Hamburg nicht an den Start gehen", teilte der Sprecher mit. (jha)