Revival im Rechenzentrum?/Der Chief Information Officer bei FAG Kugelfischer

Zwischen zentraler Steuerung der IT und dezentraler Führungsorganisation

22.01.1999
Aus bedrohlichen Turbulenzen zu Beginn dieses Jahrzehnts ist eine stark dezentralisierte FAG hervorgegangen, die trotz Selbständigkeit der Business Units und Outsourcing eine zentrale Führung der IT behalten hat. Der Chief Information Officer (CIO), Jürgen Schmitt , beschreibt das Spannungsfeld, in dem er agiert.

Zu Beginn der 90er Jahre erlebte die FAG Kugelfischer Georg Schäfer AG die turbulenteste Zeit ihrer über 100jährigen Firmengeschichte. Aus einer tiefen, existenzbedrohenden Finanzkrise heraus gelang aus eigener Kraft und innerhalb kürzester Zeit ein Turn around.

Nahezu kein Stein blieb auf dem anderen. Am Ende dieses Veränderungsprozesses stand die "neue" FAG. Aus einem breit diversifizierten, traditionell geführten Familienbetrieb war ein auf die Kerngeschäfte Wälzlager sowie Näh- und Fördertechnik ausgerichtete Publikumsgesellschaft geworden.

Das Gesicht der neuen FAG prägt die dezentrale Führungsorganisation. Der wesentliche Ansatz in der Organisationsgestaltung sind rechtlich selbständige, funktional vollausgestattete Unternehmen, die in Geschäftsfeldern, sogenannten Business Units (BUs), aufgeteilt sind. In jeder übernimmt eine "Führungsgesellschaft" die Steuerung der zugeordneten in- und ausländischen Einzelgesellschaften.

Daß es in den Business Units nur drei Hierarchieebenen gibt, garantiert schnelle Entscheidungen. Hierbei liegt die Verantwortung bei den operativen Stellen, die das Tagesgeschäft gestalten. Alle Geschäftseinheiten mit Ausnahme der BU Komponenten, die allein die Teilezulieferung im Konzern sicherstellt, sind Global Player.

Im Prinzip ist die Grundstruktur der Business Units immer gleich organisiert. Neben der Geschäftsleitung gibt es zentrale Funktionen wie Personalwesen, Controlling, Kostenrechnung, DV/Organisation, Qualitäts-Management und Einkauf sowie die Bereiche Vertrieb und Produktion.

Die FAG-Holding konzentriert sich auf die strategische Führungsaufgabe; sie nimmt die notwendigen Konzernsteuerungsfunktionen wahr und sichert das übergreifende Konzerninteresse. Die Kompetenzabgrenzung zwischen der FAG-Holding und den operativen Geschäftseinheiten ist über eine Richtlinie klar geregelt.

Im Zuge der neuen strategischen Ausrichtung wurde die gesamte Informationsverarbeitung, ein DV-Bereich mit knapp 400 Mitarbeitern, in Form eines "Asset-Deal" an IBM verkauft. Deren 100prozentige Tochter IBB Informationssysteme Beratungs- und Betriebsgesellschaft mbH betreibt seit Juli 1993 das gesamte IT- Geschäft im FAG-Konzern. Der auf zehn Jahre geschlossene Vertrag wurde seither durch mehr als 50 weitere Einzelverträge erweitert. Die Vertragsgestaltung läuft ausschließlich zwischen IBB und der FAG-Holding.

Im Rahmen der FAG-Holding ist das Ressort Organisation/ IS-Politik angesiedelt, das Aufgabenfeld des CIO bei FAG. Zwei lebensnotwendige Funktionen für den Konzern werden hier verantwortet:

Erstens liefert das Aufgabenfeld Organisation die Rahmenbedingungen für die Gestaltung der Organisationsstruktur in der FAG-Gruppe. Alle eingesetzten Verfahren und Methoden, die Grundlagen zur Gestaltung der Informationsverarbeitung bei allen FAG-Gesellschaften werden vom Holding-Vorstand entschieden und über Richtlinien im Konzern verankert. Eindeutig ist dabei auch, daß die vorgegebenen Grundstrukturen die Prozeßorganisation in den einzelnen Business Units, zwischen diesen sowie zur Holding determinieren.

Zweitens liegt im Aufgabenfeld IS-Politik der strategische Ansatz zur Bestimmung der informationstechnischen Werkzeuge und der damit erzielbaren Nutzen- und Wertsteigerungen. Grundsätzlich ist das Verfahren zum Einsatz der IT-Anwendungen und -Plattformen so geregelt, daß der Holding-Vorstand entscheidet und die Durchsetzung über Verträge und Richtlinien in den Business Units sichergestellt wird.

Getragen wird diese Aufgabenzuordnung von der Erkenntnis, daß Organisationsstrukturen und Informationstechnologie im zeitlichen Ablauf parallele Entwicklungen aufweisen. Die Abkehr von einer Zentralmacht zu dezentralen und schließlich vernetzten Machtzentren ist in Organisation und Informatik nachvollziehbar (siehe Grafik oben).

Bei FAG wurde nach 1993 eine IT-Vision entwickelt, die heute Basis einer jeden IT-Entscheidung ist (siehe auch Kasten auf Seite 54). Abgeleitet aus dieser IT-Vision wird die IT-Strategie, die alle zwei Jahre auf dem Prüfstand steht. Aus der Konzernvorgabe leiten sich direkt Anforderungen an die Organisations- und Informationssysteme ab:

Die weltweit produktiven Applikationssysteme sind prinzipiell für Kunden und Lieferanten offen. Die im Konzern eingesetzte Software ist homogen, weltweit auf dem gleichen Stand, und alle dezentralen FAG-Standorte sind miteinander vernetzt. Folglich treffen die Benutzer immer auf gleiche Funktionsausprägungen, egal in welchem Land sie die integrierten Anwendungen benutzen. Der Unterschied liegt allein in der verwendeten Sprache.

Klar ist, daß die wichtigsten CIO-Aufgaben, Harmonisierung, Integration und Standardisierung von Hard- und Softwareplattformen sowie deren Weiterentwicklung, in der gesamten FAG-Welt eine permanente Herausforderung darstellen. Die ständig steigende Dynamik der sich wandelnden Anforderungen an die Informationstechnik potenziert diese noch und macht letztlich die Faszination der Aufgabe eines CIO aus.

So hat sich der Planungsansatz innerhalb der IT-Strategie immer mehr zu einem Gerüst von Grundsatzentscheidungen für den Konzern entwickelt. Dabei geht es allein um die Frage des Nutzens, der mit IT-Produkten erreicht wird. IT-Entscheidungen sind folglich immer auch Entscheidungen zu Strukturen und Prozessen.

Permanente Kommunikation im Holding-Vorstand, mit den Leitern sowie nahezu allen Managern in den Business Units sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor zur Durchsetzung der IT-Strategie.

Natürlich gibt es eine faktische Kraft der Verträge und der Richtlinien - nur: Wenn Manager von einer IT-Strategie und den eingesetzten Werkzeugen überzeugt sind, bringt dies eine erhöhte Geschwindigkeit in der Umsetzung, unproduktive Diskussionen werden vermieden. Die Folge ist also Zeitgewinn.

Gegenstand jeder Kommunikation zu IT-Themen ist auch die Vermittlung der Grundeinstellung, Informationstechnik als reine Infrastruktur zu sehen und zu (er)leben. Jeder DV-Mitarbeiter im FAG-Konzern weiß, daß Wettbewerbsvorteile nie aus einem IT-System heutiger Prägung erreichbar sind, wohl aber aus deren Gebrauch.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der IT-Strategie sind die dezentralen Org/DV-Einheiten in den Führungsgesellschaften der Business Units. Organisatorisch in deren Strukturen und Prozesse eingebunden, setzen sie die IT-Strategie im Produktivbetrieb und bei IT-Projekten in ihren Verantwortungsfeldern durch.

Die Leiter dieser dezentralen Organisationseinheiten steuert der CIO als ein virtuelles Team über verschiedene Ausschüsse und Projekte. Kern dieser Ausschußarbeit sind wiederum Kommunikation und Beteiligung bei der Entscheidungsfindung über Reviews, Task Forces, monatliche Einzelgespräche etc., an denen der CIO mitarbeitet.

Gleichzeitig wacht der CIO über den Outsourcing-Partner IBB, den alleinigen IT-Lieferanten im FAG-Konzern. Wesentlich für FAG ist dabei, daß der IT-Provider kalkulierbar handelt. Der Erfolg einer Outsourcing-Partnerschaft wird im wesentlichen an den Weiterentwicklungen in Form von gemeinsam und zeitgerecht implementierten Projekten gemessen. Der Systembetrieb der aktuell produktiven Anwendungen tritt dagegen klar in den Hintergrund. Dieses Schattendasein verändert sich nur bei Störungen.

Die Verbesserung der Performance durch Outsourcing ist auf der Kosten- und Leistungsseite meßbar. Die gesamte FAG-Gruppe hat seit 1993 die IT-Ausgaben von über 250 Millionen auf jetzt 100 Millionen Mark gesenkt, der Basis-Produktivbetrieb funktioniert mit einer Verfügbarkeit von mehr als 99 Prozent. Über 70 IT- Großprojekte wurden realisiert - alle im Zeit- und Kostenrahmen. Das hat es bei FAG bis 1993 so nicht gegeben.

Das Aufgabenfeld des CIO bei FAG umfaßt die Organisation und die IT-Gestaltung; somit steht diese Aufgabe für Wandel und Management der Veränderungen. Die Sicherstellung des "Organizational fits" in den dezentralen Organisationseinheiten bei allen zentralen IT- Entscheidungen und die Synthese von IT-Implikationen bei der lokalen Organisationsentwicklung spannen das Arbeitsfeld des CIO bei FAG auf.

Das heißt entsprechend der Marktdynamik ständige Bewegung. Der CIO als Mentor und Initiator des Wandels zeigt hierbei zwei Gesichter: Das eine ist das eines "Treibers", wenn strategische Grundsätze, Zeit- oder Budgetvorgaben verletzt werden. Die Basis dieser Einstellung ist das geschaffene Regelwerk, das eben von allen Managern und Mitarbeitern des Konzerns einzuhalten ist. Die Dynamik der Veränderungen schafft oftmals neue Regeln - dies wiederum nach einem festgelegten und beschriebenen Entscheidungsverfahren.

Das zweite Gesicht präsentiert den Moderator. Er ist dabei der überzeugte Verkäufer der IT-Strategie, in Konfliktfällen der Vermittler zwischen IT-Dienstleister und Holding oder Business Units. Schließlich ist der CIO auch "Einkäufer" von neuen Ansätzen, die Wandel, Veränderung und letztlich wieder Entscheidungsprozesse einleiten.

Zur Führung und permanenten Verfolgung der erreichten Fortschritte ist das Arbeitsfeld Organisation und Informationstechnik einmal im Monat Vorstandsthema. Nach einem festgelegten Verfahren werden Grundsatzentscheidungen, Projektberichte, Planungen, Budgets abgearbeitet und die CIO-Berichte über besondere Ereignisse kommentiert. Teilnehmer dieser Veranstaltung sind alle Holding- Vorstände, die Leiter der Business Units und der CIO.

Die Zusammenarbeit mit dem IT-Dienstleister IBB erfolgt nach den Festlegungen des Vertrags. Wöchentlich tagt das operative Steuerungsgremium (CIO und zwei Manager von IBB/IBM). Dauerthemen sind die weltweit eingesetzten Produktivsysteme im kommerziellen und technischen Bereich, Fragen der Rechenzentren und der dezentralen PC-Welten, die individuelle Datenverarbeitung (IDV) mit den Microsoft-Produkten sowie Internet und Intranet.

Im monatlichen Rhythmus werden die laufenden IT-Berichte zum Review aufgerufen. Grundsätzlich berichten die Projektleiter (pro IT-Projekt ist eine zweiköpfige Projektleitung mit einem FAG- und einem IBB-Mitarbeiter eingesetzt) an den CIO und das IBB-Vertrags- Management. Fallweise kommen je nach Projektverlauf Manager aus den Zielbereichen der Projekte hinzu.

Für mögliche Problemfelder ist das Eskalationsverfahren vertraglich geregelt. In der Praxis finden schon Klärungsgespräche zwischen dem CIO und dem IBB-Geschäftsführer, manchmal auch mit IBM-Verantwortlichen statt. Die Klärung der strittigen Punkte ist nahezu obligatorisch, weil als letzte Eskalationsstufe - das heißt, bevor das Ganze vor einem Gericht landet - dann der FAG- Vorstandsvorsitzende und der IBM-Geschäftsführer Deutschland den Konflikt lösen müßten.

Innerhalb des FAG-Konzerns erfolgt mit den dezentralen Business Units über den "Mittelfristplan" eine gemeinsame Ausrichtung in finanzieller und zeitlicher Hinsicht zu den anstehenden IT- Projekten. Die Verfahren zur inhaltlichen Festlegung dieser Planung sind so geregelt, daß die Geschäftseinheiten zunächst ihre Anforderungen festlegen und diese dann untereinander abstimmen; gleichzeitig erfolgt der Abgleich mit den Ideen und Ansätzen der Holding. Erst mit Übereinstimmung der Ansichten von Holding und Business Units endet dieses Verfahren.

Objekt dieser Planung ist auch der aktuelle und, wenn Veränderungen durch Projekte anstehen, der zukünftige IT- Produktivbetrieb. Die Planwerte des Mittelfristplans werden für die jährliche Budgetplanung aktualisiert und den Gesellschaften der Business Units zugeordnet. Im Regelfall gilt, daß Zukunftsprojekte bis zur Realisierung im Budget der Holding stehen. Die Generalverantwortung für IT-Investitionen, -Projekte und für den unterbrechungsfreien Betrieb der DV-Systeme einschließlich der laufenden Betriebskosten liegt beim CIO in der FAG-Holding.

Der Erfolg der bisherigen Projekte bestätigt die Entwicklung der letzten Jahre. Der 1993 gestartete Änderungsprozeß rollt weiter, denn in diesem rasanten Wechsel liegt die Chance für die Gestaltung der Zukunft. Doch bei aller gewollten weiteren Bewegung würde eine Reihe von Stabilisierungsprogramme gestartet, um das Erreichte zu sichern..

FAG-IT-Projekte

-Jahr 2000: kein Risiko bei der Kalenderumstellung

-Erweiterung und Verbesserung der Internet- und Intranet- Anwendungen

-Entscheidungssysteme zur Konzernsteuerung

-Integration der technischen Welt (PDM)

-Workflow-gestützte elektronische Archive

-Video-Conferencing und Business-TV

-Data-Warehouse

-E-Commerce-Anwendungen

-Elektronische Kommunikationsmärkte

Die IT-Vision von FAG

-Die Informationstechnik ist eine notwendige Infrastruktur, die jeder Manager und Mitarbeiter im Konzern permanent nutzt, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Die FAG-Organisationseinheiten sind weltweit miteinander vernetzt. Über externe Netzwerke sind Kunden, Händler, Lieferanten und Behörden mit dem Unternehmen verbunden.

-Die Arbeitsplätze der Mitarbeiter sind durch die funktionsbezogene Ausstattung mit Informationstechnik gekennzeichnet.

-Eingesetzt werden Standardprodukte der Weltmarktführer, sowohl bei Soft- als auch bei der Hardware.

-Die Verbundvorteile zielen auf Synergie, Kostenminimierung und die Verkürzung des Zeitaufwands bei Veränderungen.

-Kommerzielle und technische IT-Welten sind datenmäßig integriert; die weltweiten Steuerungssysteme ziehen Daten aus den operativen (kommerziellen) Systemen. Die Datenhaltung ist weltweit konsistent und basiert auf einem einheitlichen Sprachhaushalt.

-Die Informationstechnik ist Basis für die Steigerung der Unternehmens-Performance.

Angeklickt

Rezentralisierung der DV, während allerorten von Dezentralisierung der Unternehmensstrukturen die Rede ist? Der allgegenwärtige Konzernchef tritt ab - und wünscht einem wiedererstarkten DV- Leiter alten Schlages viel Glück? Nur keine nostalgischen Hoffnungen! Der neue Chef der IT ist kein allmächtiger Oberkommandierender einer zentralen DV, deren Arbeit undurchsichtig ist. Hier berichtet ein CIO neuen Typs, welche Rolle und Aufgaben er in der Gesamtleitung einer entlang der dezentralen Strukturen eines Unternehmens organisierten DV wahrnimmt.

Hinweis

Bei diesem Betrag handelt es sich um die stark gekürzte und auf diesen Schwerpunkt hin überarbeitete Version eines Vortrags, den der Autor beim 5. RZ- und IT-Leiter-Forum vom 2. bis 5. Februar 1999 im Hotel Park Hilton, München, halten wird. Interessenten wenden sich bitte an den Veranstalter Institute for International Research, Sulzbach/Taunus, Projektleiterin Kerstin Zabel, Telefon: 06196/585-272.

Jürgen Schmitt ist CIO und Generalbevollmächtigter der FAG Kugelfischer Georg Schäfer AG im Ressort Organisation/IS-Politik in Schweinfurt.