Historischer Abriß über die verschiedenen Phasen der Technikkritik:

Zwischen Fortschrittshoffnung und Zukunftsangst

22.04.1988

Dr. Rolf Peter Sieferle ist als Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Konstanz tätig. Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den der Autor anläßlich der Fuschl-Gespräche der Hoechst AG im vergangenen Jahr gehalten hat. Nachdruck aus IBM-Nachrichten Nr. 292, März 1988 mit Genehmigung der IBM Deutschland.

Die Angst vor der Technik ist kein Phänomen unserer Zeit. Nahezu jede technische Leistung, wie der Turmbau zu Babel, die Flugversuche des Ikarus, die Erfindung der Dampfmaschine oder die Entwicklung der Gentechnologie, ist von dem magischen Schauer umhüllt, den die Verbindung mit finsteren Mächten und die Herausforderung der Naturordnung vermittelt. Der Autor geht den Zweifeln nach, die im Laufe der Jahrhunderte an den Fortschritten der Technik laut geworden sind.

Ein erster Blick in die Vergangenheit erweckt den Eindruck, als handle es sich bei der Ablehnung technischer Neuerungen um eine Konstante in der Geschichte. Die Kritik an der Technik scheint so alt zu sein wie die Technik selbst. Und in der Tat sind uns aus fast allen Hochkulturen der Vergangenheit Stimmen überliefert die sich skeptisch über den Nutzen von Erfindungen äußern oder die zumindest Technik in ein dämonischunhheimliches Licht stellen. In Mythen ist die Angst vor menschlicher Hybris ablesbar, vor dem Übermut einer überkommenen gottgewollten Ordnung mit Hilfe mechanischer Erfindungen entgehen zu wollen. In der jüdischen Überlieferung ist es der Turmbau von Babel, durch den sich die Menschen gegen den Willen Gottes stellen. Der griechische Mythos erzählt von Prometheus, der den Menschen das Feuer, diesen Inbegriff technischer Emanzipation, brachte und zur Strafe an einen Fels geschmiedet wurde. Der Übermut von Ikarus, dem Sohn des ersten Fluzeugbauers Dädalus, endet in schmählichem Absturz.

Teuflische Mächte mit im Spiel

Im europäischen Mittelalter schien fast jede größere Leistung dadurch erkauft, daß teuflische Mächte ihre Hände im Spiel hatten. Kaum eine Kathedrale oder Brücke wurde errichtet, ohne daß man davon munkelte, der Baumeister haben seine Seele den Teufel verkauft.

Auch das Bild des Technikers, des kunstfertigen Mechanikers, des Erfinders, des Alchemisten, des Projektanten war bis weit in die Neuzeit hinein vom magischen Schauer umhüllt, den die Verbindung mit finsteren Mächten und die Herausforderung der Naturordnung vermittelte.

Technik und diejenigen, die sie betreiben, stehen also seit alters in keine besonders guten Ruf. Nützlichkeitsdenken und Gewinnstreben, die mit ihnen verbunden sind, gelten mit als die höchsten Werte der Menschheit. Das Verdikt, das über der nackten Mechanik liegt, gilt auch für den Wucher, den Handel, ja die Arbeit selbst, zumindest in der Antike. Die Einwände gegen die Technik scheinen daher einem bestimmten kulturellen Muster zu entspringen, das die Kontemplation oder aber die politische und moralische Praxis höher bewertet als die bloße Herstellung von Dingen, die untergeordneten sozialen Schichten überlassen bleibt.

Im christlichen Europa gewinnt die Arbeit dagegen einen höheren Wert, doch muß sich auch hier die technische Innovation mit Einwänden auseinandersetzen, die einen recht fundamentalen Charakter bekommen können. Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen: In Deutschland erlebte der Bergbau im 15. und 16. Jahrhundert einen großen Aufschwung, der jedoch nicht von allen Zeitgenossen mit ungebrochener Begeisterung gesehen wurde. Der Chemnitzer Stadtarzt und Bürgermeister Georg Agricola faßte in seinem 1556 geschriebenen Werk "De re metallica" die vorgebrachten Einwände zusammen:

"Durch das Schürfen nach Erz werden die Felder verwüstet, . . . Wälder und Haine werden umgehauen, denn man bedarf zahlloser Hölzer für die Gebäude und das Gezeug sowie um die Erze zu schmelzen. Durch das Niederlegen der Wälder und Haine aber werden die Vögel und andren Tiere ausgerottet, von denen sehr viele den Menschen als feine und angenehme Speise dienen. Die Erze werden gewaschen; durch dieses Waschen aber werden, weil es die Bäche und Flüsse vergiftet, die Fische entweder aus ihnen vertrieben oder getötet. Da also die Einwohner der betreffenden Landschaften infolge der Verwüstung der Felder, Wälder, Haine, Bäche und Flüsse in große Verlegenheit kommen, wie sie die Dinge, die sie zum Leben brauchen sich verschaffen sollen, . . . so ist vor aller Augen klar, daß bei dem Schürfen mehr Schaden entsteht, als in den Erzen, die durch den Bergbau gewonnen werden, Nutzen liegt."

Mit solchen Argumenten wurde also, modern gesprochen, die "Umweltverträglichkeit" des Bergbaus bezweifelt. Aber auch seine "Sozialverträglichkeit" stand zur Debatte, denn es wurde gefragt, wie hoch denn der moralische Nutzen der Metalle sei, die mit seiner Hilfe gewonnen werden. Sind nicht Gold und Silber Verderber des Menschengeschlechts? Und hat nicht auch das eigentlich nützliche Eisen seine unmoralische Kehrseite?

"Denn dieses hat dem menschlichen Leben das größte Verderben gebracht, werden doch aus ihm Schwerter, Wurfspieße, Lanzen, Picken, Pfeile gefertigt, mit denen die Menschen verwundet und Morde, Straßenräubereien und Kriege ausgeführt werden.

Der Bergbau verfällt daher allgemeiner Kritik. Der Mensch wühlt sich in die Eingeweide der Mutter Erde ein und verstößt damit gegen ein göttliches Gebot, das ihm auferlegte, zwar von der Natur seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, nicht aber, diese zu zerstören. Die Kritiker, die Nutzen und Schädlichkeit des Bergbaus gegeneinander abwägen, kommen daher zu dem folgenden Schluß:

"Da also die Natur die Metalle weit in die Tiefe versteckt hat, und da sie für die Bedürfnisse des Lebens nicht nötig sind, so sind sie gerade von den besten Menschen verachtet und verschmäht worden, und darum dürfen sie nicht ausgegraben werden. Und da sie, wenn sie ausgegraben wurden, stets die Ursache vieler großer Übel gewesen sind, so folgt daraus, daß auch die Kunst des Bergbaues dem Menschengeschlechte nicht nützlich, sondern schädlich und verderblich ist."

Soweit die Argumente der Kritiker des Bergbaus, wie sie Agricola vorführt. Es soll angemerkt werden, daß Agricola selbst diesen Schluß nicht teilt, sondern es sich gerade vornimmt, die Einwände gegen den Bergbau zu entkräften.

Die ungewöhnliche "Modernität" der Stimmen gegen den Bergbau wie auch die zahlreichen technikskeptischen Mythen scheinen den Schluß zuzulassen, daß es sich hierbei tatsächlich um ein konstantes Phänomen in der Geschichte handelt. Die Überwindung bornierter Technikfeindschaft bildete einen elementaren Bestandteil des Selbstverständnisses von Innovatoren. Die Triumphe moderner Technik und Industrie schienen in einem Zweifrontenkrieg errungen worden zu sein: gegen die Natur und gegen die Vorurteile einer verständnislosen Bevölkerung.

Historische Dimensionen

"Alles schon einmal dagewesen . . .", mit diesem Gedanken könnte man sich beruhigen, Technikkritik wäre eine auf- und abschwellende Begleitmusik der industriellen Entwicklung und letztlich nicht ernster zu nehmen als die Klagen über allgemeinen Sittenverfall, die es ja auch zu allen Zeiten gegeben hat. Ich glaube jedoch, daß man in den letzten Jahrhunderten vier unterschiedliche Phasen der Technikkritik unterscheiden kann, die jeweils unterschiedliche historische Bedeutungen haben, so daß sich ihre Gemeinsamkeiten als nur oberflächliche Analogien enthüllen.

Um die Bedeutung der "Technik" in der vorindustriellen Gesellschaft des alten Europa verstehen zu können, muß man sich darüber klar werden, daß diese Gesellschaft eine andere Funktionsweise als die moderne Industriegesellschaft hatte. Dies wird deutlich, wenn wir uns auf die Bedeutung des "Handwerks" konzentrieren. Im alten "normintegrierten" Gesellschaftstypus bildeten die Handwerker einen anerkannten "Stand", der eine Vielzahl sozialer und kultureller Funktionen umfaßte, die sich noch nicht aus dem Zusammenhang mit anderen Lebensbereichen gelöst hatten. Der Stand umfaßte ökonomische, rechtliche, kulturelle und religiöse Elemente, die in einer Bestimmten "Ehre" verschmolzen waren, die der einzelne nicht ungestraft verletzen durfte.

Standesehre als Maßstab

Die technischen Verfahren, die in den Arbeitsprozessen angewandt wurden, mußten sich vor dem Maßstab der Standesehre ausweisen. Technische Neuerungen wurden daher nicht um ihrer selbst willen geschätzt, auch nicht nach rein ökonomischen Interessen bewertet, sondern sie mußten sich in den ständischen Kosmos integrieren lassen. Prekär wurde dies immer dann, wenn eine Neuerung das genau austarierte Gleichgewicht zwischen den ständischen Gruppen mit ihren spezifischen Sitten und Mentalitäten gefährdete, wenn also die Autonomie der Technikentwicklung diese über ihren legitimen Bereich hinauszutreiben drohte.

Dies soll nun nicht dahingehend mißverstanden werden, als sei das zünftige Handwerk durchweg innovationsfeindlich gewesen und als habe eine generelle Abneigung gegen technische Neuerungen bestanden. Dem widerspricht schon die Tatsache, daß es vom Mittelalter bis zum Beginn der Industrialisierung eine Vielzahl technischer Durchbrüche gegeben hat, die zum größten Teil ihren Ausgang von handwerklicher Arbeit nahmen.

Technische Neuerungen wurden immer dann bereitwillig aufgenommen, wenn sie die Ordnung der Zünfte nicht gefährdeten. Trat dieser Fall jedoch ein, so war es nicht ungewöhnlich, wenn eine Technik unterdrückt wurde - zuweilen sogar mit bemerkenswertem Erfolg. Der Kampf um die Technik und um die soziale Regulierung der Technik war im Rahmen des Handwerks ein durchaus legitimer Vorgang, vergleichbar etwa den heutigen Tarifkonflikten und Arbeitskämpfen.

Die Industrialisierung und die mit ihr verbundene Gewerbefreiheit bewirkten eine nachhaltige Erschütterung des zünftigen Handwerks. Aus der Perspektive der Meister und Gesellen handelte es sich um die Umwälzung überkommener und vertrauter Lebensformen. In den frühindustriellen Konflikten ging es vielfach um die Einführung neuer Maschinen, die entweder die qualifizierten Handwerker brotlos zu machen drohten, oder aber die ihre Qualifikation entwerteten und ihnen neue Arbeitsweisen und Verhaltensmuster aufzwangen.

Industrialisierung bedeutete für sie nicht nur eine bruchlose Verbesserung technischer Verfahren und eine geradlinige Steigerung des Lebensstandards, sondern das Aufgeben überkommener Lebensgewohnheiten: Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung, Unterwerfung unter Arbeitsdisziplin und Zeittakt, Zerstörung der familialen Hauswirtschaft, Zerfaserung der Einheit des ständischen Lebens in zahlreiche isolierte und damit beliebig erscheinende Lebenszusammenhänge.

Das Motiv Fortschritt

Mit der Industrialisierung zog ein neuartiges System herauf, das im Gegensatz zum traditionellen System des ständischen Handwerks stand. Der Übergangskonflikt ("Maschinensturm") nahm daher häufig Züge eines revolutionären Protests an, in dem eine sozialistische Zukunftsgesellschaft der neu heraufziehenden kapitalistischen Gesellschaft gegenübergestellt wurde, wobei die Utopie vielfach Elemente der Tradition enthielt.

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erleben wir dann aber ein dramatisches Verschieben: Die sozialen Protestbewegungen orientieren sich nicht mehr primär am Bild einer besseren Vergangenheit, sondern an dem einer besseren Zukunft. Das Motiv des "Fortschritts" nimmt Eingang in das populäre Bewußtsein. Man muß sich darüber im klaren sein, daß der Gedanke eines weltlichen Fortschritts keineswegs selbstverständlich ist, sondern sich in breiteren Schichten der Bevölkerung erst seit dem 19. Jahrhundert durchsetzte. Zuvor war eine Orientierung verbreitet, die nicht in Dimensionen einer gerichteten zeitlichen Entwicklung dachte, sondern die Welt als einen Zustand erlebte, in dem nichts wirklich Neues geschah.

Die Gedankenfigur des weltlichen, historischen Fortschritts hat zwar selbst eine weit in die Geschichte zurückreichende Genealogie, doch gewann sie erst mit der Aufklärung den zwingenden Charakter, den sie für das 19. und den größten Teil des 20. Jahrhunderts besaß. "Fortschritt" zielt einmal auf Mobilisierung; er enthält das Versprechen, daß die Welt durch geeignetes Handeln besser werden kann. Zugleich zielt er aber auch auf Sinnstiftung; dann fordert er nicht mehr einer erstarrten Welt gegenüber die Veränderung ein, sondern er erklärt die stattfindende Veränderung, gestattet es, diese als verheißungsvoll zu erleben. Der Mythos vom Fortschritt läßt die Umwälzungen nicht mehr als Zerstörung des vertrauten Alten, sondern als Schritte in Richtung auf etwas Neues, Besseres sehen. Der Prozeß der Modernisierung gewinnt so einen freundlicheren Charakter. Der Zukunftshorizont öffnet sich, die Iritationen der Gegenwart werden in das Licht eines realen Jenseits gestellt, das in der Zukunft liegt.

Im Medium der rapiden Veränderungen des 19. Jahrhunderts gewann das Konzept einer Verzeitlichung der Welterfahrung eine enorme Plausibilität. Die Gegenwart wurde zum bloßen Durchgangspunkt auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Für die populären Protestbewegungen war es die Rezeption eines mit marxistischen Elementen durchsetzten Sozialismus, die diese Umorientierung mental erleichterte. Die große historische Bedeutung der marxistischen (sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen) Arbeiterbewegung lag darin, daß sie ideologisch das Fundament des sozialen Basiskompromisses schuf, der zur Grundlage der industriegesellschaftlichen Entwicklung des 20. Jahrhunderts wurde.

Der industriegesellschaftliche Grundkonsens von Arbeit und Kapital, in dessen Mittelpunkt technischer und wirtschaftlicher Fortschritt stehen, wurde gewissermaßen zum Gravitationszentrum der gesellschaftlichen Entwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert. Einerseits mäßigten sich die Konfliktformen in dem Maße, wie man sich wechselseitig anerkannte, zugleich wurden aber immer weitere soziale Schichten in den Bannkreis dieses Musters einbezogen. Die fundamentalen Gegner des Industriesystems wurden Schritt für Schritt an den Rand der Gesellschaft gedrängt, als deutlich wurde, welche Integrationskraft und welche materiellen Erfolge dieses neue System hatte. Wirtschaftliche Entwicklung, technischer Fortschritt und steigender Lebensstandard verschmolzen im Lauf des 20. Jahrhunderts zu einer Einheit, an der nur noch Außenseiter rüttelten.

Kritische Bewegungen

Die elementaren "maschinenstürmerischen" Protestbewegungen des frühen 19. Jahrhunderts waren weitgehend ein populäres Phänomen. In der Maschine sahen Handwerker und qualifizierte Arbeiter einen Konkurrenten, der ihre Arbeitsplätze und ihren sozialen Status bedrohte. Die gleichzeitige konservativ-romantische Kritik an der Aufklärung und den Versprechungen der Moderne nahm dagegen Technik noch kaum ins Visier. Das Unbehagen des älteren "Antimodernismus" entzündete sich an religiösen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Fragen; Wirtschaft und Technik dagegen wurden zwar zuweilen gestreift, doch standen sie nicht im Mittelpunkt der romantischen Zivilisationskritik.

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts formierte sich dagegen eine Bewegung des intellektuellen "Antimodernismus", die gerade in Technik und Wirtschaft den wichtigsten Gegenstand der Kritik sah. Diese Bewegung nahm vielfach Motive der romantischen Gegnerschaft gegen die Rationalisierung und "Entzauberung" der Welt auf. In gewissem Sinne bildete sie einen totalen Gegenentwurf gegen das totalisierende "Projekt der Moderne". Die konservative Zivilisationskrilik wandte sich gegen fast alle Aspekte der sich abzeichnenden modernen Industriegesellschaft. Sie argumentierte dabei aus der Perspektive eines von Zerstörung bedrohten Bestands heraus. Sie blickte zurück auf eine bessere Vergangenheit, die vom Untergang bedroht war.

Wichtig an dieser intellektuellen Bewegung ist, daß jetzt die Technik in den Mittelpunkt der kritischen Aufmerksamkeit rückte. Die positiven Programme einer technischen Verbesserung der Welt sahen in der Technik im wesentlichen ein Werkzeug, mit dessen Hilfe der Mensch Herrschaft über die Natur gewinnen sollte. Technik war also als ein neutrales Mittel gedacht, mit dessen Hilfe der Mensch bestimmte, von diesem Mittel unabhängige, Zwecke erreichen sollte. Der Mensch fungierte als der "Herr", die Technik als sein "Knecht". An diesem Verhältnis änderte sich auch dann nichts Grundsätzliches, wenn die Maschine als Mittel zur Ausbeutung von Menschen angesehen wurde, wie es die sozialistische Kapitalismuskritik vorführte. Auch dann noch war der Mensch (als Kapitalist oder Bourgeois) der "Herr", der die Maschine als seinen "Knecht" dafür verwandte, andere Menschen zu beherrschen. Die sozialistische Forderung lautete daher nur, die Technik solle nicht zur Ausbeutung des Menschen, sondern zur Beherrschung der Natur im Dienste des Menschen verwandt werden.

Im Kontext der konservativen Kulturkritik kam nun ein neues Motiv auf: Die Maschine oder die Technik wurde selbst zum "Herrn", während der Mensch zu ihrem "Knecht" wurde. Die Herrschaft der Technik machte sich darin deutlich, daß der Mensch Züge der Maschine annahm. Er wurde zum Automaten, willenlos der Selbstbewegung der technischen Systeme ausgeliefert, die nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck geworden waren.

Drei Argumentationsmuster

Dieser Gedanke einer Autonomie der Technik konnte nun leicht mit der Argumentationsfigur der "Entfremdung" verbunden werden. Entfremdung war ein Konzept des deutschen Idealismus, demzufolge bestimmte geistige Tätigkeiten sich in einer Weise objektivierten, daß das an sich tätige Subjekt diese Gegenstände als etwas ganz Fremdes erfährt. So sind etwa die Rechtsinstitutionen Resultat menschlichen Handelns, doch treten sie dem Menschen in einer Objektivität gegenüber, die eigengesetzlich zu sein scheint. Aufgabe des Denkens ist es dann, diese Objektivität kritisch aufzulösen, das heißt, sie als Produkt des lebendigen Geistes selbst zu entschlüsseln.

Es lag nun nahe, analog zu diesem Modell auch die autonome technische Welt als ein Phänomen der Entfremdung zu verstehen. Die technischen Strukturen waren Produkte menschlichen Handelns, die jedoch ihren eigentlichen Zweck verfehlten und den blinden Menschen gegenüber eine Eigenmacht gewannen. Daraus konnte nun die Forderung abgeleitet werden, die Technik sei wieder zu "beherrschen", indem sie ihren Werkzeugcharakter zurückerhielt.

Dieses Motiv einer Autonomie der Technik machte im 20. Jahrhundert eine merkwürdige Karriere. Drei Argumentationsmuster lassen sich aus ihm ableiten:

- Das technikkritische Modell

Danach treibt die Technik einer automatischen "Perfektion" (F. G. Jünger) zu, die sich das genuin Menschliche unterwirft. Daraus folgt das Postulat einer erneuten Unterwerfung der Technik, einer Rückgewinnung elementarer menschlicher Potenzen (J. Illich, H. Jonas und so weiter). Dieses Modell hat eine fast ungebrochene Kontinuität vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zu bestimmten Vertretern der aktuellen Technikkritik. In ihm verschmelzen nach wie vor Elemente der Kritik an der Technik, der Rationalisierung, der kulturellen Modernisierung, der Irreligiosität, der Massenemanzipation und so weiter. Es handelt sich also um eine Fortführung der konservativen Modernitätskritik.

- Das technokratische Modell

ln den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts zeichnete sich eine merkwürdige Transformation der konservativen Technikkritik in eine "heroisch-realistische" Hinnahme der modernen technischen Welt ab, die es als eine Art "Schicksal" zu bewältigen galt. Oswald Spengler und Ernst Jünger waren wohl die ersten, die diese Argumentationsfigur entwarfen, doch folgten ihnen bis in die fünfziger und sechziger Jahre hinein Theoretiker wie Hans Freyer, Arnold Gehlen und Helmut Schelsky. Auch sie gehen davon aus, daß die technischen Systeme eine hohe Autonomie gewonnen haben, doch erwarten sie von dieser autonomen Technik gerade, daß sie Ordnungsstrukturen in eine ansonsten instabil und sinnentleert gewordene Welt hineintragen. Die Technokratie ist also das genaue Spiegelbild der entfremdeten Technik, nur mit dem Unterschied, daß jetzt nicht mehr erwartet wird, die Technik könne menschlichen Zielen unterworfen werden. Gerade darin liegt aber ihre strukturierende Funktion.

- Das neomarxistische Modell

Wurde der Marxismus im 19. Jahrhundert im wesentlichen als eine Modernisierungstheorie begriffen, die die Technik als neutrales Werkeug sah, so entdeckte man in den zwanziger Jahren die Schriften des jungen Marx, in denen die idealistische Entfremdungstheorie auf die Welt der Arbeit und damit implizit auch auf die Technik angewandt werden konnte. Wirtschaft und Technik galten als den Menschen fremd gewordene Vergegenständlichungen, die durch Entfaltung von "Vernunft" deren Herrschaft wieder unterstellt werden sollten. Dieses Motiv findet sich bei Autoren der Frankfurter Schule von Marcuse bis Habermas.

Es bestehen vielfach Berührungspunkte mit der konservativen Kulturkritik, doch ist die Perspektive eine andere: wendet sich diese gegen den Gesamtprozeß der Modernisierung, so setzt jene auf eine progressive Vollendung des "Projekts der Moderne", also die totale Unterstellung von Technik, Wirtschaft und Gesellschaft unter die "Herrschaft der Vernunft".

Die Entstehung der konservativen Technikkritik des ausgehenden 19. Jahrhunderts hatte einen realen Erfahrungshintergrund darin, daß in jenen Jahren tatsächlich neue Systemeigenschaften der modernen technischen Welt sichtbar wurden. Angesichts der wachsenden Komplexität der industriell-technischen Systeme war die Rede von ihrem "Werkzeugcharakter" zunehmend unplausibel geworden. Es wurde deutlich, in wie hohem Maße die einzelnen Teilbereiche miteinander vernetzt waren, welche unbeabsichtigten Nebeneffekte entstanden und wie sehr menschliche Verhaltensmuster und Bedürfnisse ihrerseits wieder von technischen Vorgaben modelliert wurden.

Der Gedanke einer "Autonomie der Technik" sprach die Erfahrung aus, daß die industrielle Technik sich zunehmend zu einem System verfestigte, das die gesamte Lebenswelt überformte und seine wesentlichen Eigenschaften nach eigentümlichen Gesichtspunkten selbst organisierte. Technik konnte nicht mehr als "Mittel" zu (guten oder schlechten) "Zwecken" gesehen werden sondern es stellte sich der Eindruck einer unbeeinflußbaren Eigendynamik ein. Dachte man diese Tendenz zu Ende, so ergab sich das Bild einer "Perfektion der Technik" (F. G. Jünger), der "Mobilmachung" des "totalen Arbeitscharakters" (E. Jünger), des "Sachzwangs der technischen Mittel" (H. Schelsky) oder des "eindimensionalen Menschen" (H. Marcuse).

Die moderne Protestbewegung geht dagegen von der Grunderfahrung aus, daß die Perfektion der Technik nicht stattfindet; im Gegenteil: In der Umweltkrise wird deutlich, daß die vorhandenen technischen Systeme der Anforderung gegenüber, sich in die Biosphäre des Menschen einzupassen, unterkomplex sind. Weit entfernt davon, perfekt zu sein (wie die Technokraten hofften und die Technikkritiker fürchteten), zeigt sich, daß die heutige Technik eine nur mittlere Reichweite hat. Sie ist einerseits wirkungsvoll genug, um den Rahmen einer natürlichen Abpufferung ihrer unerwünschten Effekte zu überschreiten sie ist andererseits nicht kompetent genug, sämtliche Auswirkungen vorherzusehen oder ausgefallene Leistungen der Natur vollständig zu substituieren. In Problemen wie dem Waldsterben, der Änderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre mit unabsehbaren Klimaänderungen, der Verseuchung der Weltmeere und dergleichen wird dies deutlich.

In den modernen Protestbewegungen verschmelzen daher die Wahrnehmungen dieser neuartigen Probleme mit überkommenen Motiven der konservativen wie der neomarxistischen Technikkritik, woraus sich eine unübersichtliche und widerspruchsvolle Melange von Ideologien und Forderungen ergibt. Dies wird etwa darin deutlich, daß diese Bewegungen bislang keine nennenswerten theoretischen Entwürfe hervorgebracht haben, die versuchen, in den Katalog der Wahrnehmungen und Forderungen eine konsistente Ordnung zu bringen. Vieles schließt sich gegenseitig aus, manche Forderungen hätten, würden sie verwirklicht, katastrophale Nebenwirkungen. Einig scheint man sich nur darin zu sein, daß von der technisch-industriellen Welt unabsehbare Gefahren drohen, so daß jede Neuerung erst einmal unter einer Verschlechtelungsvermutung steht. Es handelt sich hierbei um eine genaue Umkehrung der älteren, fortschrittsorientierten Haltung, derzufolge man dem Neuen zunächst einmal zutraute, besser zu sein als das Alte. Wir haben bereits von einer Verzeitlichung der Problemwahrnehmung seit dem späten 19. Jahrhundert gesprochen. Diese konnte im Sinne des Fortschritts den Zukunftshorizont positiv besetzen, doch war es ebensogut möglich, in der Zukunft einen Niedergang zu erwarten.

Radikalität ist der Preis

Die Radikalität der Zukunftsangst ist gewissermaßen der Preis, der für den Fortschrittsglauben entrichtet werden mußte. Fortschrittshoffnung und Zukunftsangst gehen seit 200 Jahren nebeneinander her, doch haben sie in unterschiedlichen Phasen unterschiedliches Gewicht, so daß man von Konjunkturen der Furcht und der Hoffnung reden kann.

In der Vergangenheit war es nun häufig so, daß ein Hoffnungsaufschwung damit verbunden war, daß man auf einen realen "Retter" setzte, der gewöhnlich Züge einer neuen Technik trug, die entweder schon sichtbar war, deren Konturen sich abzeichneten oder die zumindest mit Hilfe der Phantasie beschworen werden konnte. Dadurch, daß in der Umweltkrise die Technik selbst in den Mittelpunkt der Befürchtungen gerückt ist, scheint ein solcher Ausweg heute eher unwahrscheinlich zu sein. Die Einstellungen hinken hinter den technischen Möglichkeiten her; das soziale Meinungsklima verhindert eher den Übergang in eine neue Relativierung der Krise. Noch zeichnet sich kein Muster ab, das den alten Fortschritt noch einmal belebt oder aber etwas anderes an seine Stelle setzt. Es scheint allerdings zweifelhaft, ob sich auf Dauer eine soziale und politische Bewegung konsolidieren kann, die programmatisch auf so schwachen und widerspruchsvollen Grundlagen ruht.