Produktankündigungen von DEC bringen Kritiker auf den Plan:

Zweigleisiges Rechnerkonzept belebt Risc-Markt

21.07.1989

MÜNCHEN (CW) - DECs Produktoffensive der vergangenen Woche (CW berichtete: "DEC bringt drei Ultrix-Server auf Risc-Basis") hat Skeptiker zu raschen Reaktionen veranlaßt. Offenbar trauen sie der "verteilten Strategie" nicht über den Weg. Ob sich die beiden Produktlinien VAX und Risc in der Tat, wie die DEC-Strategen versichern, ergänzen, das ist die große Frage.

Ken Olsen, Präsident von DEC, widersprach der Meinung, Risc- und VAX-Technologie wären gegenläufige Konzepte. Er vertrat vielmehr die Auffassung, beide Produktlinien ergänzten sich. Dem steht entgegen, daß die beiden Systeme mit unterschiedlichen, nicht kompatiblen Prozessoren arbeiten und unter verschiedenen Betriebssystemen laufen. VMS-Applikationen können nicht auf einer Risc-Maschine - welche Ultrix unterstützt - laufen und umgekehrt .

Die Frage der Verfügbarkeit von Softwareapplikationen rückt - erwägt man die Erfolgsaussichten des DEC-Vorstoßes in Risc-Gefilde - denn auch in den Vordergrund. Momentan stehen mehr als 6000 VMS-Applikationen lediglich 70 für Risc-Anwender gegenüber. DEC schickt deshalb mehr als 200 Softwareentwickler ins Rennen, die entweder neue Risc-Software schreiben oder bestehende Applikationen auf das Risc-Betriebssystem Ultrix portieren sollen.

Die Softwareproblematik birgt nach DEC-Logik zukünftig keine Schwierigkeiten: Man arbeite daran mit der Network Application Support Architecture (NAS) auch Ultrix zu unterstützen. Die DEC-Visionäre sehen heute bereits den unter NAS arbeitenden Anwender, der wegen der einheitlich erscheinenden Benutzeroberfläche gar nicht mehr merke, ob er auf einem Risc- oder VAX-System rechne.

DECs Risc-Aktivitäten begannen im Januar 1989 mit der Vorstellung der Workstation Decstation 3100. Mit der jetzt erfolgten Ankündigung weiterer Risc-Maschinen reklamiert DEC, das breiteste Produktangebot dieser Rechnergattung zur Verfügung zu stellen. Das Einstiegsmodell Decstation 2100 - dessen Preis unter der 20 000-Mark-Grenze liegt - soll nach Herstellerangaben die momentan kostengünstigste Risc-Workstation sein.

DEC versucht, seine Komplementärthese auch durch den Hinweis zu stützen, beide Systeme zielten auf unterschiedliche Bedürfnisse ab. Risc biete hohe Prozessorleistung bei niedrigen Kosten. VAX-Systeme hingegen befriedigten Kundenforderungen nach einer VMS-Umgebung und vor allem die in der Geschäftswelt gefragten Sicherheitskonzepte.

Dem steht entgegen, daß in der Alltagsrealität häufig eine Vermischung der Anforderungsprofile gefragt ist, beispielsweise eine gewohnte VMS-Umgebung bei niedrigen Systemkosten. Zudem ködert DEC VMS-Interessierte mit dem kostengünstigen Modell 210, das als Einstieg in die 6000-Serie dient.

Zu allem Überfluß kündigte DEC ein Risc-System an, welches als Data-Center-Computer arbeiten solle. Die Firmenvorstellung von diesem System deckt sich jedoch mit der Data-Processing-Umgebung, wie sie aus der VAX-Serie bekannt ist.

Nicht genug damit, ließ DEC wissen, daß für die 400er Modelle der neuen VAX-6000-Serie Zusatzprozessoren zur Vektor-Berechnung zur Verfügung gestellt würden. In ein bereits installiertes System lassen sich in Zukunft nach Herstellerangaben bis zu zwei Einplatinen-Vektor-Prozessoren nachrüsten. Ein Fortran-Compiler, ein Vektor-Emulator und Case-Tools sollen diese zukünftigen Konfigurationen unterstützen.

DEC hat auch die Preise für die jetzt in Deutschland angekündigten VAX- und Risc-Rechner bekanntgegeben: Als Einstieg in die Ultrix-Risc-Welt ist die Decstation 2100 gedacht. Die Workstation basiert auf dem Chipset R2000/ R2010 der Firma Mips. Bei einem Preis von weniger als 20 000 Mark bietet sie eine herstellerseits angegebene Rechenleistung von 10,4 Millionen Instruktionen pro Sekunde (MIPS). Gegenüber dem vor einem halben Jahr von DEC eingeführten Risc-Modell Decstation 3100 mit 14,3 MIPS bedeutet dies eine Leistungseinbuße von lediglich 25 Prozent bei einem Preisvorteil von über 10 000 Mark.

Das Einstiegs-Mehrbenutzersystem Decsystem 3100 bietet ebenfalls 14,3 MIPS Rechenleistung. Als vernetztes Time-Sharing-System kann der Q-Bus-Rechner als Unix-Server für Terminals und Workstations dienen. Das Modell läßt sich für vier bis 64 Benutzern konfigurieren. Die preisgünstigste Variante kostet etwa 32 000 Mark.

Ebenfalls auf dem R3000-Chip von Mips basiert der sowohl als Mehrbenutzer- als auch als Serversystem nutzbare Rechner Decsystem 5400. Die maximale Leistung beträgt 16,6 MIPS, der Hauptspeicher läßt sich bis auf 64 Megabyte ausbauen. Das in zwei Gehäusevarianten lieferbare System kann mit Massenspeicher bis zu 9,7 Gigabyte ausgerüstet werden. Die Preise variieren hier zwischen 130 000 und 490 000 Mark.

Leistungszuwachs bis zum 36fachen

Am oberen Leistungsgefüge der Risc-Rechner positionierte DEC den Rechner Decsystem 5810 und die Doppelprozessorversion Decsystem 5820. Beide bieten Ultrix-Timesharing-Funktionen, können aber auch als Server eingesetzt werden. Modell 5810 bietet mit einem Prozessor bis zu 18,7 MIPS. Sein Pendant mit zwei CPUs - die 5820 - kommt auf eine knapp doppelt so hohe Leistung. Beide Systeme arbeiten mit einem VAX-Bi-Bus. 270 000 bis 570 000 Mark sind für die verschiedenen Konfigurationen beider Systeme zu zahlen.

Bei den VAX-Maschinen ersetzt das neue Einstiegsmodell Microvax 3100 das gleichnamige Modell 2000 und bietet eine 2,5fache Leistung gegenüber dem Vorgänger. Mit einem 4-Megabyte-Speicher, einer 104-Megabyte-Festplatte und einer Fünf-Benutzer-VMS-Lizenz kostet das Einstiegsmodell 22 400 Mark.

Die neue VAX-6000-Serie bietet sechs verschiedene Mehrprozessor-Modelle, die je nach Anzahl der CPUs als VAX 6000 Modell 410 bis 460 bezeichnet werden. Durch Prozessor-Ergänzungen sind die Leistungen der Modelle aufrüstbar. Im Vergleich zur VAX 11/780 reicht der Leistungszuwachs vom 6,8fachen bis zum 36fachen. Hier liegen die Preise zwischen 670 000 bis 2,1 Millionen Mark. Das um einen VAX-Bi-Bus reduzierte System 6210 heißt nun Modell 210 und wird von DEC als mit 360 000 Mark preisgünstiges Einstiegsmodell gehandelt.

Die Modelle 210 bis 440 unterstützen bis zu sechs VAX-Bi-Busse und maximale Hauptspeicherkapazitäten von 256 Megabyte. Die Modelle 450 und 460 lassen sich auf vier VAX-Bi-Busse respektive 192 Megabyte Speicher aufrüsten.