High-speed im LAN/Nachbrenner in lokalen Netzen

Zwei schnelle Kontrahenten streiten um Ethernet-Krone

09.08.1996

Während Prozessoren und I/O-Komponenten wie Bus-System oder Festplatten sich seit Jahren von einer Leistungsmarke zur nächsthöheren hinaufschwingen, ging der Run auf neue Leistungsrekorde an der Netztechnik vorüber. Zwar existierte mit FDDI bereits seit Ende der 80er Jahre eine High-speed-Lösung, die Kosten insbesondere auf Konzentratorseite und die anfänglich zwingend erforderliche Verwendung von Glasfaserkabeln waren aber für die meisten Unternehmen Grund genug, auf FDDI zu verzichten.

Erste Ansätze, die Geschwindigkeitshürde des am weitesten verbreiteten Netzwerksystems Ethernet von 10 auf 100 Mbit/s heraufzuschrauben, zeichneten sich im Herbst 1992 ab. Doch die involvierten Unternehmen konnten sich nicht dazu durchringen, einen einzigen, allgemein verbindlichen Standard zu verabschieden. Da das Standardisierungsgremium Institute of Electrical and Electronic Engineers (IEEE) ebenfalls kein Machtwort sprechen wollte, gibt es heute zwei standardisierte, aber zueinander inkompatible Systeme.

Das Lager der 100VG-Anylan-Vertreter schart sich vornehmlich um Hewlett-Packard (HP) und bezeichnet den vom IEEE als 802.12 verabschiedeten Standard als Nachfolger des herkömmlichen Ethernet, weil Kabellängen und Repeater-Regeln vom Vorgänger übernommen werden. Einige Restriktionen bezüglich der Kabellänge hebt die neue Variante sogar auf.

Die Umrüstung, das heißt der Austausch von Switches, Hubs sowie Netzwerkkarten, geht allerdings nur im Idealfall ohne Neuverkabelung vonstatten. 100VG-Anylan verwendet mit dem Demand Priority Protocol (DPP) einen Zugangsmechanismus, der die durchgängige Verkabelung mit vier Adernpaaren, also allen acht in einem UTP-3-, UTP-4- oder UTP-5-Kabel vorhandenen Leitungen, erfordert. Das herkömmliche Ethernet benötigt dagegen lediglich ein Leitungspaar, also vier Kabeladern zur Datenübertragung. Wer also über eine UTP-Installation verfügt, in der nicht alle existierenden Adern durchgängig angeschlossen sind, kommt um eine Neuverkabelung nicht herum.

Die Verfechter des VG-Anylan-Verfahrens spielen den Aspekt der Verdrahtung aller Leitungen im UTP-Kabel herunter. Sie sehen in DPP eine wichtige Verbesserung der Zugriffstechnik, weil es den Zugang zum geteilten Medium kontrolliert und somit die verfügbare Bandbreite besser ausnutzt. DPP fragt die am Hub angeschlossenen Stationen der Reihe nach ab. Ist eines der angeschlossenen Geräte zur Übertragung bereit, stellt das Zugangsverfahren einen temporären Pfad zwischen Sender und Empfänger her.

Das neue Protokoll bricht daher mit dem bislang für Ethernet so typischen Protokoll CSMA/CD (Carrier Sense Multiple Access/ Collision Detection), bei dem alle Stationen eines Segments um die Durchführung einer Übertragung konkurrieren - und das ist der Zündstoff für die Kritiker des 100VG-Anylan-Verfahrens.

Da das Gros von Netzwerk-Administratoren, Supportpersonal und Kabelinstallateuren mit dem weitverbreiteten Zugriffsverfahren CSMA/CD vertraut sei, gebe es eine erhebliche Hemmschwelle bei der Realisation eines auf 100VG-Anylan basierenden Netzwerks, so der Vorwurf. Gepaart mit dem Aufwand einer etwaigen Neuverkabelung sind diese Punkte keine gute Werbung für den Fast-Ethernet-Vorschlag 100VG-Anylan.

Die konkurrierende 100Base-T-Gruppe, deren ursprünglichen Kern vor allem Grand Junction, Intel und SMC bildeten, übernahm mit dem Kollisionsverfahren CSMA/CD das Ethernet-Grundprinzip, obwohl es als wenig effektiv gilt. Sie betrachtet daher ihre 100-Mbit/s-Lösung als den tatsächlichen 10Base-T-Nachfolger.

Um den Erbanspruch zu unterstreichen, wählten die Initiatoren 100Base-T als Bezeichnung für ihr System, das vom IEEE als 802.3u in den Stand eines offiziellen Standards erhoben wurde.

Von 100Base-T existieren drei verschiedene Ausprägungen: Die bekannteste dürfte 100Base-TX sein, die eine zweipaarige UTP-5-Verkabelung voraussetzt und für die die weitaus meisten Netzwerkkarten, Hubs und Switches erhältlich sind. Erheblich weniger bekannt ist 100Base-T4. Diese Spezifikation beschreibt die schnelle Datenübertragung über eine herkömmliche 10Base-T-Verkabelung mit UTP-3-Verfahren mit einem wesentlichen Nachteil:

Es erfordert eine durchgängige Verdrahtung mit allen acht Adern, und dennoch ist kein Full-Duplex-Betrieb wie bei 100Base-TX möglich. Als Dritte im Bunde gesellt sich die Ausprägung 100Base-FX hinzu, die mit Glasfaserkabel als Medium arbeitet.

Netzwerkadministratoren, Supportpersonal und Kabelinstallateure mit Ethernet-Erfahrung dürften sich bei 100Base-T aufgrund des vom 10-Mbit/s-Ethernet übernommenen Zugriffsverfahrens heimisch fühlen. Kritiker, vor allem aus dem 100VG-Anylan-Lager, werfen hingegen ein, daß das CSMA/CD-Verfahren für kommende Multimedia-Anwendungen nicht geeignet sei. Anders als beim deterministischen DPP gebe es keine festen Antwortzeiten. Weitere Beanstandungen an 100Base-TX betreffen den Zwang zur UTP-5-Verkabelung, die derzeit nur wenige Unternehmen verlegt haben.

Der wichtigste Kritikpunkt ist jedoch die beschränkte Ausdehnungsfähigkeit des Netzes: So kann zwar die Entfernung zwischen Station und Hub wie bei 10Base-T bis zu 100 Meter betragen, jedes Signal darf jedoch nur über maximal zwei Repeater laufen. Der Abstand zwischen Sender und Empfänger muß allerdings auf 210 Meter begrenzt sein. Die Kabellänge zwischen zwei Repeatern schrumpft unter Umständen auf maximal fünf Meter.

Ein simpler Umstieg von 10Base-T auf 100Base-TX beziehungs-weise T4 ist daher in weitverzweigten beziehungsweise strukturierten Umgebungen kaum möglich. Einen Ausweg bietet nur die Neuverkabelung oder ein auf die Workgroup-Umgebung begrenzter Einsatz. Keiner der beiden Kontrahenten läßt sich anhand übergreifend gültiger Regeln empfehlen. Die Entscheidung für 100VG-Anylan oder 100Base-T hängt immer von der Umgebung des jeweiligen Anwenders ab. Der Preis spielt dabei meistens nur eine untergeordnete Rolle, denn die Produkte für beide Lösungen kosten ungefähr das gleiche.

Unter technischen Gesichtspunkten mag 100VG-Anylan die besseren Karten haben - doch in der Praxis schlägt sich dieser Vorteil bislang nicht nieder: Die maximalen LAN-Durchsatzraten bei PCI-basierenden Pentium-Workstations liegen bei knapp 5 MB/s, unabhängig davon, welches der schnellen Ethernet-Verfahren genutzt wird. Die führenden Netzwerk-Betriebssystem-Anbieter Microsoft und Novell unterstützten bis dato nicht die in DPP vorgesehene Möglichkeit zur Priorisierung von Übertragungen. Sie wäre besonders beim Einsatz von Multimedia-Applikationen vorteilhaft, da sie den Echtzeittransfer von Daten garantiert. Bislang läßt sich dieses DPP-Feature nur in File-Servern verwenden.

Abseits technischer Fragen ist die Verfügbarkeit von Fast-Ethernet-Produkten von großer Bedeutung. Fast jedes Unternehmen, das im Ethernet-Markt mitmischt, führt Produkte für 100Base-TX im Angebot, vereinzelt bieten sie auch Geräte für 100Base-T4 oder 100Base-FX. Als Promotor für 100VG-Anylan hingegen tritt vor allem HP in Erscheinung, so daß diesem Verfahren mitunter der Anschein einer herstellereigenen Lösung anhaftet.

100VG-Anylan ist aber aufgrund der Standardisierung durch das IEEE ein offenes Protokoll, zumal es auch Lösungen anderer Hersteller gibt. Router-Spezialisten wie Cisco bieten beispielsweise eine 100VG-Anylan-Anbindung an. Doch auch HP mußte der zunehmenden Übermacht von 100Base-T inzwischen Tribut zollen: Seit kurzem hat das Unternehmen eine PCI-Karte für dieses System im Programm.

Erhebungen und Prognosen von Marktforschungsunternehmen wie IDC oder The Yankee Group geben auch keinen eindeutigen Aufschluß über die künftige Marktentwicklung, aus der sich eine Empfehlung herleiten ließe. In entsprechenden Studien führt 100VG-Anylan vor allem in Europa die Verkaufslisten an, doch 100Base-T holt auf.

In jedem Fall bieten beide Systeme schon jetzt einen - im Vergleich zu anderen Lösungen -preisgünstigen, zuverlässigen Einstieg in die 100-Mbit/s-Welt. Andere High-speed-Lösungen sind derzeit noch keine wirkliche Alternative. ATM ist aufgrund hoher Preise und zahlreicher noch zu klärender Fragen bezüglich Technik und Standards in den nächsten zwei Jahren noch nicht konkurrenzfähig. Ähnliches gilt für Gigabit Ethernet, das sich aber noch in der Entwicklungsphase befindet.

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Eine eindeutige Empfehlung zugunsten einer der konkurrierenden 100-Mbit/s-Ethernet-Varianten gibt es nicht. Beide haben Vor- und Nachteile. 100Base-VG-Anylan gilt als technisch ausgereifter, 100Base-T wiederum knüpft an das traditionelle und bekannte Ethernet-Zugriffsverfahren an: Dieses schränkt zwar die Effizienz der 100-Mbit/s-Übertragung ein, doch gestalten sich die Installation und der Betrieb unproblematischer. Bei der Entscheidungsfindung könnte der Verkabelungsaufwand helfen. Hier unterliegen beide Verfahren bestimmten Restriktionen.

Verkabelungstips für Fast Ethernet

100VG-Anylan und 100Base-T lassen ausschließlich eine Sternverkabelung zu. Alle Workstations und Server müssen demnach an einen Hub angeschlossen werden. Eine Adaption der Normen auf das in Deutschland so beliebte Koaxialkabel mit Bus-Struktur hat keines der beteiligten Unternehmen ins Auge gefaßt. Wer seine PCs also bisher noch mit T-Stücken an das Netzwerk anschließt, muß sich zwangsläufig mit dem Gedanken einer Neuverkabelung und mit den dabei entstehenden Kosten vertraut machen. UTP-Kabel der Kategorie 5 ist für 100 Mbit/s geeignet und scheint zumindest für die nächsten drei bis fünf Jahre relativ zukunftssicher zu sein. Unternehmen, die derartige Verkabelungen einsetzen, sind dennoch nicht vor Problemen geschützt: 100Base-TX benötigt die durchgehende Verdrahtung von vier Kabeladern, 100VG-Anylan hingegen erfordert alle acht. In 100Base-TX-Umgebungen müssen sämtliche im Rahmen der Verkabelung eingesetzten Komponenten für die 100-Mbit/s-Datenübertragung geeignet sein. Die Praxis zeigt allerdings, daß Stecker, Patch-Panel und vor allem die in Kabelkanälen eingesetzten Dosen den Ansprüchen nicht immer genügen. Als Alternative für Unternehmen, die nur über eine UTP-3-konforme Verkabelung verfügen, bietet sich neben 100VG-Anylan auch 100Base-T4 an. Beide Verfahren erfordern jedoch die durchgängige Verdrahtung mit acht Adern.

*Eric Tierling ist freier Journalist in Leichlingen.