Kommunikationssoftware flexibilisiert die Dienstleistung

Zwei Rationalisierungskonzepte verändern die Bürokommunikation

20.11.1992

Neue Formen der DV-technischen Kommunikationsunterstützung ergänzen die elektronische Post (E-Mail), die seit Jahren den Kern der verschiedensten Bürokommunikations-Systeme bildet. Groupware und Vorgangsbearbeitung lauten die aktuellen Stichworte. Die folgende grundsätzliche Betrachtung über diese neuen Hilfsmittel

legt den Schwerpunkt auf Anwendungen in Unternehmen des Dienstleistungs- und Projektgeschäftes.

Neben vielen dedizierten Applikationen, die die Kernprozesse von Unternehmen unterstützen, nimmt die schnelle interne und externe rechnerunterstützte Kommunikation in ihrem grundsätzlichen Wert für die Produktivität eines Unternehmens zu.

Denn nicht mehr die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen überholen die Langsamen und erreichen entsprechend früher das Ziel. Groß zu sein oder zu werden und nicht den möglicherweise tödlichen Preis des Dynamik- beziehungsweise Flexibilitätsverlustes zu zahlen, ist die Herausforderung, der sich besonders große, verteilt organisierte Unternehmen des Projektgeschäftes und speziell der Informationstechnologie stellen müssen.

Das Leben bestraft die monolithischen Systeme

Am Beispiel der großen Computerunternehmen zeigen sich die Auswirkungen reduzierter Flexibilität besonders dramatisch. Es scheint eine Eigenschaft der Zeit zu sein, daß alle unbeweglichen monolithischen Systeme unerwartet rasch das Leben bestraft.

Mit der Einführung der Computer korrespondierten die Ideen der selbständigen Geschäftseinheiten und des Profit Center. Dies war unter anderem eine erste Konsequenz bezüglich der Management-Strategie großer Firmen, die sich auch auf veränderte Informationsstrukturen zurückführen läßt. Aus monolithischen Betrieben wurden flexiblere, aber dafür wuchs die Informationstechnik selbst zu einem zentralen Machtorgan in vielen Unternehmen. Mit dem sich abzeichnenden Zusammenbruch dieser Art der Informationstechnologie ist die heutige Zeit konfrontiert.

Lean Management ist eine Reaktion auf die gestiegenen Flexibilitätsanforderungen und die damit verbundene Dynamik von Kommunikation und Entscheidungen.

Outsourcing bringt nur eine temporäre Verlagerung des IT-Monolithen, aber keine inhaltliche Lösung. Trotzdem ist es für manche Unternehmen vielleicht ein wichtiger Schritt zum Machtabbau einer Institution, die nicht mehr Service ist, sondern sich zum Monopolisten entwickelte.

Der Zwang zur gesteigerten Flexibilität vergrößerte die Mündigkeit des einzelnen. Die Wichtigkeit der schnellen Informationsvermittlung war eine zwingende Folge, um den einzelnen schnell und richtig entscheiden zu lassen beziehungsweise Entscheidungsprozesse in Gang zu bringen. Die DV-technische Unterstützung dieser Wünsche begann mit der Bürokommunikation (BK). Auf der Basis von E-Mail, mit integrierten Grundapplikationen für Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Grafik, Formulargeneration und Ablage, Terminkalender und Bulletin Boards sollte die Lösung der Kommunikationsprobleme gefunden sein.

So monolithisch wie die erste Computer- ist auch die erste Kommunikationsgeneration.

Die Technik unterstützt alle Beteiligten auf die gleiche Art und trägt der Individualisierung und Spezialisierung von Kommunikation nicht Rechnung. Eine nur schnelle Post kann zum Beispiel zwischen Wichtigem und Unwichtigem nicht unterscheiden. Die Folge der Informationsflut ist eine sinkende Motivation, Nachrichten Oberhaupt zu lesen.

Mit steigender Bedeutung der Kommunikation im Unternehmen wurde die klassische Bürokommunikation durch spezifische Kommunikations-Applikationen ergänzt, die die Bedürfnisse verschiedener Unternehmenstypen besser adressieren sollen. Gruppenunterstützende Programme (Groupware) und Anwendungen zur Vorgangsbearbeitung ergänzen heute die E-Mail-Software.

Von Integration kann noch keine Rede sein

Unter den BK-Systemen der letzten Jahre überwogen die Rundum-Sorglos-Pakete, die die bereits erwähnten Grundapplikationen zur Verfügung stellen. Diese wurden dann an den Oberflächen poliert (objektorientiert, grafisch, Windows, WYSIWYG etc.), um dem Benutzer intuitiv begreiflich zu erscheinen.

Auf dem Markt tut sich allerdings insofern eine große Kluft auf, als überall der PC mit Standard-MS-DOS/Windows- Grundapplikationen zu finden ist, dessen Texte, Kalkulationen etc. in die genannten proprietären Pakete, wenn überhaupt, nur mit Konvertern zu überführen sind. Von Integration kann also noch nicht die Rede sein, wenn damit gemeint ist, daß man die gängigen BK-Grundapplikationen und ihre Formate, die der Kunde auf seinem PC oder der Kollege zu Hause auf dem Laptop hat, selbstverständlich einbeziehen will.

Dieses Manko der Pakete Ó la Uniplex, Alis oder Cliq wirkt sich zum Teil problematisch aus, obwohl gerade sie im Hinblick auf Groupware und Vorgangsbearbeitung durch das teilweise noch andauernde Facelifting ihrer Oberflächen neu gestylt werden.

Anforderungen an die Groupware

Auch die sogenannte Offenheit ihrer Betriebssystem-Basis hilft hier wenig, wenn es um inhaltliche Offenheit gegenüber der real existierenden PC-Welt geht, weshalb gerade in diesem Bereich Systemerweiterungen schon erfolgten oder noch folgen sollen. MS-Windows-basierte Plattform-Produkte wie zum Beispiel MS-Office, HP New-Wave oder Lotus Notes, die, sich untereinander allerdings sehr unterscheiden, machen den etablierten, auf Host- und Unix-Rechnern basierenden Produkten zunehmend Konkurrenz:

Was sind nun die entscheidenden Merkmale der Groupware? Der Begriff bezeichnet Produkte, die verteilte inhaltliche Aufgaben einer Gruppe unterstützen. Denn verteilte, projektorientierte Organisationen müssen immer wieder Teams bilden, um sich zum Erfahrungsaustausch, zur Angebotserarbeitung oder zur Projektbearbeitung kurzzuschließen.

Daraus ergeben sich im einzelnen folgende Anforderungen:

1. Groupware muß die Unterstützung und volle Integration des persönlichen Arbeitswerkzeuges und seiner typischen Applikationen gewährleisten. Dies ist derzeit der PC und seine MS-Windows-basierenden Applikationen beziehungsweise Dateiformate der BK-Grundapplikationen.

2. Der PC muß sich in sein Informationsnetz von einem beliebigen Standort aus integrieren lassen. Das bedeutet Netzwerkfähigkeit für alle sich bietenden Infrastrukturen, vom Akustikkoppler über Modem, ISDN, X.25 bis hin zum, Mobilfunk-Interface.

3. Groupware muß Workgroup Computing ermöglichen. Damit gemeint sind Unterstützung von gruppenbezogenen Arbeiten, Aufteilung der Ressourcen auf Teilmengen, projektbezogene Informationsdatenbanken sowie gruppenbezogene Konferenzen.

4. Gemeinsame Dokumentenerstellung im Team, auch Collective Writing genannt, muß praktikabel sein. Ziel hierbei ist es, Unterstützung für eine Gruppe bei der gemeinsamen Erstellung eines Dokuments zu bieten, von der Versionskontrolle bis hin zur parallelen Arbeit verschiedener Autoren am gleichen Dokument.

5. Notwendig ist auch die Unterstützung von Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen in einer Gruppe durch Phaseneinteilung, Strukturierung und Moderation der

Prozesse.

Datensicherheit und -verschlüsselung, elektronische Unterschriften die anerkannten Standards genügen, Zugangsregulation und Logging der Informationsbestände sind im Zusammenhang dieser Forderungen wesentlich, da man sich in öffentlichen Netzen bewegt und mit Kunden- und persönlichen Daten zu tun hat, um die Groupware sicher nutzen zu können.

Client-Server-Architekturen gewährleisten im Gegensatz zu rein Host-basierenden Systemen die notwendige Flexibilität der PC-Integration. Der Markt entspricht den genannten Anforderungen derzeit nur zum Teil. Während sich bei Forderung 1 und 2 (PC-Integration und Netzwerkvielfalt) so manches getan hat und auch die Unix-basierenden BK-Systeme DOS/Windows-Integration bis hin zu Stand-alone-DOS-Clients aufweisen (zum Beispiel SNI mit OCIS/PC, DEC mit Object Works etc.), sind andere Probleme noch ungelöst. Funktionen zur Entscheidungsunterstützung (Forderung 5) sind derzeit nur bei Produkten am Markt, die ausschließlich diesen einen Groupware-Aspekt adressieren wie Idea Fisher von Fisher Idea Systems oder Team Focus von IBM, die dieses Produkt als OEM der Firma Ventana Corporation in den USA vertreiben.

Konzentriert man seine Wünsche auf die Forderungen 1 bis 4, so ist der Groupware-Klassiker Notes von Lotus Development Incorporation noch Favorit. Besonders hervorzuheben ist die gruppenbezogene Dokumentendatenbank, die verschiedene Sichten oder Detaillierungsgrade auf die Daten und Dokumente erlaubt und das leidige Informationspflege-Problem in den Griff bekommen hat.

Der Markt erfüllt nur einen Teil der Wünsche

Bei Kunden-, Know-how-, Branchen- und Themendatensammlungen waren die Daten, weil für alle nutzenswert, bisher nur auf zentralen Systemen verfügbar. Mit Notes lassen sich unter anderem Auszüge aus Datenbänken lokal ablegen und fern vom Server pflegen. Auf Knopfdruck werden diese Informationen mit dem Server repliziert und stehen damit allen definierten Benutzern im Netz zur Verfügung.

Die Integration von Voice-Mail in E-Mail gehört noch zu den unerfüllten Wünschen bei Gruppenkonferenzen. Doch ließe sich gerade hier noch einiges an Zeit einsparen, denn das gesprochene Wort ist immer noch schneller (eingegeben) als das geschriebene.

Vorgangsbearbeitung ist noch nicht perfekt gelöst

Betrachten wir den Unterstützungsbedarf definierter Anwender zur Vorgangsbearbeitung, so wird die Ausbeute schon dünner.

Ein Kreditantrag in einer Bank oder eine Schadensmeldung im Versicherungsbereich ist ein typisches Massendokument mit einem klar definierten Weg im Unternehmen. Dieser Dokumentenart verdankt die Vorgangsbearbeitung ihre Existenz. Klar festgelegte Prozesse und Zuständigkeiten machen die DV-technische Definition von Vorgängen überhaupt erst sinnvoll.

Es ist nur dann rationell, Kommunikation mit einem Netz aus Regeln zu formalisieren, wenn diese nicht von zu vielen Ausnahmen wieder gebrochen werden.

Die Ausnahmebehandlung wird oft aufwendiger als bei freier Kommunikation zwischen verschiedenen Bearbeitern eines Dokuments.

Rationalisierung ist freilich nicht der einzige Aspekt des Themas. Wie sich am Beispiel von großen, weltweit agierenden Projektunternehmen zeigte, wird durchaus überlegt, Vorgangsbearbeitung auch zu nutzen, um der Zentrale mehr Einfluß auf die verteilten Aktivitäten zu ermöglichen. Daß diese Art von Controlling mit Hilfe von prozeduralisierten Vorgängen möglich sein wird, liegt auf der Hand.

Ob das bei verteilten Unternehmen mit eventuell hoher Selbständigkeit einzelner Geschäftseinheiten dem Geist der Zeit entspricht, darf man in Frage stellen.

Denn allen systemunterstützten Kommunikationssystemen ist gemeinsam, daß sie für den einzelnen User nicht nur leicht erlern- und bedienbar sein sollten, sondern daß Nutzen für die lokalen Anwender erkennbar sein muß. Inhalte in feste Formen zu gießen, schränkt immer auch Menschen in ihrer Gestaltungsfreiheit ein, und es wird immer Überzeugungsarbeit kosten, die Betroffenen dazu zu motivieren. Dies geschieht immer noch am besten über den erkennbaren persönlichen Vorteil.

Dieser wird gegeben sein, wenn Ende 1992 viele BK-Pakete mit Vorgangsbearbeitungskomponenten auf dem Markt erscheinen werden, ohne daß die Anwendungen kompliziert zu bedienen sind. Gerade große Unternehmen, auch wenn sie keine Massendokumente automatisieren müssen, haben ein internes Berichtswesen, formularisierte Kommunikation, ob es sich nun um Urlaubsanträge, Projektanmeldungen oder Monats-Forecast etc. handelt. Auch hier läßt sich durch gruppenunterstützende und vorgangsbearbeitende Komponenten Effizienz steigern und Kommunikation vereinfachen.

Groupware und Vorgangsbearbeitung werden gerade bei dienstleistungs- und projektorientierten Unternehmen helfen, die Bürokommunikation zur Unternehmenskommunikation zu erweitern. Beiden Formen der Kommunikationsunterstützung ist die Strukturierung der Kommunikation - in jeweils anderen Ausprägungen -gemeinsam. Dies bedingt allerdings, daß es bei der Einführung dieser Systeme nicht damit getan ist, die Benutzer mit dem Tool vertraut zu machen, sondern daß eine Abbildung der optimalen team- oder prozeßorientierten Kommunikationsstrukturen erst zu erarbeiten und implementieren ist.

Allein die Auseinandersetzung im Unternehmen darüber, wie die optimale Kommunikationsunterstützung zu konfigurieren sei, wird in vielen Fällen helfen, die historisch entwickelten Informationswege zu hinterfragen und zu verbessern, ehe sie dann ein neues System abbildet. Die Erfahrung lehrt, daß sich viele komplizierte und überflüssige Strukturen nur deshalb halten, weil es nie einen Grund gab, sie aufzuzeigen.

Es wartet also ein doppelter Rationalisierungseffekt auf die unternehmen, die Groupware und Vorgangsbearbeitung einführen. Eins machen diese Systeme deutlich: Information wird erst durch ihre effiziente Verbreitung und Nutzung im Unternehmen wertvoll, und diejenigen, die sie gerne zurückhalten, werden sich mit solchen Umgebungen erst einmal schwer tun.

Joachim Hoeder ist Management-Berater bei der Ploenzke Informatik, Geschäftsstelle Bundesministerium/Bundesbehörden, Wiesbaden.