Zwei-Klassen-Gesellschaft bei RFID

13.06.2005
Die Marktforschung beobachtet eine generelle Zurückhaltung der deutschen Unternehmen, aber langfristige Strategien bei einigen Pionieren.

Bei der Presse und auf Konferenzen nimmt das Thema Radio Frequency Identification (RFID) breiten Raum ein. Vorreiter wie die Metro Group oder Procter & Gamble haben weitreichende Erfahrungen mit der berührungslosen Identifikationstechnik gesammelt. In Teilbereichen ziehen sie sogar schon Vorteil daraus. Im Schatten dieser Vorzeigeprojekte blühen in kleineren Betrieben einige Anwendungen mit einem eng umrissenen Einsatzgebiet und einem definierten Business Case.

Doch die breite Masse der deutschen Unternehmen steht dem Thema RFID abwartend bis ablehnend, wenn nicht gar uninformiert gegenüber. Einer Studie der beiden Marktforschungsgesellschaften Lünendonk und Techconsult zufolge können etwa 800 von 1000 befragten Führungskräften - vor allem in kleineren Unternehmen - mit dem Begriff überhaupt noch nichts anfangen. Das gelte auch für 70 Prozent der IT-Entscheider. Die Fachabteilungsleiter sind augenscheinlich ein wenig besser informiert; der Anteil der Ahnungslosen liegt hier "nur" bei 62 Prozent. Angesichts dieser Zahlen erstaunt es wenig, dass auch von den Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern nur fünf Prozent planen, bis zum übernächsten Jahr konkrete RFID-Vorhaben zu starten.

Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine Untersuchung, für die IDC kürzlich 670 Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern befragte. 462 davon, also rund 69 Prozent, bekannten gegenüber dem Marktforschungsunternehmen, dass sie sich mit dem Thema RFID noch nicht beschäftigt hätten. Weitere 22 Prozent haben eigenen Angaben zufolge die Einsatzmöglichkeiten der Technik geprüft, sich aber gegen eine Einführung entschieden. Bleiben ganze neun Prozent, die die Funkfrequenztechnik verwenden wollen und sich davon einen Effizienzgewinn versprechen.

Lünendonk und Techconsult sprechen von einer "Zwei-Klassen-Gesellschaft", die in Deutschland herrsche: Wenigen Vorreitern stehe eine große Zahl von Unternehmen gegenüber, denen das Thema fremd sei. Die beiden Marktforschungsunternehmen haben sich intensiv mit den Strategien der Pioniere auseinander gesetzt. Diese rekrutieren sich eher aus den Großunternehmen, zumeist aus den Branchen Handel und Warenlogistik.

In den Vorreiterunternehmen wird das RFID-Thema vor allem vom Business vorangetrieben, so die Studie weiter. Die Impulse für die Anwendungsszenarien und Geschäftsmodelle kämen dabei neben der Logistik aus der Produktion und dem Einkauf (insbesondere in der Automobilindustrie) sowie aus dem Marketing (für Konsumgüter) und dem Vertrieb (beispielsweise im Handel).

Während die Pioniere die RFID-Technik aus eigenem Antrieb einführen, beschäftigen sich die Nachzügler häufig nur damit, weil ein wichtiger Geschäftspartner sie dazu zwingt, fanden Lünendonk und Techconsult heraus. Von einer strategischen Nutzung könne hier kaum die Rede sein. Damit auch die kleineren Zulieferer von der Technik profitieren können, empfehlen die Analysten ihnen, dass sie sich frühzeitig in die Entwicklungen ihrer Auftraggeber einbinden lassen.

Als Beispiel für ein Modell, aus dem beide Seiten Honig saugen können, nennt die Studie das Supplier-Managed Inventory, bei dem der Lieferant selbst für die Verfügbarkeit seiner Waren beim Handelspartner sorgt. Seine Warenlogistik könne der Zulieferer dadurch verbessern, dass er mit dem Hersteller Abverkaufs- und Umsatzplanungs-Daten austausche; im Fachjargon heißt das Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR). In diesen und anderen Kooperationsmodellen kann die RFID-Technik die Datenerfassung erheblich beschleunigen und die Fehlerquote senken.

IDC interessierte sich besonders dafür, warum trotz dieser Vorteile mehr als zwei Drittel der prinzipiell Einsatzwilligen die RFID-Technik nach intensiver Prüfung schließlich doch verwarfen. Dabei förderten die Marktforscher vor allem drei Ablehnungsgründe zu Tage: die mangelnde Reife des Marktangebots, die hohen Einführungskosten und die Auffassung, dass den Investitionen kein adäquater Mehrwert gegenüberstehe.

Argumente schwächen sich ab

Die vorgebrachten Argumente seien durchaus stichhaltig, räumt der verantwortliche IDC-Analyst Martin Haas ein. Allerdings würden sie sich im Laufe der technologischen Weiterentwicklung zumindest abschwächen. Höchstwahrscheinlich werde das Marktangebot mit der steigenden Akzeptanz quantitativ und qualitativ wachsen. Mit zunehmender Anzahl der Projekte sinke auch der Preis für die erforderlichen Infrastrukturkomponenten. Gleichzeitig schärfe sich auf der Anwenderseite der Blick für Einsatzmöglichkeiten und erzielbaren Mehrwert.

Hier gibt es offenbar noch Wissensdefizite. Der IDC-Untersuchung zufolge wollen zwei Drittel der Unternehmen, die schon RFID einsetzen oder dies ernsthaft planen, auf den Funkchips nichts weiter speichern als die Identifikationsnummer des jeweiligen Produkts. Damit werden die Vorteile dieser Kennzeichnungsmethode gegenüber dem traditionellen Strichcode überhaupt nicht genutzt.

Die Lünendonk-Techconsult-Studie sieht den fehlenden Return on Investment (RoI) als weniger hinderlich an: In vielen Pilotprojekten spiele dieser Aspekt eine "nachgelagerte" Rolle - vor allem deshalb, weil das Projektbudget die Kosten von vornherein limitiere und ein Controlling nur auf dieser Ebene stattfinde. Im Vordergrund der Projekte stehe mehr die Absicht, Erfahrungen für den operativen Einsatz zu sammeln und Geschäftsmodelle zu entwickeln, auf deren Grundlage dann die Wirtschaftlichkeit geschätzt werde. Offenbar hat die RFID-Avantgarde einen langen Atem: Laut Lünendonk und Techconsult rechnet beispielsweise die Metro Group beim Einsatz der Funkchips auf Transport-Verpackungen mit einer Amortisationszeit von vier bis sechs Jahren.

Ihre Vorteile kann die Funkfrequenzidentifikation nur ausspielen, wenn sie über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, also unternehmensübergreifend eingesetzt wird. Als wichtige Voraussetzungen dafür, dass die Unternehmen die RFID-Potenziale aktivieren können, betrachten Lünendonk und Techconsult den Reifegrad und die Integrationstiefe der Informationstechnik. Die IT-Abteilungen ständen vor der Herausforderung, eine für das jeweilige Anwendungsszenario "optimale" Architektur zu entwickeln.

Hinsichtlich der Technologieauswahl konnten die Marktforscher keine eindeutigen Trends identifizieren: Ein Teil der Anwenderunternehmen arbeite auch auf dem Gebiet der RFID mit ihren bevorzugten Lieferanten zusammen, andere suchten bewusst nach speziellem Know-how bei kleineren Lösungs- und Beratungsanbietern. Einig waren sich die Befragten jedoch in einer Hinsicht: Damit die mit RFID-Hilfe gewonnenen Daten zu Lagerbestand, Kommissionierung und Lieferstatus weiterverarbeitet werden können, müssen sie zwingend in das ERP-System integriert werden.

In dieser Hinsicht klafft wohl eine Lücke zwischen Erkenntnis und Handeln. Wie die Studie lapidar mitteilt, wird die Weiterverwendung der RFID-Daten in deutschen Unternehmen und Unternehmensnetzwerken "derzeit noch nicht forciert". Zusätzlich zu der ERP-Integration wäre hier beispielsweise die Verbindung mit Business-Intelligence-Systemen, beispielsweise einem Date Warehouse, sinnvoll. Damit ließen sich die extrem aktuellen und exakten RFID-Daten für eine zeitnahe unternehmensweite Prozesssteuerung nutzen.