ZVEI: Neue Konzeption muß besser verkauft werden:Weltgeltung der CeBIT-Messe in Frage gestellt

04.04.1986

MÜNCHEN - Die Installation der CeBIT-Messe neben der traditionellen Hannover-Messe stellt sich mehr und mehr als eine "Ausgrenzung" dar. Gegenläufig zur allseits beschworenen und realisierten Integration von C-Techniken bezeichnet der Trennungsbeschluß der Messegesellschaft offenbar einen Rückschritt in Richtung Masse statt Klasse. Dieser Kritik zunächst einzelner kleiner Unternehmen schloß sich jetzt, vielbeachtet, auch der Fachverband Informations- und Kommunikationstechnik des einflußreichen ZVEI (Zentralverband der Elektronischen Industrie) an.

Neben den von den Messemachern veröffentlichten Steigerungsraten, was Ausstellungsfläche und Ausstellerzahlen anlangt, erscheinen im Vorfeld der "eigentlichen Hannover-Messe "beispielsweise Anzeigen, die "Experten, die auf der CeBIT vermißt wurden", und zwar auf Grund von "Zielgruppenverwirrung", auf die nächste Hannover-Messe-Phase vom 9. bis 16. April aufmerksam machen (Hewlett-Packard).

Übereinstimmend ist das Ausstellerurteil, daß die Besucher der Industriemesse als Besucher gefehlt haben. Darüber täuschen auch sogenannte "Ja, aber-Statements" vieler Aussteller nach dem Motto: Wir sind sehr zufrieden, aber die Besucherzahl war um x Prozent niedriger, nicht hinweg. Derartige Angaben schwanken naturgemäß, liegen aber oft im zweistelligen Bereich. Bei Triumph-Adler war zum Beispiel von einem Minus von 15 Prozent die Rede und bei SEL gar von 30 Prozent.

Daß Große sich so dechiffriert äußern, ist ungewöhnlich, gleichwohl im Falle der SEL besonders verständlich. In der "lntegrationshalle 6" breitete sich oft gähnende Leere aus. Das wesentliche Thema der Informations- und Kommunikationsmesse CeBIT '86, nämlich "Integration von Datenverarbeitung und Nachrichtentechnik", war nicht ausreichend gut verkauft worden.

Hier nun knüpft auch die Kritik des ZVEI-Fachverbandes an. Die insbesondere von den deutschen ISDN-Protagonisten erwarteten Besucher aus dem Ausland sind nämlich weitgehend ausgeblieben. Fazit des Fachverbandes: Damit die Hannover-Messe CeBIT nicht zu einer Bürofachmesse von regionaler Bedeutung abgleitet, soll die Messegesellschaft "im Interesse aller Beteiligten" unverzüglich und intensiv den neuen Inhalt des jetzigen CeBITs erläutern, nämlich "Weltzentrum der Informations- und Kommunikationstechnik" zu sein.

Diesen Anspruch dürfte das diesjährige Messespektakel im März nämlich verwirkt haben. Ganz abgesehen von der mangelnden Anwesenheit der Entscheider (vergleiche CW 14/86), glänzte die Mehrzahl der politischen Prominenz, die dem CeBIT im Rahmen der Verbundmesse immer eine Referenz erwiesen hatte, auf der Leipziger Messe. "Hannover nach der Zellteilung" besitzt für Politiker und Medien offenbar keine rechte Anziehungskraft mehr. Ob ein neues, deutliches Markenzeichen, wie es der ZVEI fordert, die Image-Misere vergessen machen kann und damit den Verlust an Werbewirksamkeit und Marktfunktion, ist mehr als zweifelhaft. Internationalität bietet jedenfalls die Genfer Telecom, eine im Vierjahresrhythmus stattfindende Messe für Informations- und Kommunikationstechnik in weit größerem Maße. Das Thema Multifunktionalität beispielsweise, das im Zuge der Digitalisierung der Postnetze an Aktualität zunimmt, hatte dort bereits vor drei Jahren einen guten Start.

Da ein starkes Interesse der Besucher bei integrierten Problemlösungen für Sprache, Daten, Text und Bild gelegen hat, erscheinen die Bemühungen der Messestrategen, in Hannover hinreichend Transparenz des Angebots zu schaffen, jedenfalls vorerst verfehlt. Die Publikumsgewöhnung an das CeBIT, also die traditionelle Halle 1, war vorauszusehen. Integration hatten aber schließlich auch die anderen Hallen, nicht zuletzt Halle 6, anzubieten.

Als deutliches Manko wurde das Fehlen einer konzentrierten Forschungs- und Technologieübersicht deutlich. Nicht von Herstellern gefärbte Zukunftsbilder sowie Prototypen-Entwicklungen gingen in der in dieser Hinsicht wenig strukturierten Masse an Exponaten völlig unter. In diese Lücke dürften High-Tech-Veranstaltungen wie eben die Telecom '87 stoßen und damit für das auch technisch interessierte Publikum an Attraktivität gegenüber Hannover gewinnen.

Der Anziehungskraft der CeBIT-Messe auf Jugendliche mußte kräftig nachgeholfen werden. Das Computer Camp, ein Versuch über didaktische Möglichkeiten den Schülern näher zu kommen, kann nur teilweise als geglückt bezeichnet werden. Auch diese Veranstaltung litt, jedenfalls vormittags, an Besuchermangel.

Das derart kanalisierte Technik-Interesse der Nachwuchs-Anwender wurde aus dem eigentlichen Messegeschehen eliminiert. Als erfreulich wertet gleichwohl der ZVEI diese Initiative, ihre Konzepte müßten noch weiter ausgebaut werden. Erinnert sich ein alter Hase der Branche: "Zu Zeiten, da die Jungs die Schule schwänzten und unter dem Zaun durchschlüpften, brauchte man sich über Besucherzahlen und Attraktivität keine Sorgen zu machen."

CeBIT-Kongreß in Sicht?

Einen Architektenwettbewerb für ein Tagungszentrum hat jetzt die Hannover-Messe ausgeschrieben. Ansätze zu einer Kongreß-Messe waren ja schon auf der diesjährigen, konzeptionell veränderten CeBIT-Messe zu bemerken: Weg von "Konjunktur-Barometer" und politischer Schaubühne zur Ausstellung mit strukturiertem Seminarangebot und Zielgruppenorientierung. Dieser Ansatz könnte Hannover über den Verlust an Glanz und Gloria hinwegtrösten, vorausgesetzt, die neue Rille produziert nicht den ausgeleierten Mißton der sattsam bekannten XY-Kongresse, die sich von PR-Texten nähren. Eine qualifizierte Konkurrenz täte sehr gut. bi