Zunehmende Personalnot in der Elektronikbranche als Hintergrund

ZVEI: Mehr Frauen für DV-Berufe gewinnen

08.04.1988

MÜNCHEN - Der Arbeitsmarkt für Elektroingenieure und Informatiker ist leergefegt. Nach dem Motto "In der Personalnot frißt der Teufel Fliegen" wendet sich die DV-Branche nun den Frauen zu. Allerdings müßten zunächst einmal in den Unternehmen die Vorurteile gegenüber Frauen abgebaut werden.

Die Kommunikations- und Informationsindustrie benötigt jährlich allein 6000 bis 7000 Informatiker, stellt der Fachverband Informations- und Kommunikationstechnik (I+K) im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) fest. Bis Ende dieses Jahrhunderts werden in der Bundesrepublik rund 100 000 DV-Fachkräfte angepeilt. Soviel Nachwuchs können die Universitäten bis dahin allerdings nicht ausbilden. Zur Zeit sind in der Bundesrepublik etwa 50 Lehrstühle für Informatik vakant. Der I + K-Fachverband wertet dies als Indiz für die sinkende Attraktivität der Hochschullaufbahn für Informatiker gegenüber den Angeboten der DV-Industrie. Hinzu kommt, daß Absolventen der Universitäten und Fachhochschulen anschließend häufig artfremde Berufe ergreifen. Von den 110 000 Elektroingenieuren arbeitet lediglich die Hälfte in der angestammten Branche.

Da es für die Unternehmen in den nächsten Jahren immer dringender wird, qualifizierte DV-Kräfte zu finden, wendet sich der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie jetzt verstärkt an die Frauen. Bei den geplanten Werbeaktionen für die Ausbildung zu Elektroingenieuren und Informatikern sollen vor allem jene weiblichen Wesen angesprochen werden, "die keine Ehrfurcht vor der Mathematik haben". Denn mit "Frau Elektroingenieur" hat die Branche, so der ZVEI, in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht.

Tatsächlich sind hierzulande Frauen in Ingenieurberufen noch immer Mangelware, obwohl der Anteil der Studierenden in diesen Disziplinen im Verhältnis zur Gesamtstudentenschaft zunimmt. So sind gegenwärtig in den sogenannten "harten" Disziplinen wie Maschinenbau und Elektrotechnik kaum mehr als zwei Prozent Frauen zu finden. Fazit einer Untersuchung, die von der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde: Die eigentlichen Probleme angehender Ingenieurinnen lägen nicht im fachlichen, sondern im sozialen Bereich aufgrund des "männlichen Habitus" und der Aversion gegenüber Frauen in ingenieurwissenschaftlichen Berufen. So müssen Ingenieurinnen beispielsweise länger als ihre männlichen Kollegen auf ihre erste Anstellung warten, fanden die Berliner Forscher heraus. Am ehesten würden sie noch einen Job in Großbetrieben und großen Forschungseinrichtungen finden. Nahezu alle Ingenieurinnen seien jedoch lediglich auf Sachbearbeiterebene tätig und nur wenige erreichten außertarifliche Besoldungsgruppen.

"Das allerdings können sich die Unternehmen bei der engen Personaldecke nicht mehr lange erlauben", prognostiziert Friedemann Stooß vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Den Betrieben wird seiner Meinung nach künftig nichts anderes übrigbleiben, als ihre Vorurteile gegenüber Frauen über Bord zu werfen und ihnen auch leitende Positionen anzubieten. Schließlich seien die Frauen das einzige Mitarbeiterpotential, das noch "brach liegt". Resümiert Stooß: "Viele Frauen glauben doch mit Recht, daß sie von vornherein keine Chance in Bereichen haben, die bislang absolute Männerdomäne waren." Deshalb ließen sie die Finger lieber ganz davon. Es sei Aufgabe der Unternehmen, so der Nürnberger Arbeitsforscher, die potentiellen Mitarbeiterinnen vom Gegenteil zu überzeugen.

"Die Führungspositionen in unserem Unternehmen sind bisher noch ausschließlich von Männern besetzt", muß denn auch Roland Heincke, Leiter Personalentwicklung, Reemtsma Cigarettenfabrik GmbH, Hamburg, zugeben. Allerdings ist ihm klar, daß die Bedenken gegenüber Frauen außer acht gelassen werden müssen, wenn man sich die künftige Personalentwicklung vor Augen halte. Die Männer allein könnten die bestehenden Lücken im DV- und Führungskräftebereich nicht mehr schließen. Erste Ansätze zu einer Neuorientierung sind bei Reemtsma bereits zu erkennen. So gibt es in der DV-Abteilung inzwischen drei Projektleiterinnen.

Gute Erfahrungen mit DV-Expertinnen hat Dr. Heinz Brill, DV/Org.-Leiter bei der Krupp Stahl AG in Bochum gemacht: "Frauen, die einmal den Weg in die DV gewählt haben, haben diese Entscheidung sehr bewußt getroffen. Sie sind einsatzfreudig und belastbar." Allerdings konnte Brill beobachten, daß die Fachabteilungsmitarbeiter häufig weibliche DV-Profis weniger akzeptieren als deren männliche Kollegen. Wenn diese Vorurteile abgebaut würden, darin sind sich DV-Experten und Arbeitswissenschaftler einig, dann hätten Frauen in der DV-Branche auf lange Sicht mindestens die gleichen, wenn nicht sogar bessere Chancen als die Männer. Schließlich sei die Datenverarbeitung an sich "geschlechtsneutral".