Eine Chance für Wirtschaftswachstum

Zuwanderung: "Die Arbeit geht uns nicht aus"

14.11.2007
Von pte pte
Dem technischen Fortschritt und der zunehmenden Automatisierung von Arbeitsprozessen fallen immer mehr Arbeitsplätze zum Opfer. Trotzdem wird auch in Zukunft genügend Arbeit vorhanden sein, prognostiziert ein Experte.

Diese Ansicht vertritt Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit, im Gespräch mit pressetext. "Oft wird übersehen, dass die freie Zeit, die wir durch den technischen Fortschritt gewinnen, von Menschen dazu verwendet wird, wieder neue Bedürfnisse zu entwickeln." Schneider hielt sich auf Einladung des Competence Call Center (CCC) am Dienstag in Wien auf, um das Eröffnungsreferat zum 2. Forum Zukunft der Arbeit zu halten. In seinem Beitrag erläuterte er, dass ein Wandel der Arbeit stattgefunden habe. Dieser betreffe nicht nur organisatorische und demografische Entwicklungen, sondern beziehe sich auch auf die Zuwanderung von Arbeitskräften und das damit verbundene wirtschaftliche Wachstumspotenzial.

"Ohne Fachkräfte funktioniert eine moderne Volkswirtschaft nicht so, wie wir es uns wünschen würden. Wir würden sehr viel Wachstumspotenzial vergeuden", sagt Schneider im Gespräch mit pressetext. Denn die Nachfrage nach bestimmten Qualifikationen sei da. Wenn diese aber nicht in Deutschland, Österreich oder Europa befriedigt werden kann, dann wird dies woanders getan. Das vergeudete Potenzial könne dann über einen langen Zeitraum nicht wieder zurückgewonnen werden.

Die Zuwanderung von gering qualifizierten Arbeitskräften ist laut Schneider nicht wirklich problematisch, wie das Beispiel Großbritannien zeige. "Wenn ein Arbeitsmarkt hinreichend flexibel ist, ergibt sich überhaupt kein Problem, die Zuwanderung von gering Qualifizierten sinnvoll aufzufangen", meint Schneider. Jeder Zuwanderer bringe auch seine eigene Nachfrage und ist damit Konsument. Dadurch unterstütze er die Schaffung von Arbeitsplätzen und trage mit seiner Wertschöpfung dazu bei, dass es allen besser geht. In einem Sicherungssystem wie dem deutschen kann diese Zuwanderung allerdings zu einem Problem werden, ergänzt Schneider.

"Die Zuwanderung von gering Qualifizierten bedeutet in diesem Fall, dass man zusieht, wie Menschen in die Sozialhilfeabhängigkeit wandern", übt der Experte Kritik am deutschen Sozialversicherungssystem. Selbst wenn sie arbeiten wollen, wären sie schnell damit konfrontiert, dass es sich für sie nicht lohnt. "Wir haben die Zuwanderung in die Alimentierung zugelassen, die Zuwanderung von hoch Qualifizierten aber systematisch torpediert", sagt Schneider gegenüber pressetext. Die besten wanderungsbereiten Arbeitskräfte wurden demnach schon in anderen Ländern aufgenommen.

"Die Sorge, dass Fachkräfte aus dem Ausland kommen und anderen die Arbeit wegnehmen, ist völlig unüberlegt. Jemand, der in den letzten fünf bis sechs Jahren keinen Job bekommen hat, wird auch in den nächsten zehn Jahren keinen bekommen. Außer wir sorgen dafür, dass sich an den Bedingungen, warum diese Menschen keine Arbeit finden, etwas ändert", so Schneider. Von qualifizierten Zuwanderern, die bereits ein Jobangebot haben, würden auch jene profitieren, die heute keinen Arbeitsplatz haben. Jeder Ingenieur, der einen Arbeitsplatz habe, sorge dafür, dass mindestens zwei andere Arbeitnehmer an diesem Job nachgelagert angereiht sind.

"Ein Stück weit ist es so, dass die Fachkräfte, die von Ost- nach Westeuropa wandern, für das Wachstumspotenzial der Auswanderungsregion fehlen", erklärt Schneider. Dies behindere zum Teil auch die Wachstumschancen dieser Regionen. Die Frage sei, ob dies verhindert werden kann - nach Ansicht Schneiders ist es eher unrealistisch. Denn Hochqualifizierte hätten den Wunsch, ihre Chancen zu verwerten, sind wanderungsbereit und suchen von sich aus nach Lösungen. "Denjenigen, die wanderungsbereit sind, müssen wir die Chance geben, ihr Potenzial bei uns zur Anwendung zu bringen und nicht woanders."

Eine weitere Herausforderung für die Arbeitswelt ist der organisatorische Wandel, erläutert Schneider. "Wir werden in Zukunft auf jeden Fall anders arbeiten." Bereits vor 20 Jahren hat ein Wandel der Unternehmensstrukturen und Arbeitsbeziehungen eingesetzt, der sich in Zukunft fortsetzen wird. Die Einführung von Teamstrukturen und Zielvereinbarungen sowie erfolgsabhängige Gehaltsanteile hätten auch zu einem veränderten Bild des Mitarbeiters geführt.

Durch diese Veränderungen sei eine neue Form der Verantwortung für den Arbeitnehmer entstanden, die nun auch unternehmerisches Denken und Handeln verlange. Im Rahmen dieser Entwicklung wird auch nach einer Neuausrichtung der Gewerkschaften gefragt. Halten diese an ihrem traditionellen Rollenbild fest, werden sie in der veränderten Arbeitswelt nicht mehr gebraucht. Stattdessen entsteht Bedarf nach einer neuen Form der Interessensvertretung, die auch neue Dienstleistungen anbietet. (pte)