Zur Strategie von Parsytec Kuebler: "In zehn Jahren rechnen die meisten Computer parallel" Ein Bericht von Werner Osel*

01.10.1993

In diesem Jahr wird der "Preis der Stadt Aachen fuer Innovation und Technologie" an Falk Kuebler, geschaeftsfuehrender Gesellschafter der Parsytec-Gruppe, verliehen, weil das Unternehmen durch "innovative Technologie neue Wirtschaftspotentiale" erschliessen hilft. Parsytec ist das seltene Beispiel fuer eine erfolgreiche High-Tech- Gruendung in Deutschland.

Als Kuebler zusammen mit dem Physiker Gerhard Peise und dem Ingenieur Bernd Wolf 1984 die Parsytec GmbH gruendete, war das parallele Computing noch eine recht exotische Sache, mit der an Hochschulen und Forschungsinstituten experimentiert wurde, die aber in Industrie und Verwaltung noch keinen Platz gefunden hatte.

Dort rechnete man mit grossen Mainframes ganz sequentiell in der guten, bewaehrten Von-Neumann-Struktur. Fuer sehr umfangreiche Aufgaben gab es die maechtigen und teuren "Number Cruncher" von Cray oder Control Data, die ebenfalls sequentiell, nur schneller rechneten. Die Welt des Computing hatte ihre Ordnung gefunden, die mit jedem neu aufgestellten Rechner gefestigt wurde. Denn je groesser die installierte Basis, umso schwerer wird es fuer Neuerungen, Gelaende zu erobern.

Aber Kuebler, 1949 in Duesseldorf geboren und 1974 frischgebackener Diplom-Ingenieur fuer Elektrotechnik mit Schwerpunkt Informatik, war schon immer etwas neugieriger. Er hatte noch vor seinem Praedikatsexamen bei der GMI Gesellschaft fuer Mathematik und Informatik GmbH, Aachen, begonnen ("tagsueber habe ich gearbeitet und nachts meine Diplomarbeit geschrieben"), an Management- Informationssystemen (MIS) fuer IBM-Rechner zu arbeiten. Dabei ging es um die Entwicklung von Programmiersprachen fuer Endanwender. Das war damals ein neuer Ansatz - Datenverarbeitung war eine Sache fuer Fachleute.

Ingenieure brauchen mehr Kundenorientierung

Die GMI hatte 1978 rund 35 Mitarbeiter, erinnert sich Kuebler. "Hier habe ich gelernt, wie eine kleine Firma funktioniert." Es gibt keine Stabsabteilungen mit vielen Experten, auf die man Probleme abschieben kann. Jeder muss notfalls alles machen.

Zum anderen erkannte er die Bedeutung des Vertriebs und der Kundenwuensche. "Richtige Ingenieure halten meist nicht viel von ihren Kunden, sondern wissen als Fachleute alles selbst am besten. Sie stellen eine optimale Loesung hin und warten darauf, dass alle Welt gelaufen kommt", spottet Kuebler, der selbst aus einer Ingenieurfamilie stammt. "Bei GMI lernte ich, dass Loesungen erst optimal sein koennen, wenn sie fuer Anwender einen klaren Nutzen haben und dass man das auch aller Welt erklaeren muss."

In der GMI setzte er sich dafuer ein, Software auch fuer PCs zu entwickeln, schrieb die Mainframe-Programme selbst in C fuer PCs um und vermarktete sie. Das war damals neu. Inzwischen ist wohl auch fuer die GMI die PC-Software laengst wichtiger als Mainframe- Programme. "Damals", so Kuebler, "erkannte ich, dass ich mehr Freude haette, wenn ich selbst etwas gestalten konnte, mit allen Risiken, die jeder Selbstaendige auf sich nehmen muss." Er suchte eine neue, groessere Herausforderung ("Das hochtoenende Wort mag ich eigentlich nicht").

Da las er 1984 in einer Fachzeitschrift einen Artikel ueber Parallelverarbeitung, und "das hat mich fasziniert". In knapp zwei Wochen entschied er sich, eine eigene Firma zu gruenden, um aus der damals noch wissenschaftlichen Idee eine praktische Technologie zu machen. Das war die Vision - das Wort findet Kuebler auch etwas hochtrabend -, die zur Basis der Parsytec wurde.

Schon im Oktober 1985 wurde Parsytec gegruendet, "mit zwei grossen Risiken: Parallelrechnen war neu, und moegliche Anwendungen konnten wir nur ahnen". Um sich nicht zu uebernehmen, legte das neue Unternehmen einen Schwerpunkt fest.

Die Firma konzentrierte sich auf den Transfer der Basistechnik zur Endanwendung, die beide mit Partnern in Wissenschaft und Industrie entwickelt werden sollten.

Das begann also nicht als Bastelstube versponnener Ingenieure, die einsam und heimlich an einer Basistechnik werkelten, aber auch nicht als Vertriebsbuero, das irgendein Produkt unter die Leute brachte. Parsytec war von Anfang an eher ein Koordinationszentrum und Drehscheibe zwischen Wissenschaft und Praxis mit vielen mehr oder minder festen Kooperationen.

Zudem vermied Parsytec dank der Erfahrungen bei GMI den Aufbau einer hierarchischen Organisation mit Kaestchen, Linien und Dienstwagenordnung, wie man das hin und wieder bei Spin-offs aus fein strukturierten Grossbetrieben beobachtet hat.

Erster Anwendungsbereich soll-te die Automatisierungstechnik sein. "Die vielen Automaten und Roboter in einer Werkshalle sind ein Parardebeispiel fuer paralleles Arbeiten." Im Maerz 1986 zeigte Parsytec auf der Hannover-Messe Industrie bereits das erste Produkt. Das war zwar noch nicht ganz fertig, aber "wir konnten uns keine langen Entwicklungszyklen leisten", sagt Kuebler. "Wer drei Jahre entwickelt und dann einen Flop produziert, hat als junge Firma mit knappen Ressourcen verpielt. Wir sahen nach einem halben Jahr, dass unsere Idee Interesse fand und machten schon bald erste Umsaetze.

Mit dem Gedanken an den Transfer wurden und werden Parallelrechner an Hochschulen verkauft, die das Massive Parallel Processing (MPP) erforschen und weiterentwickeln, sowie an Entwicklungsabteilungen der Industrie, die Anwendungen erarbeiten und verbessern. Dabei setzt Kuebler ganz auf "embedded MPP", also Systeme fuer Problemloesungen, deren Kern ein Parallelrechner ist. Dazu gehoert auch der neue parallel arbeitende Desktop, denn Kuebler sieht fuer diese Rechner Aufgaben in der ganzen Breite von Superrechnern bis hinunter zum Rechner am Arbeitsplatz.

Markt fuer Parallel Computing waechst

Inzwischen kommt Parallelrechnen in Mode. Die wichtigsten Anbieter haben ihren Sitz in den USA. Die bekanntesten sind: Active Memory Technology, MasPar Computer, Thinking Machines und Wavetracer, die ihre Prozessoren gleichzeitig die gleichen Operationen an verschiedenen Teilabschnitten ausfuehren lassen (Lockstep- Verfahren).

Die Alliant Computer, Intel, die britische Meiko Scientific, N- Cube, Thinking Machines und Parsytec haben Parallelrechner, die flexibler sind, weil die Prozessoren ihrem eigenen Programm folgen, allerdings sind sie auch schwieriger zu programmieren. Schliesslich haben Cray Research, Kendall Square Research, NCR und IBM angekuendigt, Parallelrechner auf den Markt zu bringen. Den weltweiten Markt fuer "embedded Parallelrechner" schaetzt Kuebler auf 400 Millionen Dollar. Die Gartner Group rechnet schon fuer 1996 mit 3,5 Milliarden Dollar.

Parsytec wird im laufenden Geschaeftsjahr 1994 (Ende: 30. August 1994) knapp 50 Millionen Mark nach 30 Millionen Mark im Vorjahr umsetzen.

In zwei Jahren will Parsytec an die US-Boerse

Ausser einer Niederlassung in Chemnitz gibt es Toechter in USA, England, Russland (Moskau und Petersburg), Bulgarien und jetzt auch in Israel. Das Unternehmen, das zu 60 Prozent Kuebler, zu 30 Prozent einem europaeischen Konsortium, das von der Venture Capital Gesellschaft TVM, Muenchen, gefuehrt wird, und zu zehn Prozent den Mitarbeitern gehoert, hat insgesamt acht Millionen Markt oeffentliche Foerdermittel in Anspruch genommen, die es aber erst gab, als die ersten Produkte bereits verkauft waren. Im uebrigen finanziert sich das Unternehmen selbst.

Kuebler denkt daran, in den USA in etwa zwei Jahren an die Boerse zu gehen, um "neue Mittel fuer die Expansion zu gewinnen". Wie die meisten High-Tech-Unternehmen zahlt auch Parsytec keine Dividende, sondern reinvestiert alles in sein Wachstum.

"In zehn Jahren", davon ist Kuebler ueberzeugt, "werden Industrie und Verwaltung nur noch Parallelrechner installieren", allerdings ohne die installierte Basis gleich aufzugeben.