Umstritten: Weiche Ware, ein Produkt wie jedes andere?

Zumindest Standard-Software ist eine "bewegliche Sache"

16.02.1990

Thomas Heymann ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Koch von Braunschweig, von Mettenheim (Frankfurt)

Obige Artikelserie beruht auf der erweiterten Fassung eines vor der Industrie- und Handelskammer Frankfurt gehaltenen Vortrags

Literaturhinweise

1) Taschner Richtlinie - Kommentar Art. 6 Rn 28

2) Amtsblatt EG 8. 5. 89, Nr. C 114/42 = Computer und Recht 1989, Seite 763

3) Bauer PHI (Produkthaftungsinformationen) 1989, Seite 98, 101

4) so fälschlich Bauer PHI 89, 45 und PHI 89, 100

5) Bauer PHI 89, 45

6) so im Ergebnis wohl auch: Koch/Schnupp Computer und Recht 1989, Seite 893, 898 ff.

7) so z. B. Engel, Computer und Recht 1986, S. 702, 706

8) so Stumpf; Der Lizenzvertrag 5. A., Rn 257

9) so Hackemann, in Gorny S. 191, 194

10) Stumpf, aaO Rn 159

11) Entscheidungssammlung des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ) 54, S. 53, 58

12) vergleiche Bruggemann, Reich WM 1989, Seite 149, 155 mwN

13) Bundestags-Drucksache (BT-DS) 11/2447 Nr. IV.3

Serie Produkthaftung Folge 3

Am 1. Januar dieses Jahres ist nach langwierigen Auseinandersetzungen das neue Produkthaftungsrecht in Kraft getreten - trotz mancher offener Fragen. So sind sich die Juristen beispielsweise nicht darüber einig, ob und in welchem Umfang Software Produkthaftansprüche auslösen kann. Hier soll - nach der Darstellung der Gesetzesgeschichte - auch das bisher geltende verschuldensabhängige Produkthaftrecht vorgestellt werden, denn es bleibt weiter in Geltung. Doch tritt nun eine verschuldensunabhängige Produkthaftung daneben, allerdings mit Selbstbeteiligung der Geschädigten, Haftungsbegrenzungen und nur zugunsten privater Verbraucher.

Diese dritte Folge der Artikelserie weist auf die "erzieherische Funktion" des Haftungsrechts hin: Der sollte für einen Schaden haften, der den Eintritt dieses Schadens mit den geringsten Mitteln hätte verhindern können.

(Folge 2 dieser Serie ist in CW Nr. 6 auf Seite 32 erschienen)

Sowohl Standard-Software als auch Individual-Software können Ansprüche auf Produkthaft auslösen. Umstritten ist, ob für sie auch die verschuldensunabhängige Haftung gilt. Nach Auffassung des Verfassers wird die Rechtsprechung dies bejahen.

Es ist nach unserem Überblick ziemlich unbestritten, daß zumindest Standard-Software unter die klassische Produkthaftung fällt, die weiter gilt. Schwieriger und umstritten sind aber zwei weitere Fragen. Erstens wird bestritten, daß Software überhaupt als Produkt im Sinne der Richtlinie anzusehen ist. Zweitens wird behauptet, zumindest Individual-Software könne keine Produkthaftansprüche auslösen.

"Produkt"-Definition ist der Zankapfel

Der Streit ob Software auch unter die Richtlinie und das neue Produkthaftungsgesetz fällt, entzündet sich an der Definition des Begriffs "Produkt" durch ° 2 des Gesetzesentwurfes:

"Produkt im Sinne des Gesetzes ist jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache bildet, sowie Elektrizität."

Auch die Richtlinie definiert das Produkt als "bewegliche Sache". Taschner, einer der Verfasser der EG-Richtlinie, hat wie selbstverständlich festgestellt, daß nach dem Willen des Normgebers auch EDV-Programme als bewegliche Sache anzusehen sind 1). Lord Cockfield hat im Namen der Kommission am 15. November 1988 offiziell verlauten lassen, daß der Richtliniengeber die Computer-Software als bewegliche Sache ansieht und "somit" die Richtlinie auf Programme Anwendung fände 2). Die amtliche Begründung zum Gesetz erklärt, die Definition orientiere sich am bisherigen Produktbegriff, der zumindest Standard-Software unbestrittenermaßen umfaßt und sich keinesfalls nur auf bewegliche Sachen beschränkt.

Dagegen ist allerdings in der juristischen Literatur kürzlich behauptet worden, Programme würden nicht unter die Richtlinie fallen, weil sie keine beweglichen Sachen sind 3). Über Definitionen läßt sich nun trefflich streiten. In seinem kürzlich erschienenen Werk "Softwareüberlassung als Sachkauf" hat Thomas Hoeren mit überzeugenden Argumenten dargelegt, daß rechtlich kein Unterschied besteht zwischen der Überlassung von Standard-Software und dem Verkauf eines Buches. Unstreitig sind aber Bücher bewegliche Sachen. Für Standard-Software entscheidend erscheint folgender Gesichtspunkt: In der Regel werden die Programme auf Datenträgern (Disketten, CD-ROMS, Bändern) ausgeliefert. Ist das Programm fehlerhaft, so wird man auch diesen Datenträger als "fehlerhaft" bezeichnen, da seine einzige Funktion ja darin besteht, die Programme zu speichern. Zwar mag das Programm als "Werk" ein Ensemble von Befehlen und damit ähnlich anderen geistigen Schöpfungen immateriell und damit auch keine bewegliche Sache sein. Übertragen wird aber regelmäßig nicht das Werk in diesem Sinne, also ein bloßer geformter Inhalt. Auf den Inhalt des Programms kommt es dem Anwender meist nicht an, er braucht diesen nicht zu kennen. Umgekehrt wird zumindest bei der Übertragung von Standard-Software der Urheber kein Interesse daran haben, dem Nutzer Kenntnisse über die innere Struktur des Werks zu verschaffen, dies vielmehr als sein Geheimnis hüten wollen.

Der Erwerber nutzt somit das Programm wie eine Blackbox, indem er Eingangszustände hereingibt, und korrekte Ausgangszustände erwartet. Das entspricht der Nutzung jedes anderen Produkts, wie etwa einer Waschmaschine. Aus diesem Grund geht es bei durch Nutzung von Software verursachten Schäden nicht um eine "Haftung für Information" 4). Wenn aber bei der Nutzung des "Gebrauchsgegenstandes" EDV-Programm vermeidbare Schäden an den Schutzgütern des Produkthaftungsrechts auftreten, ist kein Gesichtspunkt erkennbar, warum man ein Standardprogramm gegenüber der Waschmaschine privilegieren sollte. Daß der Endabnehmer dem Produzenten unbekannt ist 5), unterscheidet ein Programm nicht von einer Waschmaschine.

Ist Individual-Software als Produkt anzusehen?

Auch das spricht dafür, Standardprogramme - notfalls auf dem Umweg über den Datenträger - unter die Definition von Richtlinie und Gesetz zu subsumieren 6). Schließlich sollte man die unglückliche Terminologie nicht überbewerten. Hätte nämlich der Gesetzgeber einen derart "schadensträchtigen" Bereich wie Programme der Elektronischen Datenverarbeitung von der Haftung ausnehmen wollen, so hätte er dies wohl - zumindest in den Materialien - klar zum Ausdruck gebracht. Anzustreben ist hier indes vor der endgültigen Verabschiedung die ausdrückliche Einbeziehung von Programmen im Wege einer redaktionellen Klarstellung des Gesetzentwurfs.

Denn daß die Auslegungsschwierigkeiten schon vor Verabschiedung eines Gesetzes beginnen, spricht nicht für eine legislatorische Glanztat.

Ist aber auch Individual-Software ein "Produkt" im Sinne des Gesetzesentwurfs? In der Literatur wird dies häufig mit der Begründung verneint, es besteht kein Anlaß, die Regeln der Produzentenhaftung auf Werkleistungen auszudehnen 7). Das Individualprogramm sei nämlich nicht für den Absatz und die Verbreitung bestimmt. Es werde in enger Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und Software-Unternehmer ausgearbeitet. Außerdem könne der Auftraggeber sehr viel umfangreichere Dokumentationen erhalten und gewinne dadurch viele Einblicke in die Programmgestaltung. Die von der Rechtsprechung genannten Voraussetzungen für eine Beweislast-Umkehr seien daher bei Individualprogrammen nicht erfüllt.

In der Literatur zu sonstigen Lizenzverträgen wird zudem der Gesichtspunkt der

"Produktnähe" hervorgehoben. Wer einen Lizenzgegenstand "herstellt", sei "eigenständiger" Hersteller, deshalb bedürfe er (zusätzlichen) Haftung durch den Lizenzgeber nicht 8).

Aber ist dies wirklich überzeugend? Kommt es nicht mehr allein darauf an, daß ebenso wie bei anderen Wertgütern eine einmalige geistige Leistung bis hin zum Benutzer schädlich auswirkt? Und wird nicht der "Beste in der Regel gerade deshalb Programmieraufgabe "auf Haus" geben, weil er sich, beziehungsweise seinen Mitarbeitern die Bewältigung dieser Aufgabe fachlich nicht zutraut? Warum besteht hier der Unterschied, zum klassischen Konstrukteurbüro, bei dem unter dem Gesichtspunkt der "Verantwortungsübernahme für eine Gefahrenlage" wiederum eine Produkthaftung in Betracht nehmen soll 10)?

Soll der Lieferant der Qualitätsprüfungssoftware nicht haften, obwohl bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise mancherweise er der einzig "Schädige" an dem angerichteten Schaden ist, weil er seinen Zutritt durch ein ordentliches Prüfprogramm hätte vermeidlich helfen können?

Erzieherische Funktion als Haftungsrecht

Das würde dem rechtspezifischen Grundsatz widersprechen, wonach möglichst dem einen Schaden haften sollte, seinen Eintritt mit den geringsten Mitteln verhindern können und damit einer wichtigen "erzieherischen" Funktion des Haftungsrechts.

Das Gesetz jedenfalls verlangt nur, daß das Produkt "in den Verkehr gebracht" wurde und das trifft auch auf Produkte zu, die aufgrund Werkverträgen geschaffen wurden. Im übrigen enthält ° 1 Abs. 2 des Gesetzentwurfs einen abschließenden Katalog von Haftungsausschlüssen. Nach der noch am ehesten einschlägigen Ziffer 3 die Vorschrift ist die Haftung (nur) ausgeschlossen wenn der Haftungsteller das Produkt "weder in den Verkauf" noch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben hat. Das erlaubt den Umkehrschluß daß die bloße Herstellung auf einer Individual-Software ein Haftungstatbestand auszulösen vermag, wenn diese nur im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erfolgt. Das wird aber regelmäßig der Fall sein. Zwischen industriell- und nicht-industriell-gefertigter Ware kann daher bei der Anwendung der Richtlinien nicht unterschieden werden.

Was die weiterbestehende Haftung aus dem klassischen Deliktsrecht angeht, gelten folgende Überlegungen:

Für Schäden aufgrund eines schuldhaft fehlerhaften Produkts wird gehaftet, völlig unabhängig davon wie dies hergestellt wurde. Denn diese Haftung ist Folge der einmütig anerkannten "allgemeinen Verkehrssicherungspflicht". Schon das Reichsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 23. Februar 1903 - lange vor der Herausbringung der Produkthaftung - den allgemeinen Rechtsgrundsatz festgestellt: "Es läßt sich aus den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches ... der allgemeine Grundsatz ableiten, daß .. jeder auch für die Beschädigung durch seine Sachen insoweit aufkommen solle, als er dieselbe bei billiger Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen hätte verhüten müssen." 11 )

Als "Produkthaftung" wird aber - wie ausgeführt - häufig die zusätzliche Belastung des Herstellers mit der Umkehr der Beweislast verstanden. Der Grund für diese Beweislast-Umkehr liegt in der Tat auch in der Unübersichtlichkeit hocharbeitsteiliger industrieller Massenproduktion 12). Soweit dieser Gesichtspunkt bei der oft "handwerksmäßig" betriebenen Erstellung der Individual-Software eingreift, wird man bei der Haftung aus ° 823 Abs. 1 BGB in der Tat - anders als bei der Haftung nach der Richtlinie - nicht zur Anwendung der "Produzentenhaftung" im Sinne dieser Beweisregeln kommen, sondern es bei einer Haftung nach dem Gesetzesentwurf belassen, beziehungsweise bei einer Haftung aus ° 823 BGB für die Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten aber ohne Umkehr der Beweislast für den deliktischen Haftungstatbestands. Soweit Individual-Software durch große Softwarehäuser in größeren Programmiergruppen erstellt wird, können hingegen Gesetz und deliktische Haftung nebeneinander herangezogen werden.

Eine andere - hier nicht zu erörternde - Frage ist es freilich, ob auch noch aus anderen Gesichtspunkten Beweiserleichterungen in Betracht kommen. Das Gesetz ist hier im übrigen klüger als seine Autoren Denn diese haben in die amtliche Begründung geschrieben, die Definition des Produktbegriffs orientiere sich an den einschlägigen Kategorien des bisherigen Produkthaftungsrechts (13), was nach alledem nur beschränkt zutrifft. (wird fortgesetzt)