IT in Marketing und Vertrieb/

Zum Einkaufen in die Ferne schweifen, der PC liegt nah

29.03.1996

Von Horst-Joachim Hoffmann*

Die altbekannte 80-zu-20-Regel setzt sich offenbar auch in der weltweiten Vernetzung durch: Bei Compuserve, einem der grossen Online-Anbieter, sind derzeit 80 Prozent private oder semiprofessionelle Anwender. Unternehmen stellen nur 20 Prozent der Kunden, so Thorsten Ganz, Produkt-Marketing-Manager von Compuserve aus Muenchen. Der Trend wird sich mittelfristig zwar nicht umkehren, doch entdecken langsam auch die kommerziellen Nutzer, dass Online-Netze ein enormes Potential fuer Geschaefte bergen.

Kein bedeutender Online-Anbieter kann heute ohne Anbindung ans Internet ueberleben. So gehen aktuelle Schaetzungen von bis zu 40 Millionen Teilnehmern aus. Davon verzeichnet Compuserve rund vier Millionen Teilnehmer. Im deutsch-sprachigen Raum hat Compuserve derzeit ungefaehr 200000 Mitglieder - mit 20000 Neuzugaengen monatlich. Europaweit schaetzt Ganz die Zahl der neuen Teilnehmer an Compuserve auf monatlich gut 50000, weltweit auf rund 200000.

Diese Zahlen schaffen Bewusstsein auf der kommerziellen Schiene. So ergab eine (im statistischen Sinn nicht repraesentative) Kurzumfrage ein eindeutiges Bild.

Branchenuebergreifend ueberwiegen bei den frei ausgewaehlten Ausstellern der Hannover-Messe Industrie zwar noch die Planung, Vorbereitung und das Gedankenspiel in Sachen Info-Highway, mit einem Schritt ins Netz rechnet man allerdings jeweils in wenigen Monaten.

<H4>Basis fuer Kundenservice, Imagepflege und Feedback</H4>

Internet allein ist ein sehr allgemeiner Begriff. Fuer kommerzielle Anwender gibt es vor allem drei wichtige Bereiche.

E-Mail ist im Gegensatz zur S-Mail (Snake-Mail der Post) extrem schnell und billig. Hunderte von direkten Mitteilungen an einzelne oder mehrere Personen im Netz sind innerhalb von Minuten mit Bestaetigung verschickt und kosten nur Pfennigbetraege.

Die Newsgroups eignen sich nicht nur als Bildarchive, sondern auch als hervorragendes Auskunftssystem. Hier kann man beispielsweise aktuelle Ereignisse "besprechen" oder irgendein noch nicht behandeltes Thema zur Diskussion stellen. Newsgroups bieten die Moeglichkeit, Probeversionen speziell im Softwarebereich zu versenden oder fuer ein Unternehmen zu werben - was allerdings nicht gern gesehen wird. Sie schaffen als frei zugaengliches Forum darueber hinaus eine gute Basis fuer Kundenservice, Imagepflege und dienen als Feedback-System, was die Marktsituation angeht.

Der dritte und am schnellsten wachsende Bereich ist das World Wide Web, kurz WWW. Hier sind so gut wie alle Informationen verfuegbar. Ob es um das Wetter auf Helgoland geht oder um die vom CIA in Eritrea registrierten Strassenkilometer, ein solcherart aktuelles Lexikon ist konkurrenzlos. Vor allem die Hyperlinks schaffen Querverweise ueber die ganze Welt, die per Knopfdruck zur Verfuegung stehen, und das fuer Telefongebuehren zum Ortstarif. Das World Wide Web WWW verdient also seine Meriten in der schnellen Verbreitung von Information mit dem Vorteil, dass sich Druck- und Portokosten sparen, Textaenderungen jeweils schnell einarbeiten und grosse Zielgruppen erreichen lassen. Viele nutzen das WWW bereits als Anreiz und Medium zum Bestellvorgang.

Ein Nachteil fuer WWW-User sei allerdings nicht verschwiegen: Selbst ein Ein-Mann-Unternehmen aus Hintertupfing kann sich als "Unternehmen von Welt" praesentieren - niemand ist in der Lage, sofort zu erkennen, was hinter einem Angebot tatsaechlich steckt.

Der Information Highway bietet also eine Menge Perspektiven fuer die kommerzielle Nutzung. Zum Thema Werbung sind einige Zahlen von Compuserve interessant, die in den USA erhoben wurden. Danach nutzen 14 Prozent der Befragten den Daten-Highway mindestens einmal taeglich, 23 Prozent drei- bis sechsmal die Woche und 25 Prozent ein- bis zweimal woechentlich. Weitere 23 Prozent schalten sich ein- bis dreimal pro Monat ein.

Zur Nutzungsstruktur werden E-Mail-Anwendungen mit 31 Prozent als haeufigste Anwendung genannt, Nachrichten, Wetter und Sport folgen mit 29 Prozent, die Online-Recherche mit 22 Prozent, und 21 Prozent nehmen am haeufigsten an Foren teil.

Zurueck zum mittlerweile auch im Internet beheimateten ernsthaften Kommerz. Ein Beispiel: Aus Statistiken des deutschen Patentamts wird gemeldet, dass zwei Drittel aller Antraege nicht eingereicht werden muessten, wenn sich die Antragsteller vorher ueber den Daten- Highway schlau machen wuerden.

Zwischen deutschen und amerikanischen Unternehmen baut sich das bekannte transkontinentale Gefaelle auf. In der Nutzung des Netzes und seiner Moeglichkeiten sind US-amerikanisch beeinflusste Unternehmen im allgemeinen schon sehr viel weiter als die Europaeer.

Dienstleistungen, Produkte und Produktinformationen, die heute von Interesse sind, koennen fast nur noch ueber das WWW abge- rufen werden, berichtet Klaus Blaschke, Geschaeftsfuehrer der Informix Deutschland GmbH aus Ismaning. So ist der Zugriff auf US- amerikanische Unternehmen denkbar einfach. Im allgemeinen reicht http://www.Firmenname.com, um das gesuchte Unternehmen mit ziemlicher Treffsicherheit zu erreichen.

Vorreiter sind hier natuerlich jene Firmen, die mit Informationstechnologie zu tun haben, aber auch uebergreifend sind die privaten und kommerziellen Nutzer jenseits des Teichs enger vernetzt als hierzulande, was mit Sicherheit auch mit der PC- Dichte zusammenhaengt. In Deutschland sind nach aktuellen Zahlen sieben von 100 Haushalten mit PCs bestueckt, in den USA bereits 35. Doch auch hier ueberwiegt der semiprofessionelle Einsatz.

Erheblicher Nachholbedarf besteht bezueglich der kommerziellen Moeglichkeiten auf Anbieter- und Verbraucherseite. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten findet sich in den Medien hierzulande noch relativ selten ein Hinweis auf die Moeglichkeit, Background-Infos ueber WWW abzurufen. Hier sind die Marketing-Abteilungen gefordert, ihre Print-Anzeigen entsprechend zu ueberarbeiten.

Dennoch, der Durchbruch wird gelingen. Informix-Geschaeftsfuehrer Blaschke rechnet mit einem Boom in Deutschland. Anzeigen in Trendzeitschriften weisen immer haeufiger auf den Internet-Zugriff hin.

Ein kleines Beispiel fuer eine aktive Nutzung des Daten-Highways ist die Schwacke-Liste. Ueber Internet ist es seit kurzem moeglich, sich unter http://www.eurotax.ch/ nicht nur Informationen ueber den Herausgeber der Liste, der Eurotax International AG, zu holen. Man kann sich hier auch ueber Markttrends informieren und Standardbewertungen abrufen. Zudem gibt es eine Infoboerse, ueber die die Kunden mit spezifischeren Anfragen an eine bestimmte Firma herantreten koennen, was dann eventuell auch Geld kostet. Bei Eurotax stand vor Einrichtung des Dienstes die Frage an, wie sich die Informationen, die das Unternehmen bietet, am besten zu verkaufen seien. Das traditionelle Mittel hierzu war bislang der Katalog.

Eurotax haelt seine Daten, die tagtaeglich aktualisiert werden, schon seit langem in einer Datenbank. Durch den Druckvorgang und das Ausliefern ergeben sich jedoch Verzoegerungen bis zu vier Wochen, bis die Haendler und Sachverstaendigen den Katalog in Haenden halten. Ueber das WWW ist jetzt Tagesaktualitaet gegeben, erklaert Toni Schnuerer, Geschaeftsfuehrer der Orbit GmbH, Bonn, die diese Internet-Anwendung entwickelt hat. Naehere Infos hierzu gibt es auch unter http://www.orbit.de. Rolf Roth, Leiter DV der Eurotax aus Freienbach in der Schweiz, berichtet hierzu: "Wir haben im Maerz 1995 einen Unix-Server eingerichtet und jetzt im Schnitt bereits zwischen 100 und 150 Anfragen pro Tag."

Das System wird ueber eine gemeinsame Aktion mit der "Saarbruecker Zeitung" publik gemacht, die in ihrem Anzeigenmarkt einen Hinweis auf diese Moeglichkeit fuehrt. "Es gab einen enormen Schub bei den Nachfragen, vor allem von privater Seite", so Roth. Im Gegensatz zum gedruckten Katalog, der fuer Privatleute am Kiosk nicht erhaeltlich ist, steht der Internet-Zugang allen Interessierten offen. Bislang allerdings sind nur rund zehn Prozent der Nachfragen von kommerzieller Seite aus gestartet. Dies, so vermutet Roth, liege wohl auch daran, dass viele Haendler zwar einen PC besitzen, den Schritt auf die Datenautobahn aber noch nicht gewagt haben.

"Wir haetten die Anwendung gebraucht, als die Mauer fiel", erinnert sich Roth wehmuetig an Zeiten ohne Internet. Damals geriet der ganze Markt voll ins Rutschen, und die Aktualisierung gestaltete sich aeusserst schwierig. Schnelligkeit der Informationsverbreitung ist hier, neben der kostenguenstigen Auslegung, einer der ganz grossen Vorteile.

Unter dem Servicegedanken und um Kunden schneller zu bedienen, nutzt auch Informix die Moeglichkeiten der modernen Datenkommunikation. Im "Follow-the-Sun-Support" werden Anfragen - die auch ueber Compuserve und Internet gestellt werden koennen - je nach Schwierigkeitsgrad und Prioritaet erst im lokalen Knoten bearbeitet, dann an Central Europe und von dort eventuell an den Hauptknoten in den Menlo Park fuer Advanced Support oder Lenexa fuer First-level-Support weitergereicht. Rund 20 Prozent der Anfragen, so wurde Ende 1995 ermittelt, sind an den Advanced Support und nur drei Prozent in die USA geleitet worden, erzaehlt Radovan Binar, Manager Technical Support von Informix. Eine Umfrage des Hauses ergab, dass die Kunden die Schnelligkeit des Services sehr positiv einschaetzen.

"Wenn wir ueber Compuserve gehen, haben unsere Kunden den Vorteil, dass sie laengere Reproduktionsscripts oder Ausdrucke aus Utilities einfach an den Text anhaengen koennen", so Binar. Fax oder ein zusaetzliches Abtippen entfalle dann ganz. Zwar nutzt der Informix- Support bereits ein aehnliches Verfahren unter E-Mail, aber eine zusaetzliche Vereinfachung, so wie sie jetzt realisiert wird, ist immer gefragt.

Die Moeglichkeiten, die die weltweiten Datennetze bieten, sind eigentlich nur durch die Phantasie beschraenkt. Zwar erstrecken sich die Hauptanwendungen heute noch auf Datenbankrecherchen, Reservierungen, spezielle Auskuenfte wie Wirtschaftsdaten, Kreditabfragen oder Surf-Themen, doch stehen die wirklich interaktiven Anwendungen bis hin zur Bezahlung via Karte bereits vor der Tuer.

Der Run auf das Internet laesst die Provider und Providerchen wie Pilze aus dem Boden schiessen. Hier gibt es aber nicht nur grosse Unterschiede im Preis, sondern auch in der Leistung. Welche Services jeweils angeboten werden, laesst sich ja noch auf dem Papier vergleichen. Wie jedoch beispielsweise die Zugriffsgeschwindigkeit in der taeglichen Nutzung aussieht, das haengt entscheidend von den sogenannten Backbones, den Standleitungen zum Rest der Welt, ab. Denn was nutzt einem schon ein noch so preisguenstiger Provider, wenn dessen Anbindung ans Netz aus gerade mal einem ISDN-Anschluss besteht. Und was nutzt die supergute neue Vertriebsstrategie, wenn sich vor dem Zugang zum Verkaufsparadies die Massen stauen und schliesslich doch wieder per pedes einkaufen muessen.

Kurz & buendig

Das Thema Internet hat die Medien erobert; gleichzeitig beweisen Innovatoren aller Branchen Marketing- und in vielen Faellen konkrete vertriebliche Aktivitaeten im Netz der Netze. Dem US- Vorbild folgend binden sie auch hierzulande dessen elektronische Moeglichkeiten zunehmend in Anzeigen- und sonstige Kampagnen ein. Haeufig werden Katalogfunktionen zusaetzlich via Internet abgedeckt.

*Horst-Joachim Hoffmann ist freier Fachjournalist in Muenchen.