Zukunfts-DV: Transparent und herstellerunabhängig

02.11.1990

Wolfgang Rucker ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender im Bundesverband Vertriebsunternehmen Büro-, Informations- und Kommunikationstechnik e. V. (BVB) und Geschäftsführer der Hewlett-Packard GmbH

Die EDV wird sich im Verlauf ihrer gegenwärtigen Transformationsphase

zu einer "Hintergrundtechnologie" entwickeln, die im Gedankenprozeß derer, die sie nutzen wollen, weder eine zentrale noch eine vordergründige Rolle spielt. In ihrer Unauffälligkeit wird sie der Technik beim Telefon, beim Rundfunk und Fernsehen oder auch bei der Verkehrstechnik ähnlicher.

Gleichgültig, ob vom "Client-Server-Computing" die Rede ist, von vernetzter Datenverarbeitung oder von "kooperativer DV" - gemeint ist immer dasselbe, nämlich eine EDV, die dem Nutzer verfügbar wird, indem er "lnformationsendgeräte" (PCs, Terminals, Workstations oder Multi-Media-Produkte) an eine "lnformationssteckdose" anschließt, die ihm Zugang zu einer informationstechnologischen Infrastruktur verschafft. Damit das funktionieren kann, werden Standards unvermeidlich sein.

Wenn unsere Industrie nicht eigene Einsicht walten lassen sollte, um solche Standards zu vereinbaren, so wird sie vom Markt und der Öffentlichkeit mit schnell wachsendem Druck dazu gezwungen werden. Als zwangsläufige Folge dieser Entwicklung wird unsere Industrie im Umfeld einer solchen standardisierten Informationstechnik-Infrastruktur selbst einem gewaltigen Umstrukturierungsprozeß unterworfen sein.

Wir werden neue Technologien und Produkte sehen, neue Verfahrenstechniken, um diese Struktur zu managen. Wir werden ein weitgefächertes Dienstleistungsangebot mit Spezialprogrammen erleben. Dies führt wiederum zwangsläufig zu vielschichtigen Partnerschaften, Allianzen und Akquisitionen, wie sie sich schon heute bilden.

Drei große Geschäftsfelder werden sich in unserer Branche herauskristallisieren: Da sind zum einen die Lieferanten von Systemkomponenten und Endgeräten, deren Produkte sich möglicherweise zur Massenware entwickeln. Des weiteren werden wir ein vielschichtiges Dienstleistungsangebot für die verschiedensten Märkte und Kundeninteressen vorfinden. Es ist das Geschäftsfeld der Kundendienste, Informationsdienste, der Sicherheitssysteme etc., die sich eine solche bestehende Infrastruktur an Informationstechnik zunutze machen werden.

Schließlich wird es dann den Kreis der Unternehmer und Unternehmungen geben, die die Informationstechnik-Infrastruktur konzipieren, bereitstellen, betreiben sowie die Möglichkeiten und Dienste solcher Strukturen den Märkten und Kunden verfügbar machen.

Es ist absolut klar, daß die nächsten Generationen von DV-Produkten und Lösungen vor allem eine Forderung zu erfüllen haben: Sie müssen es dem Anwender ermöglichen, sich voll auf die jeweilige Problemlösung zu konzentrieren und nicht auf die DV selbst.

In diesem Szenario gehören Kunden und Märkte, die man zu besitzen glaubt, weil sie sich einmal für eine herstellerspezifische Lösung entschieden haben, endgültig der Vergangenheit an. Derjenige, der eine bessere Lösung anzubieten hat bei der Workstation, bei der Datenbank, bei den Dienstleistungen nach dem Kauf, der kann uns Kunden und Märkte wegnehmen. Aber ebenso lassen sich neue Kunden und Märkte gewinnen - die Wettbewerbschancen sind gleichmäßig verteilt.

Ein wichtiges Element in einer Informationstechnik-Infrastruktur ist die zugrundliegende Architektur. Sie legt den Rahmen fest, in dem Anbieter und Betreiber sich bewegen können, ist im Grundsatz also eine Limitierung von denkbaren Freiheitsgraden bei der Entwicklung von Produkten, Systemen und Prozessen, um Kompatibilität zwischen Alt und Neu, zwischen den Produkten und Lösungen verschiedener Hersteller zu erreichen und zu erhalten. Die Kunst wird es sein, dabei trotz dieser Grenzen, die die Systemarchitektur vorgibt, die verbleibenden Freiheitsgrade zur Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb zu nutzen.

Der Rahmen für eine solche Systemarchitektur muß und wird herstellerunabhängig sein. Als weitere wichtige Eigenschaft wird - wie schon angesprochen - die innere Komplexität einer solchen vernetzten Architekturbasis gegenüber dem Benutzer weitgehend verborgen bleiben. Der wird, wenn er sein Bildschirmgerät, seinen PC oder seine Workstation an die "lnformationssteckdose" angeschlossen hat, Zugriff bekommen auf alle Programme und Ressourcen, die das System bereithält und für die er Zugriffsberechtigung hat.

Dabei wird er zumeist nicht mehr wissen - und nicht mehr wissen müssen -, wo im Netzwerk seine Applikation abgearbeitet wird, mit welchen Programmen von welchen Herstellern. Seine Aufgabenstellung wird es möglicherweise erforderlich machen, zwei oder drei Programme, die sich auf verschiedenen Computern im Netz befinden, miteinander kooperieren zu lassen, um die für die Aufgabenstellung des Benutzers richtige Lösung zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird häufig von der "kooperativen DV" gesprochen. Für das Abspeichern von Daten, für den Zugriff auf Informationen, für das Auslösen von Druckvorgängen oder das Anfertigen von Zeichnungen, für das Agieren über verschiedene Medienebenen ist es nicht relevant, zu wissen, wie und wo das physikalisch passiert.

Deshalb wird in künftigen Netzen die Befehls- und Informationsstruktur, also im Prinzip die Benutzeroberfläche, einheitlich sein, unabhängig von der angestrebten Problemlösung und unabhängig von dem Hersteller, der die Programme geschrieben hat.

Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Softwareproduzenten limitiert wären in der Differenzierung der Leistungsmerkmale ihrer Produkte. Vielmehr wird die "transparente" Netzwerk-Architektur der DV-Systeme der nächsten Generation in der Lage sein, die vielschichtigen Programme und Dienstleistungen einer "Object Management Facilities" genannten Technologie zu übertragen. Dadurch wird dem Benutzer das "Wie mache ich?" immer leichter gemacht, denn die Kommunikation mit den IT-Systemen wird weitgehend auf grafischen Symbolen basieren.

Dies alles ist keine weit entfernt liegende Vision. Vernetzte Systeme der beschriebenen Art werden wahrscheinlich schon in den nächsten fünf Jahren vorzufinden sein, sicher aber noch in diesem, Jahrzehnt realisiert. Unrichtig wäre es anzunehmen, diese Technologie sei nur etwas für große Konzerne und Organisationen.

Mit Sicherheit wird es zunehmend auch öffentlich zugängliche Netze mit diesen Eigenschaften geben oder solche, die für bestimmte Berufe, Branchen, geographische Wirtschafts- oder Forschungszentren oder andere Benutzergruppen installiert und gemeinsam verwaltet werden. Addiert man die Dimension der sich gerade entwickelnden Telekommunikation hinzu, so sind die sich ab zeichnenden Möglichkeiten

kaum mehr zu überblicken.