Kolumne

Zu schnell, zu smart, zu ungeduldig

02.04.2007

Charismatische Manager hinterlassen normalerweise eine Lücke, wenn sie das Unternehmen verlassen. Shai Agassis Ausscheiden bei SAP hingegen dürfte weitgehend ohne negative Folgen bleiben. Schließlich ging er freiwillig und aus Ungeduld. Weder wurde er aus dem Unternehmen gedrängt, was altbewährten Top-Spitzenleuten schon mal widerfährt, die den geeigneten Zeitpunkt für den Rückzug verpasst haben. Noch wurde er von einem Konkurrenten abgeworben.

Der Produktstratege hat dem Konzern mit der Erfindung der "Netweaver"-Plattform seinen Stempel aufgedrückt, die technische Infrastruktur zur Marke gemacht und damit den Walldorfern eine Middleware beschert. Vieles blieb aber bisher Theorie. Zwar legte Agassi den Zuhörern auf zahlreichen Konferenzen des Softwarekonzerns gekonnt seine Visionen von Service-orientierten Lösungen dar und drängte die Klientel zum Umstieg. Ein Großteil der Anwender steht aber noch vor ganz anderen Aufgaben: ihre bestehenden R/3-Systeme auf Mysap ERP 2005 zu migrieren und gleichzeitig die Betriebskosten zu reduzieren. Sie versperren sich der modernen Technik nicht, denken aber in anderen Zeiträumen.

Eingeleitet hatte SAP die kundenfreundlichere Produktstrategie bereits im letzten Jahr: Statt wie ursprünglich geplant in kurzen Abständen neue ERP- und Netweaver-Releases auf den Markt zu werfen, versprachen die Walldorfer den Unternehmen eine Atempause. Bis etwa 2012 soll es keine neue Version des Kernprodukts mehr geben. Die Idee leuchtet ein: Würde "Mysap ERP 2005" nicht bei den Kunden verfangen, bliebe Netweaver ein Konzept, denn außerhalb der SAP-Klientel ist die Plattform verglichen mit anwendungsunabhängigen Infrastrukturen praktisch bedeutungslos.

Doch auch künftig wird SAP seinen Umsatz weniger mit Netweaver als mit betriebswirtschaftlichen Funktionen erzielen, also mit aus der Sicht Agassis vergleichsweise unspektakulären Dingen wie Finanzbuchhaltungen und Personalwesen. Vielleicht hat es Agassi denn auch als Demon-tage verstanden, dass nicht er, sondern die Vorstände Peter Zencke und Gerhard Oswald die Verantwortung für das neue Mittelstandsprodukt "A1S" obliegt. Zumindest kann Agassi als Erfolg für sich verbuchen, dass die neue Software komplett auf der Grundlage seiner Netweaver-Umgebung entsteht.