Zu neuen Ufern

15.12.1978

"Kraftakt im unteren 370-Bereich: E-Serie?", kolportierte die COMPUTERWOCHE vor genau 52 Wochen - eine zum damaligen Zeitpunkt durchaus erlaubte Spekulation. Denn vieles deutete darauf hin, daß die Ankündigung von Ablösemaschinen für die IBM-Modelle 370/115, 370/125 und 370/135 unmittelbar bevorstehe. Die Meldung erwies sich - zumindest in bezug auf das IBM-Timing - als Fehlspekulation.

Daß sich die International Business Corp. mit der "E-Serie" so viel Zeit läßt, liegt, so versichern Pressesprecher des Marktführers, an ihrer Fürsorglichkeit gegenüber den Anwendern - nach dem Motto: Sollen die doch erst ihre (Software- und Ausbildungs-) Probleme mit den installierten DOS-Maschinen lösen.

Daß sich IBM mit der "E-Serie" so viel Zeit läßt, liegt, so vermuten Branchen-lnsider, am Bedürfnis des Marktführers nach "Frieden" mit den US-Antitrust-Behörden. Gemeint ist die Tatsache, daß es die Hüter der Wettbewerbsordnung gar nicht gern sehen, wenn Maschinen bereits angekündigt werden, lange bevor sie lieferbar sind.

Nun ist es müßig, im Nachhinein darüber zu streiten, welche Interpretation zutrifft, denn: Im Januar 1979 wissen wir hoffentlich mehr über die "E-Serie" (vgl. Seite 1). Unzweifelhaft kann es sich IBM nicht erlauben, die Premiere der 115-,125- und 135-Nachfolger noch länger zu verschieben: Gerade in der unteren Leistungsklasse hat sich Konkurrenz am Markt breitgemacht. Dies verdeutlichen die Parkzahlen der anderen Mainframer: Es sind die Gegenstücke der kleinen 370er, die den größten Installationszuwachs brachten.

IBM muß also schleunigst reagieren. Und: Die "E-Serie" muß wesentlich niedrigere Lieferzeiten haben, als man sie von den IBM-Ankündigungen dieses Jahres her gewohnt ist (Informationssystem 8100, System /38)

Apropos /38: Im Rückblick auf das Jahr 1978 bleibt die Vorstellung dieser "Datenbank mit Computer" am stärksten haften.

Nicht, daß das vom IBM-Unternehmensbereich "Basis-Datenverarbeitung" entwickelte System hardwareseitig umwerfend Neues bieten wurde. Es gehört zwar nicht zu dem Typ von Maschinen, der schon in der Ankündigungs-Broschüre veraltet, aber Leistungsmerkmale wie 64-Bit (-Chip-) "Packungen'' und virtuelles Speicherkonzept gelten heutzutage bereits als Rechnerstandard. Kunststück: Die Halbleitertechnik hat enorme Fortschritte gemacht. Und was die /38-Datenbank-Architektur anlangt, ein Konglomerat aus Hierarchie-, Netzwerk- und Relationen-Modell, so ist bislang nicht viel mehr bekannt, als in den Hochglanz-Broschüren steht - was dem /3-Nachfolger auch promt den Ruf eines "Papiertigers" eingebracht hat.

Sei's drum. IBM ist mit der /38-Einführungs-Kampagne wieder mal ein Kabinettstück der Marketingkunst geglückt. Die Erklärung ist ebenso logisch wie simpel: Die IBM-Markt-Analysten haben die aktuellen Veränderungen im Anwenderverhalten erkannt, wissen die unter den Benutzern (Top-Management, Fachabteilungen) herrschende Aufbruchstimmung (mehr Mitverantwortung, mehr Mitbestimmung) richtig zu deuten.

Der Zusammenhang ist einfach herzustellen: Die herkömmlichen DV-Systeme - IBM-Produkte nicht ausgenommen - sind komplex und schwer kontrollierbar. Hauptschwäche: Die mangelnde Transparenz der EDV-Organisation. Weiterer Grund für ineffizienten Computereinsatz: Redundante und inaktive Daten bei sequentieller Verarbeitung.

Doch im Gegensatz zu früher sind die eigentlichen DV-Nutzer nicht mehr bereit, sich dem Know-how-Diktat der RZ-Spezialisten zu unterwerfen. Sie fordern benutzerfreundliche DV-Systeme; Systeme, die sich einfach einsetzen lassen. Deshalb kommt der Verbesserung der Datenzugriffsmöglichkeiten eine zentrale Bedeutung zu. Informations-Angebot und -Nachfrage in Einklang zu bringen, das hieß immer, von vorhandenen Anwendungen auszugehen. Doch wohl nur der umgekehrte Weg führt zum Ziel: Von der logischen Beschreibung der Daten in einer Datenbank-Struktur zur einzelnen Anwendung.

Beim IBM-System /38 ist dieser Weg vorgezeichnet ("relational data structure") - das macht das Konzept so zukunftsträchtig.