DV und Recht/Streitwert von zehneinhalb auf eine Million Mark heruntergeschraubt

Zivilklage gegen Raubkopierer: Wird Microsoft etwa weich?

25.11.1998
CW-Bericht, Karin Quack DRESDEN - Einen Präzedenzfall großen Ausmaßes wollte die Microsoft Corp. schaffen, als sie von drei Raubkopierern aus Sachsen Schadensersatz in Höhe von 10,53 Millionen Mark forderte. Doch der Fall gerät mehr und mehr zur Justizposse. Mittlerweile hat das Software-Unternehmen seinen ursprünglichen Anspruch um mehr als 90 Prozent vermindert.

Nach dem Strafrecht ist die Sache klar: Wer ohne Lizenz des Herstellers ein Softwareprodukt kopiert, macht sich schuldig. Ganz anders beim Zivilrecht: Hier muß der Hersteller nachweisen, daß ihm durch die illegale Copy-Aktion ein exakt zu benennender Schaden entstanden ist. Microsoft - in Person von President Steve Ballmer - klagt derzeit zivilrechtlich gegen drei junge Männer, die in einem Strafrechtsprozeß vor dem Landgericht Chemnitz bereits vor einigen Jahren der Softwarepiraterie überführt wurden.

Der Hauptangeklagte Florian H. ist kein Engel, auch wenn der gelernte Frisör aus München und spätere PC-Unternehmer in Weißberg bei Bautzen seinen unschuldigen Augenaufschlag über die zweieinhalbjährige Haftstrafe hinweggerettet hat. Ins Gefängnis war H. gewandert, weil ihm illegale Softwarekopien - vor allem der Microsoft-Betriebssysteme DOS 5.0, DOS 6.2 und Windows 3.1 - zur Last gelegt werden konnten.

Die Auftraggeber blieben unbekannt

Der damals 28jährige betrieb bis zum Oktober 1994 das Geschäft mit PCs und Dienstleistungen, hatte sich dabei aber nichts als Schulden in Höhe von mehreren hunderttausend Mark eingehandelt. Um diese Last abzutragen, willigte er ein, als ihm vorgeschlagen wurde, eine schnelle Mark mit dem Kopieren von Softwareprogrammen zu verdienen.

Wer sein Auftraggeber war, hat H. in der Verhandlung verschwiegen. Auch im persönlichen Gespräch ist er nicht bereit, die angeblichen Drahtzieher im Hintergrund zu nennen - mit der Begründung, daß er um seine körperliche Unversehrtheit fürchte. Offenbar betrieb er das Geschäft mit den Softwarekopien aber durchaus professionell. In der Werkstatt, die er und seine beiden ebenfalls in das Strafrechtsverfahren verwickelten Mitarbeiter nutzten, stellten die Ermittler im Herbst 1994 kistenweise Disketten, Handbücher und Echtheitszertifikate, etliche PCs und Kopierstationen sowie eine Maschine zum Einschweißen der Programme sicher.

H. versuchte gar nicht erst, den Tatbestand der Softwarepiraterie zu leugnen, entlastete allerdings seine Mitarbeiter, die er, so seine Aussage, über die illegalen Hintergründe ihrer Arbeit im unklaren ließ. Der Prozeß endete mit einer Verurteilung zu vier Jahren Freiheitsentzug für den Hauptangeklagten und Haftstrafen zur Bewährung für die mutmaßlichen Mittäter.

Nach 30 Monaten wurde H. aus der Justizvollzugsanstalt entlassen. Doch damit war die Sache für ihn keineswegs erledigt. Am 24. Oktober 1997 meldete sich Microsoft Corp., Redmond, Washington, und forderte per Mahnbescheid von ihm und seinen früheren Mitarbeitern Schadensersatz in Höhe von mehr als 10,53 Millionen Mark zuzüglich Zinsen. Im Strafrechtsprozeß war das Software-Unternehmen weder als Zeuge noch als Nebenkläger aufgetreten.

Offenbar sind die Beschuldigten doch nicht ganz so naiv, wie sie glauben machen wollen. Immerhin nahmen sie den Mahnbescheid nicht hin, sondern wandten sich an den Dresdener Rechtsanwalt Youssef Moussa, der zunächst einmal Widerspruch einlegte. Diese Gegenwehr kam für Microsoft überraschend. "Angesichts der klaren Rechtslage haben wir eigentlich nicht erwartet, daß sich die Gegenseite den Schadensersatzansprüchen widersetzt", bestätigt Sabine Lobmeier, Pressesprecherin der Microsoft GmbH, Unterschleißheim.

Wie Rechtsanwalt Moussa erläutert, machte der Widerspruch aus dem Mahn- automatisch ein Zivilrechtsverfahren. Sollte Microsoft, vertreten durch die Frankfurter Kanzlei Clifford Chance, im Sinn gehabt haben, Gerichtskosten zu sparen, so war diese Absicht damit vereitelt.

Erst am 13. August 1998 setzte der Softwareriese zum nächsten Schlag an: Beim zwischenzeitlich zuständigen Landgericht Bautzen reichte er eine "Teilklage" ein, die als Streitwert nicht mehr 10,53 Millionen, sondern nur noch eine Million Mark nennt. Die Rechtsabteilung des Software-Unternehmens begründet diese unerwartete Milde damit, daß die Beklagten "den durch ihre Handlungen entstandenen Schaden auch nicht annähernd werden ersetzen können".

Aber es war wohl weniger Menschenfreundlichkeit, die Microsoft zu diesem Schritt bewog, als vielmehr die Beziehung zwischen Streitwert und Gerichtskosten. Moussa hatte darauf bestanden, daß das Unternehmen vor Verhandlungsbeginn die geschätzten Verfahrenskosten als Sicherheit hinterlege. Gemäß Paragraph 110 der Zivilprozeßordnung sei das üblich, wenn die Gegenpartei ihren Sitz nicht in Deutschland habe.

Wie die Microsoft-Sprecherin Lobmeier ausführt, ist Microsoft aber keineswegs interessiert daran, die bei einem Streitwert von mehr als zehn Millionen Mark zu erwartenden Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von etwa 285000 Mark zu hinterlegen, "wenn wir von vornherein die Einschätzung haben, daß die Einforderung des kompletten entstandenen Schadens gar nicht erfolgreich sein kann". Bei einem Streitwert von einer Million Mark sinken die Gebühren um beinahe drei Viertel auf rund 76000 Mark.

Angeklagte beantragen Prozeßkostenhilfe

Moussa ist augenscheinlich entschlossen, das Spiel um die Gerichtskosten auf die Spitze zu treiben. Die veranschlagten Gebühren liegen nicht zuletzt deshalb so hoch, weil er mittlerweile nur noch einen der drei Beschuldigten vertritt und die anderen an befreundete Kanzleien weiterverwiesen hat, wodurch sich die voraussichtlichen Kosten der Verteidigung beinahe verdoppeln.

Ohnehin macht der Anwalt kein Hehl daraus, daß ihm an einer Reduzierung des Streitwerts eigentlich nichts liegt. Für die Angeklagten sei eine Million Mark genauso unerschwinglich wie der zehnfache Betrag. Während Microsoft nach Auskunft der Pressesprecherin davon ausgeht, daß die drei Raubkopierer ein kleines Vermögen angehäuft haben, beteuert Moussa, daß die jungen Männer völlig insolvent seien, ja sogar einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe gestellt hätten. Die im Urteil des Landgerichts Chemnitz aufgeführten Einnahmen von 200000 bis 300000 Mark habe H. verwendet, um wenigstens einen Teil seiner Schulden zu begleichen.

Anstatt den - zumindest vorläufigen - Schuldnachlaß dankbar zu akzeptieren, hat Moussa jetzt den Spieß umgedreht und eine "negative Feststellungsklage" eingereicht. Hinter diesem juristischen Fachbegriff verbirgt sich die Aufforderung an das Gericht, festzustellen, daß der größte Teil des Microsoft-Anspruchs - konkret: 9,5 Millionen Mark - nicht angemessen sei. Damit wäre dem Software-Unternehmen die Möglichkeit genommen, die Differenz zwischen der ursprünglichen und der aktuellen Forderung zu einem späteren Zeitpunkt doch noch zu beanspruchen.

Darüber hinaus interpretiert der Anwalt die Verringerung des Schadensersatzes als eine "Klagerücknahme", für die Microsoft die am Streitwert zu bemessenden Gebühren zahlen müsse. Dieser Auslegung konnte sich das Landesgericht Leipzig, das den Fall mittlerweile bearbeitet, bislang aber nicht anschließen.

Nach Moussas Auffassung hat Microsoft nicht einmal ein Anrecht auf die verbleibende Schadensersatzsumme von einer Million Mark. Das im Strafrechtsprozeß ergangene Urteil enthält, so beteuert der Anwalt, keinen Hinweis darauf, daß die illegal kopierten Programme tatsächlich verkauft worden seien.

Der Softwarekonzern hat aus den - nachweisbaren - Bestellungen und Lieferungen von Handbüchern errechnet, daß das Tätertrio 15000 Kopien von MS-DOS 5.0 und 160000 von MS-DOS 6.2 sowie mehr als 30000 Pakete mit Windows 3.1 weitergegeben haben müsse. Nutzungsgebühren von 74 und 33 beziehungsweise 45 Dollar pro Paket sowie einen Umrechnungskurs von 1,36 Mark zugrunde gelegt, ergebe sich daraus der reklamierte Gesamtschaden von 10,53 Millionen Mark.

Auch wenn die Stückzahlen und Lizenzgebühren korrekt und belegbar sind, was Moussa heftig anzweifelt, ergibt diese Rechnung für den Rechtsanwalt nur dann einen Sinn, wenn Microsoft glaubhaft machen kann, daß die kopierten Programme tatsächlich verkauft wurden. Die Rechtsabteilung des Softwareherstellers sieht das anders: Sie stellt sich auf den Standpunkt, "daß jede Vervielfältigung einer vorherigen Zustimmung von Microsoft bedarf, und im Falle der Verletzung die Schadensersatzpflicht besteht, auch wenn es nachfolgend nicht mehr zu einem Vertrieb kommt".

Ob der Richter sich der Microsoft-Argumentation anzuschließen vermag, bleibt abzuwarten. Eigenen Angaben zufolge hat der Software-Anbieter in der Vergangenheit bereits zivilrechtliche Klagen gegen Raubkopierer angestrengt und durchgesetzt. Allerdings räumt das Unternehmen ein, daß die jetzige Größenordnung zumindest in Deutschland bislang einmalig ist.