DV-Abteilung arbeitet an ihrer eigentlichen Aufgabe vorbei:

Zentraler SW-Bau nicht mehr wirtschaftlich

30.03.1984

Kaum ein anderes technologisches Gebiet konnte in der Vergangenheit einen derart gewaltigen Fortschritt verzeichnen wie das der Computertechnik. Die Anlagen wurden immer zuverlässiger, schneller und vor allem auch wirtschaftlicher. Die Preise von einst reduzierten sich im Verhältnis 1 zu 1000, so daß der Computer in allen Bereichen und Metiers als Instrument für bessere Information und auch zur Rationalisierung Einzug halten konnte. Die notwendige Software hielt jedoch mit dieser rasanten Hardware-Entwicklung nicht Schritt. Heinrich Ketterer. Vertriebsleiter der ADG Automatische Datenverarbeitung GmbH, Bonn, beleuchtet die DV-Entwicklung aus der Sicht des Anwenders und übt sowohl am User als auch an der DV-Abteilung heftige Kritik. Er vertritt die Meinung, daß zukünftig nur ein Weg zu mehr Wirtschaftlichkeit führt - die dezentrale Programmierung.

Für die Anwender im Unternehmen brachte der Einzug der Datenverarbeitung eine gewaltige Erleichterung seiner Arbeit. Seine manuellen Aufstellungen mit verschiedenartigen Summen, Prozentsätzen und individuellen Auszügen aus Unternehmensdaten wurden ihm abgenommen. Allerdings hatte er in den Anfängen diese Daten nicht mehr präsent an seinem Arbeitsplatz, sondern er erhielt alle relevanten Informationen meist erst nach dem Monatsende. Die Vorzüge wurden mit diesem damals recht großen Nachteil erkauft. Der Anwender konnte keine Kartei- oder Kontenkarte mehr herausziehen, um so sofort den aktuellen Stand der betrieblichen Vorgänge abzulesen. Eine aktuelle Überprüfung von Außenständen, Kostenstellenentwicklung und Budget-Inanspruchnahme waren erst etwa zum zehnten des Folgemonats verfügbar.

Außerdem mußte er seine Anforderungen immer exakt für die Programmierung definieren und niederschreiben. Mißverständnisse zwischen den DV-Experten, die meist über weniger Kenntnisse der Fachabteilung verfügten, und den Anwendern, die zu Anfang, noch gar kein EDV-Verständnis hatten, erschwerten die Zusammenarbeit. Diese ganz natürliche Kluft belastete die Arbeit beider Berufsgruppen. Aber auch hier haben standardisierte Anwendungen zu einer gewissen Beruhigung beigetragen. Auch wuchs das gegenseitige Verständnis zwischen Anwender und DV-Profi für die jeweilige Arbeit.

Trotz der Vorteile des Hilfsmittels DV waren und sind derzeit noch Probleme immer wieder festzustellen: So klaffen Anforderung und Realisation zeitlich zu sehr auseinander. Die vorgetragenen Wünsche sind oftmals unvollständig und/oder beinhalten Mißverständnisse. Individuelle Daten können erst nach mehreren Wochen oder Monaten geliefert werden; zeitnahe Daten fehlen. Desweiteren erfolgt die Datenverarbeitung Monat für Monat starr. Listen werden erzeugt, gleichgültig, ob sie gerade benötigt werden oder nicht. Immer mehr Programme müssen gepflegt, neuen Betriebssystemen oder Datenorganisationen angepaßt werden und viele "tote Programme" belasten die Bibliotheken.

Besonders die Wartung und Pflege der Programme erinnert an die Entwicklung des Telefonvermittlungsdienstes vergangener Jahre. Früher mußte jedes Telefongespräch von dem "Fräulein vom Amt" manuell vermittelt werden. Aus heutiger Sicht würden alle Bürger der Bundesrepublik notwendig sein, um die vielen Gespräche bewältigen zu können.

Würde man daher die heute noch vorherrschenden Programmiersprachen bei den immer größer werdenden Anforderungen aus den Fachbereichen weiterhin einsetzen, hätte man bald die gleiche Belastung der Programmierer wie seiner Zeit bei den Telefonvermittlungen.

Verschlimmbesserung von beiden Seiten

Der unzureichenden Situation in der Versorgung der Anwender mit Programmen versucht die DV-Abteilung derzeit durch Einstellung weiterer Programmierer, Einsatz von Programmentwicklungshilfen, Vergabe von Projekten an Softwarehäuser sowie Kauf von fertigen Standard-Programmen zu begegnen. Der Anwender versucht seinerseits, bessere Datentransparenz zu erlangen durch Nutzung des Timesharing-Service, Einsatz des Mikrocomputers und durch eigene Programm-Entwicklung mit Generatoren.

Die aufgezeigten Möglichkeiten schaffen für sich allein oder auch in Kombination gewiß keine ideale Lösung der Probleme. Bei der zentralen Programmierung muß der Anwender seine Wünsche immer noch artikulieren, um von der EDV-Abteilung zeitlich verzögert seine Applikationen zu erhalten. Die Standard-Software versorgt den Anwender mit den meisten Informationen, ist aber bei zusätzlichen Wünschen kaum erweiterungsfähig. Timesharing ist nur dann sinnvoll, wenn auf die zentralen Datenbestände verzichtet wird, was etwa bei statistischen Auswertungen von Marktdaten vorteilhaft sein kann.

Auch der Einsatz von Mikrocomputern allein bringt noch keine Lösung. Dem Anwender müssen auch hier wieder Hilfsmittel zur Hand gegeben werden, um die Datenbestände zu bearbeiten. Der Mikro ist also auch nichts anderes als ein Terminal nur mit dem Zusatz der dezentralen Datenspeicherung auf Disketten oder Mini-Laufwerken.

End-User in starker Position

Der unkomplizierte und schnelle Weg vom Wunsch des Anwenders bis zur Realisierung muß demnach der wirtschaftlichste sein. Dies bedeutet, daß der Anwender seine Wünsche dezentral am Bildschirm definiert. Hierzu benötigt er eine extrem einfache Sprache, mit der er ohne DV-Kenntnisse Design, Programmentwicklung, Test und Dokumentation durchführen kann. Er sollte hierfür weniger Zeit aufwenden müssen, als bei der konventionellen Analyse seiner Anforderungen.

Bei einer zukunftsorientierten Organisation sollte die DV-Abteilung ihre Aufgaben darin sehen, dem Anwender neben dem maschinellen Equipment eine hervorragende Datenorganisation und anwenderfreundliche Programmiersprachen zur Verfügung zu stellen. Die Anwender sind andererseits für ihre Daten selbst verantwortlich: Verwaltung und Pflege von Daten sowie die diversen Auswertungen könnten dann eigenverantwortlich dem Fachbereich obliegen. Die EDV-Abteilung hätte bei einer solchen Funktionsverteilung weitaus mehr Freiraum für ihre eigentlich wichtigeren Arbeiten, wie beispielsweise den Aufbau von Daten-Organisationen, Datenbank-Konzeptionen und Data Dictionaries.

Der Anwender profitiert dabei in mehrfacher Hinsicht. Er kann auf eine sehr gute Datenorganisation zurückgreifen, wobei ihm das Data Dictionary redundanzfreie Datei-(Datenbank-) und Datenverzeichnisse liefert. Die anwenderfreundliche Software ermöglicht ihm eine sofortige, Ausführung von Ad-hoc-Abfragen sowie Design, Entwicklung und Test größerer Applikationen.

Selbstverständlich muß es dem User möglich sein, Dialog- und Stapelprogramme mit ein- und derselben Definition auszuführen. Ferner kann er sich bei einer guten Datenorganisation alle wichtigen Informationen im Dialog anzeigen lassen. Damit entfallen dann auch in den meisten Fällen die umständlichen Listen, die auch eine hohe Maschinenauslastung bedeuten.

Schließlich sorgt eine automatische Dokumentation der Programme für die Übersicht des Softwarebestandes. Auch diesen wichtigen Vorteil bei modernen Sprachen konnten die konventionellen Sprachen nicht vorweisen.

Der Weg zur dezentralen Programmentwicklung bringt in Verbindung mit modernen Anwendersprachen einen mehrfachen Rationalisierungseffekt und damit einen wirtschaftlichen Vorteil. Hinzu kommt die schnellere und exaktere Information für den Anwender.