Zentraler Informations-Manager: Eine Funktion ohne Zukunft

19.06.1992

Dr. Werner Dostal, Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg

Kaum ein anderer Beruf wurde in den letzten Jahren so viel diskutiert wie der des Informations-Managers. Als aufgestiegener Org./DV-Leiter sollte er für die gesamte Informationswirtschaft im Unternehmen zuständig sein, souverän die Informationsströme dirigieren und dafür sorgen, daß Computer und Netze richtig und rentabel eingesetzt werden. Doch jetzt zeigen sich gefährliche Risse in diesem Bild- Immer häufiger melden sich Kritiker zu Wort, die rundweg auf diese Schlüsselfigur verzichten wollen.

Dabei galt der Informations-Manager lange Zeit als die Personifizierung der anspruchsvollen MIS-Konzepte. Ein geschlossenes Informationskonzept benötige - so die weitverbreitete Überzeugung - einen zentralen Manager, der alle Aufgaben in, der Hand habe, sie plane und steuere. Da die frühen MIS-Konzepte auf zentrale Großcomputer zugeschnitten waren, sollte der DV-Leiter computernah und zentralisierend agieren. Doch mit der Entwicklung der PCs und der Dezentralisierung änderte sich das Anforderungsprofil. Aus dem DV-Manager wurde ein Informations-Manager, der wesentlich umfassender die verschiedenen Informationsprozesse steuern sollte. Zwar wußte man, daß es bis zu diesem Informations-Manager ein langer Weg sein würde, aber grundsätzlich schien diese Position adäquat und sinnvoll. Sie war vor allem als Regulativ gegen den unkontrollierten Wildwuchs der PC-Lösungen gedacht, als mächtige Bastion gegen abteilungsspezifischen Egoismus. Die schon früh aufkommende Kritik am Informations-Manager kam aus mehreren Richtungen:

- Ein Informations-Manager, der wirklich die definierten Kompetenzen hätte, wäre viel zu mächtig.

- Ein Manager mittlerer Qualität sei mit den anstehenden Aufgaben völlig überfordert. Nur ein Supermann (oder eine Superfrau) wäre in der Lage, diesen Job zufriedenstellend auszuführen.

- Die fachliche Herkunft eines solchen Informations-Managers sei nicht eindeutig bestimmbar: Ein Org./DV-Leiter würde möglicherweise zu computerbezogen denken, ein Anwender hätte nicht die fachliche Kompetenz.

Diese Kritik ist durch die Praxis bestätigt worden. Erfolgreiche Informations-Manager auf der Topebene sind die Ausnahme geblieben.

Der Übergang von der zentralen DV zur verteilten DV hat ihre Rolle für das Unternehmen völlig verändert. Früher wurden Organisation und Infrastruktur an die zentrale DV adoptiert. Heute muß sich die DV der betrieblichen Organisation flexibel anpassen und diese unterstützen.

Viele Anwender können heute ihre Lösungen selbst entwickeln und benötigen dafür nicht unbedingt einen Informations-Manager. Sie müssen sich zur Vermeidung von Wildwuchs nur an ein Rahmenkonzept halten. Dies kann von einer Stabsstelle im Unternehmen erarbeitet werden, wie es beispielsweise das Normenbüro im technischen Bereich macht. Auch eine externe Entwicklung ist denkbar.

Controlling-Regeln tun ein übriges. Wenn Fachabteilungen den Computereinsatz eigenverantwortlich planen und durchführen, haben sie auch die Kostenverantwortung und werden ihre Wünsche deshalb nach Nutzen-Kosten-Aspekten definieren.

Die massive Zunahme der Berater, Systemhäuser und DV-Dienstleister ist ein Indiz dafür, daß die Organisationsstrukturen flexibler und offener geworden sind. Neben den externen gibt es immer mehr interne Berater, die vor allem die Aufgabe haben, DV-Anwendungen zu koordinieren und Entwicklungen anzuregen beziehungsweise zu begleiten.

Hochqualifizierte Software-Entwicklung erfordert die Bereitstellung leistungsfähiger Computerkapazität. Im Zuge von Outsourcing-Konzepten kann künftig die Inhouse-Leistung immer mehr durch externe Leistungen ergänzt beziehungsweise ersetzt werden. Das bietet die Chance, die Professionalität zu, steigern. Kapazitäten können unmittelbar dem Bedarf angepaßt werden, Leistungen lassen sich exakter bewerten und nachweisen. Aktuelle Anforderungen an neue Lösungen können ohne Rücksicht auf die eigene Entwicklungskapazität über den externen Markt abgedeckt werden.

Die Konsequenz für die Leistungsebene lautet: Informations-Management erfolgt dezentral in den Divisions oder in den Anwenderabteilungen, die Manager der Fachressorts verantworten auch die Entwicklung der Informationskonzepte und wägen ab, ob diese an interne und externe Dienstleister vergeben werden. Sie sind in der Lage, Kosten und Nutzen weit konsequenter zu prüfen, als dies bei zentralisierten Entscheidungsstrukturen möglich wäre. Die Aufgaben der Einkäufer sind in den Unternehmen bekannt und meistens gut abgedeckt, weil solche Aufgaben zum täglichen Geschäft gehören. Computer, Software und Organisation stellen heute normale Waren und Dienstleistungen dar, die von den Einkaufsabteilungen mittlerweile wie Maschinen und Beratungsleistungen abgewickelt werden können.

Damit ist künftig kein Platz mehr für einen Manager, der zentralisiert und machtvoll die Informationsverarbeitungs-Politik des Unternehmens allein bestimmt. Er hätte diese umfassenden Aufgaben ohnehin nicht lösen können. Häufig beschworene Anforderungen wie

- der künftige Informations-Manager wird weder DV-Manager noch RZ-Leiter oder Programmierer sein, sondern eher das Anforderungsprofil eines Vorstandsvorsitzenden haben oder

- der Informations-Manager ist einerseits Polizist, der den Informationsfluß regelt, andererseits aber auch Verkehrsplaner, der die Informationswege bestimmt, der als "Vorkoster" festlegt, welche Informationen wohin weitergegeben werden, und außerdem als Abhörspezialist agiert, der unbekannte Zeichen richtig interpretiert und weitergibt, zeigen deutlich, daß es auch überzogene Vorstellungen gibt, die ein unrealistisches Berufsbild des Informations-Managers geformt haben. Die mangelnde Akzeptanz dieser Funktion beim Top-Management kam auch auf einem Kongreß zum Ausdruck, der unlängst in den USA stattfand. Die vom "CIO Magazine" gesponserte "CIO Perspectives Conference" in San Diego ließ deutlich erkennen, daß auch der amerikanische Chief Information Officer Schwierigkeiten mit seinem Rollenverständnis hat.

Die heutige Ernüchterung ist die beste Grundlage, auf der ein brauchbares, dezentrales und vielfältiges Informationskonzept gedeihen kann. Eine Zentralfigur wie der Informations-Manager würde eher störend wirken.