Intranet-Anwendungen/ Tyson-Mitarbeiter bestellen billiger beim Lieferanten

Zentraler Direkteinkauf hat sich bewährt

26.02.1999
Millionen verschwenden Unternehmen, wenn geringwertige Verbrauchsgüter mit enormem Verwaltungsaufwand über den zentralen Einkauf beschafft werden. Nicht selten übersteigen hierbei die Transaktionskosten den Wert der Güter. 50 Prozent Kostenreduktion verspricht Direct Purchasing (DP) beziehungsweise der Direkteinkauf via Intra- und Internet. Rainer Scheckenbach hat sich bei Tyson Food in den USA die Vorteile des Verfahrens angesehen.

Beim US-Nahrungsmittelkonzern Tyson Food bestellt der einzelne Mitarbeiter selbständig per Web die benötigten Dinge beim Lieferanten (Direct Purchasing) und überwacht die Abwicklung. Hierzu wird im Intranet des Unternehmens ein elektronischer Produktkatalog bereitgestellt, der die Bestellung nach einer Prüfung gezielt an einzelne Lieferanten weiterleitet. Alternativ können auch Lieferanten ihren Kunden einen solchen Service anbieten, über den dessen Mitarbeiter direkt im Internet nach vorgegebenen Regeln ordern können. Der Zentraleinkauf bestimmt vorab Produktpalette, Lieferanten, Preis- und Lieferkonditionen sowie die individuellen Bestellrechte der Mitarbeiter. Gleiches gilt für Zahlungsabwicklung und Controlling.

Bei Tyson Food Inc. fallen jährlich mehr als 100000 Transaktionen allein für Büromaterial und -ausstattung an. Mit Prozeßkosten von 30 bis 50 Dollar je Transaktion verursachte die Beschaffung überproportionale Kosten. Mittlerweile erhalten die Tyson-Mitarbeiter über einen einfachen Internet-Zugang die Möglichkeit, auf paßwortgeschützte Seiten eines Lieferanten zuzugreifen und entsprechend ihrer Legitimation Waren für sich zu bestellen. Die Zahlungsabwicklung erfolgt per Electronic Data Interchange (EDI)direkt zwischen den Anwendungssystemen des Lieferanten und TysonFood. Zur Kontrolle der Bestellvorgänge stellt der Lieferant wöchentliche Auswertungen dem zentralen Einkauf zur Verfügung, der stichprobenartig Einzelaufträge prüft. Die Einkaufsleitung ist mit den Ergebnissen bislang sehr zufrieden und will den Ansatz auch auf andere Bereiche ausweiten. Hoffmann La Roche, als weiteres Beispiel, beziffert allein die infrastrukturellen Einsparungen im Rahmen eines Pilotprojektes durch die Anbindung von acht Lieferanten auf mindestens 600000 Dollar.

Als Realisationsgrundlage für das Direktbestellen dient OpenBuying on the Internet (OBI), ein durch amerikanische Wirtschaftsunternehmen vorangetriebener Industriestandard.

Spezifiziert werden neben den erforderlichen Technologien und Standards wie zum Beispiel Datenformaten und Protokollen auch die erforderlichen Prozeßabläufe. OBI liegt seit Juni 1998 in der Version 1.1 vor. DP-Systeme können im Unternehmen für die Bestellabwicklung mit seinen Lieferanten, beim Lieferanten als Service für dessen Kunden oder als kommerzieller Mehrwertdienst von Verbünden beziehungsweise VANs realisiert werden.

DP dient der dezentralen Bestellabwicklung geringwertiger Verbrauchsgüter durch den Bedarfsträger, der auch die Abwicklung überwacht. Grundlage bildet ein Web-basiertes Katalog- und Bestellsystem als Schnittstelle zum Mitarbeiter sowie EDI zur Integration der Daten in das Warenwirtschaftssystem des Lieferanten und zur Abwicklung des Bezahlvorgangs. Absprachen bezüglich der Preise und Lieferkonditionen erfolgen im Vorfeld zwischen Zentraleinkauf und Lieferanten. Budget und freigegebene Produktgruppen werden in individuellen Benutzerprofilen definiert. Die Authentifizierung erfolgt mittels Paßwort, Chip- oder Purchasing-Card.

Die Vorteile ergeben sich aus bis zu 50 Prozent geringeren Transaktionskosten aufgrund der effektiveren, schnelleren Abwicklung bei deutlich reduziertem Verwaltungsaufwand. DP kann gleichermaßen im innerbetrieblichen Leistungsaustausch bei Konzernen oder Abteilungen als auch unternehmensübergreifend zwischen Lieferant und Kunde eingesetzt werden.

Nicht jedes Gut läßt sich sinnvoll mittels DP beschaffen. Voraussetzungen sind:

- "geringer" Bestellwert,

- hohe Bestellhäufigkeit,

- typische Verbrauchsgüter (C-Teile),

- hoher Standardisierungsgrad (Spezifikationen, Qualität),

- überproportional hohe Transaktionskosten,

- hohe Transportkostenflexibilität sowie

- Lagerfähigkeit.

Im Vorfeld sind verschiedene organisatorische Fragen zu klären. Hierzu zählen, welche Produkte von welchen Lieferanten mittels DP künftig bezogen werden sollen und wie das Genehmigungsverfahren bei Bestellungen zu gestalten ist.

Bei der indirekten Genehmigung erhält der Mitarbeiter das Recht, bis zu einer bestimmten Budget-Höhe aus einer definierten Produktpalette ohne explizite Einzelgenehmigung zu bestellen. Der Auftrag führt unmittelbar zur Auslieferung.

Abrechnungen des Lieferanten werden durch ein internes Logging und/oder stichprobenartige Kontrollen überwacht. Je nach zugrundeliegendem System und Sicherheitsbedarf lassen sich die "Rechte" des Mitarbeiters zusammen mit dem Paßwort auf dem DP-System oder auf einer Chipkarte hinterlegen. Probleme durch Mißbrauch aufgrund des fehlenden Genehmigungsverfahrens sieht Tyson Food nicht. Mögliche Schäden werden durch das Controlling eingeschränkt und durch die Kosteneinsparungen deutlich überkompensiert.

Alternativ kann auch rechnerbasiert ein Genehmigungsverfahren eingesetzt werden. Beim Auslesen einer Mitarbeiterbestellung fragt das System mittels einer Bestellanforderung beim zentralen Einkaufssystem nach. Dieses überprüft die Legitimation und speichert nach Umwandlung in eine Bestellung den Vorgang personen- oder abteilungsspezifisch. Bei Überschreitung der kritischen Werte erhält der verantwortliche Vorgesetzte den Vorgang mittels E-Mail oder Mitzeichnungssystem im Intranet zur Genehmigung.

Ohne Internet-typische Sicherheitsrisiken

Ist das DP-System beim Lieferanten realisiert und wird als Service angeboten, erfolgt die Genehmigung per EDI. Der Auftrag wird als EDI-Bestellanforderung dem Abnehmer übermittelt, die Positionen gegen das Benutzerprofil geprüft und bei positivem Ergebnis als offizielle EDI-Bestellung an den Lieferanten weitergegeben. Vorteil dieses Vorgehens ist unter anderem die klare Rechtssituation bei EDI-Geschäftsprozessen sowie die steuerrechtlich korrekte Verwaltbarkeit elektronischer Belege durch das EDI-System.

Ein derartiger Direkteinkauf kann sowohl innerhalb des Unternehmens, als Vertriebsservice des Lieferanten oder als kommerzielles Service-Angebot für beliebige Lieferanten und Nachfrager realisiert werden, was mitentscheidend für den Funktionsumfang sowie die Auswahl der geeigneten DP-Systemplattform ist.

Im ersten Fall wird im beschaffenden Unternehmen ein DP-System mit einem Katalog aus Produkten verschiedener Lieferanten aufgebaut. Vergleichsweise einfach lassen sich durch diese "Vor-Ort-Realisation" Genehmigungsverfahren und Bestell-Controlling realisieren. Der Zugriff einzelner Bedarfsträger erfolgt im Intranet, ohne daß die typischen Sicherheitsrisiken im Internet zum Tragen kommen. Erfaßte Bestellungen können kumuliert an den Lieferanten weitergeleitet werden. Aufwendiger hingegen gestaltet sich die Aktualisierung der Produkt- und Statusdaten. Sie müssen vom Lieferanten bereitgestellt und eingepflegt werden.

Der Lieferant bietet seinen Kunden einen DP-Service an. Entsprechend den Vorgaben des Kunden richtet er für einzelne Bedarfsträger Benutzerprofile ein und erlaubt mittels Paßwort und/oder Chipkarte den Zugang. Produktaktualität und Auftrags-Tracking realisiert er durch Zugriff auf das interne Anwendungssystem. Aufwendiger gestaltet sich die Umsetzung von auftragsspezifischen Genehmigungsverfahren. Da der Kunde meist mehrere Lieferanten besitzt, ist es sinnvoll, den Mitarbeitern eine Link-Liste bereitzustellen, die auf die Kataloge der unterschiedlichen Lieferanten verzweigt.

Als kommerzielles Service-Angebot tritt ein Intermediär auf den Plan. Als Informationsdrehscheibe bietet er unter einer Oberfläche die Produktdaten verschiedener Lieferanten sowie eine homogene Such- und Order-Funktionalität .

DP-Systeme lassen sich auf unterschiedliche Weise realisieren. Zu nennen sind DP-Spezialsysteme wie sie von i2 oder Manguistics angeboten werden. Ihre Stärken liegen in der Unterstützung von Genehmigungs- und Controlling-Funktionen. Demgegenüber weisen ERP-Systeme mit Purchasing-Modulen wie SAP R/3 oder Oracle Applications Vorteile bei der Integration in bestehende betriebliche Abläufe und beim Datenzugriff auf. Beide Varianten finden vorwiegend bei der DP-Realisation im eigenen Unternehmen Einsatz.

Soll DP als Service für Kunden eingesetzt werden, lassen sich Shopping- und Web-EDI-Systeme nutzen. Beide sind für die zwischenbetriebliche Transaktionsabwicklung ausgelegt. Während Web-EDI Stärken in der Sicherheit und EDI-Integration besitzt, bieten Shopping-Systeme eine bessere Katalogverwaltung.

Angeklickt

Die Rationalisierungspotentiale des Direct Purchasing (DP), zu deutsch des Direkteinkaufs via Intra- und Internet, im Gegensatz zum Einkauf über eine zentrale Beschaffungsstelle, sind bemerkenswert. Voraussetzung sind jedoch eine größere Selbstverantwortung der einzelnen Mitarbeiter sowie die Umorganisation des Beschaffungsprozesses. Unternehmen bietet der Direkteinkauf die Möglichkeit zur Verminderung des leidigen Verwaltungsaufwands für Verbrauchsgüter. Der Lieferant seinerseits kann sich durch einen neuartigen Service von der Konkurrenz abheben. Im Gegensatz zu den USA überwiegt hierzulande vielerorts noch das Mißtrauen gegenüber den Geschäftspartnern, und man wartet erst einmal ab.

Dr. Rainer Scheckenbach ist Geschäftsführer der Integratio GmbH in Würzburg.