Ciba Geigy AG setzt auf Benutzerservice für User von Arbeitsplatzrechnern, aber:

Zentrale DV muß Mikronutzer zur Seite stehen

29.03.1985

HAMBURG - Wenn das individuelle "Computing" in einem Unternehmen effizient sein soll. dann müssen dem Anwender von seiten der zentralen EDV angemessene Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden. Dr. Hans Jürgen Riechle von der Ciba Geigy AG in Basel, schlägt die Einrichtung eines Benutzerservices nach amerikanischem Muster vor und beschreibt den Aufbau einer derartigen Einrichtung in der eigenen Firma*.

Am Anfang der individuellen Datenverarbeitung stehen ein Problem und eine Chance. Einerseits gibt es in der EDV schon seit langem die Schwierigkeit eines großen Systemüberhangs bei der Systementwicklung, die auf eine Realisierung großer und im wesentlichen operativer Systeme abzielt und den zunehmenden Anforderungen der Fachbereiche kaum mehr gewachsen ist.

Dies sind kleinere, primär auf den einzelnen Arbeitsplatz ausgerichtete Anwendungen und Auswertungen bestehender Datensätze aus zentralen Systemen. Dieses Problem läßt sich mit den traditionellen Mitteln nicht mehr lösen.

"Do-it-yourself"-Motto

Auf der anderen Seite wächst das Angebot an neuen Hilfsmitteln, die nicht mehr unbedingt nur auf den klassischen EDV-Spezialisten der Systementwicklung zugeschnitten sind: Dabei handelt es sich einerseits um Arbeitsplatzrechner und andererseits um moderne Softwarewerkzeuge auf dem Zentralrechner - Stichworte: 4th Generation, nichtprozedural.

Damit wird es dem Benutzer in der Fachabteilung möglich, manche seiner Anforderungen im Do-it-yourself-Verfahren selbst zu erfüllen: Aufbau eigener kleinerer Anwendungen sowie Analyse vorhandener Daten nach wechselnden Kriterien - Aufgaben, die mit dem Schlagwort "lndividuelle Datenverarbeitung" zu umschreiben sind.

Für eine sinnvolle und vernünftige Nutzung dieser Chancen sind gewisse Voraussetzungen seitens der zentralen EDV zu erfüllen. Deren Schaffung in unserem Hause fiel in die Jahre 1982/83.

Individuelle DV ab 1982

Ausgehend von der insbesondere in den USA schon damals breiter vertretenen Lösungsidee begannen wir im Mai 1982 mit dem Aufbau eines Benutzerservice. Interviews in verschiedenen Fachabteilungen bestärkten uns in der Überzeugung von der Durchsetzbarkeit der Idee auch in unserer Umgebung. Im September 1982 begannen wir dann mit der Realisierung, fußend auf einer Projektstudie, die die wesentlichen Aspekte - Organisation, Funktionen, Hilfsmittel und Einführungsplan - enthielt. Für die Einführung wählten wir eine Pilotanwendung aus, die Bereitstellung von Datenauszügen aus dem konzernweiten Führungsinformationssystems für eine Abteilung. Nachdem im Januar 1983 ein zentrales Softwarepackage für Reporting und Datenbankmanagement installiert und der Support für Mainframeanwendungen ebenso wie für den Arbeitsplatzcomputer-Einsatz in den Grundzügen aufgebaut worden war, wurde der Benutzerservice im Juni 1983 definitiv etabliert.

Benutzerservice hat klar umrissene Aufgaben

Benutzer und zentrale EDV arbeiten nun im Rahmen folgender Grundsätze:

- Die Verantwortung für die Realisierung der Anwendungen liegt beim Benutzer.

- Die zentrale EDV hat die Verantwortung für die Bereitstellung der notwendigen technischen und organisatorischen Infrastruktur.

Im einzelnen hat dabei der Benutzer unter anderem die Aufgaben der Problemanalyse, der Projektrechtfertigung, der Programmierung und der Dokumentation seiner Anwendungen.

Auf die zentrale EDV kommen an zwei Stellen Aufgaben hinzu:

- Die Systementwicklung hat die Daten (Auszüge oder Kopien aus zentralen Anwendungen) technisch bereitzustellen sowie neue Systeme so zu konzipieren, daß der Benutzer auf seine Daten im Zuge der Informationsselbstversorgung zugreifen kann (Ersatz von umfangreichen Listen durch Datenbanken mit angemessenem Benutzerinterface).

- Der Benutzerservice muß die Benutzer-orientierten Hilfsmittel bereitstellen sowie die Benutzer ausbilden und bei der Realisierung seiner Anwendungen beraten und unterstützen.

Organisatorisch steht der Benutzerservice gleichberechtigt - wenn natürlich auch nicht personell gleich stark - neben der Systementwicklung und dem Rechenzentrum (bei letzterem unter Einschluß von System-Engineering und Datenbanksupport).

Aus einer - vielleicht anfangs sehr vagen - Projektidee ergibt sich zunächst die Frage, wer die Anwendungen realisieren kann oder soll. Hier wird Unterstützung geboten. Erweist sich die Aufgabenstellung als zu komplex beziehungsweise zu weitreichend (im Sinne von operativen Anwendungen, von denen ein größerer Benutzerbereich abhängig wird), oder übersteigt sie die Möglichkeit des Benutzers, so übernimmt - wie auch in der Vergangenheit - die Systementwicklung die weitere Bearbeitung und der Benutzerservice zieht sich zurück.

Bleibt hingegen die Aufgabe in der Verantwortung des Benutzers, so sind im Zuge des Lösungskonzepts angemessene Hilfsmittel - zentrales Software-Package, Arbeitsplatzcomputer mit entsprechender Software - auszuwählen, und zwar wiederum mit Unterstützung durch den Benutzerservice. Unterstützung und eventuelle Bereitstellung der Hilfsmittel werden auch in der daran anschließenden Phase der Realisierung sowie während des Betriebs der Anwendung geboten.

Schulung muß vielschichtig sein

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Zuordnung von Verantwortungen und Aufgaben betrifft (für den Fall der Weiterverwendung vorhandener zentraler Daten) das Daten-

management. Verschiedene Stellen sind hier beteiligt: Zunächst, als Auslöser der Aktivitäten, der Auftraggeber, das heißt der Benutzer, der ein Problem zu lösen hat; dann aber auch noch der Eigentümer ("Owner") der Originaldaten, die Systementwicklung und schließlich der Benutzerservice.

Im einzelnen sind die Verantwortungen wie folgt verteilt:

- Die Spezifikation der Anforderungen obliegt dem Auftraggeber, zusammen mit dem Eigentümer der Originaldaten und - für allfällige technische Fragen - der Systementwicklung.

- Notwendige Anpassungen existierender Anwendungssysteme nimmt die Systementwicklung vor.

- Die Zuständigkeit für den Datenbankaufbau teilen sich der Benutzerservice (für das Benutzerinterface) und die Systementwicklung (für technisches Design, Ladeprogramme und Dokumentation für Benutzer und Rechenzentrum).

- In der Betriebsphase sind der Eigentümer der Originaldaten für die Freigabe zum Kopieren/Extrahieren, die Systementwicklung für die technische Bereitstellung und -natürlich - der ursprünglich auftraggebende Benutzer für die Verwendung verantwortlich.

Ein zugleich wichtiges und viel Aufwand erforderndes Gebiet ist die Ausbildung der Benutzer. Hier hat sich im Laufe der letzten Jahre ein großer Bedarf entwickelt. Die wichtigsten Themenkreise sind:

- Die Vermittlung von EDV-Grundwissen für einen sehr breiten Kreis von Interessenten - mehrheitlich von Mitarbeitern -, die an operativen Systemen tätig sind oder werden sollen und die etwas mehr wissen müssen, als zur Erfüllung ihrer Aufgaben unmittelbar nötig ist;

- die Einführung in die Möglichkeiten von Arbeitsplatzcomputern und von Bürosystemen für diejenigen Mitarbeiter, die künftig mit solchen Maschinen in Berührung kommen werden;

- die Orientierung des Managements in Fragen der EDV- und Bürotechnik sowie ihrer Einsatzmöglichkeiten,

- Die Ausbildung von Mitarbeitern im praktischen Gebrauch von Hilfsmitteln der individuellen Informatik

- Mainframe-Packages, Arbeitsplatzcomputer, Text- und weitergehende Bürosysteme.

Individuelle DV stützt sich auf zwei Säulen

Individuelle Datenverarbeitung stützt sich auf Software für zentrale (Groß-)Rechner und arbeitsplatzorientierte Hardware- und Softwaremittel, das heißt Arbeitsplatzcomputer oder allgemeine Büro-Workstations.

Aufgabe des Benutzerservice ist es, aus der Fülle der auf dem Markt angebotenen Produkte die geeigneten auszuwählen, sie für die Benutzer bereitzustellen und die Benutzer in ihrem Gebrauch auszubilden.

Die Bereitstellung zentraler und Benutzer-orientierter Software bewegt sich im auch sonst bekannten Rahmen: Beschaffung, Implementierung, Dokumentation und laufende Wartung. Besondere Bedeutung gewinnt hier die Dokumentation, die auf die besonderen Bedürfnisse der Benutzer ausgerichtet werden muß (Muttersprache, Verständlichkeit}.

Anforderungen an zentrale Software sind einmal funktioneller Art: Der Benutzer braucht - je nach Aufgabenstellung - Reporting/Query, Datenmanagement, Grafik, Finanzplanung, Information Retrieval und vielleicht noch einiges mehr. Kein Package kann alle diese Funktionen gleichzeitig und in ausreichender Tiefe abdecken. Man muß also, wohl oder übel, mehrere Produkte installieren. Reporting und Datenmanagement werden wahrscheinlich überall im Vordergrund stehen und dementsprechend als erste Funktionen anzubieten sein.

Mikros dürfen keine "Eintagsfliegen" sein

Zu diesen funktionalen Anforderungen treten andere hinzu:

- Verschiedene Packages sollen möglichst weitgehend aufeinander abgestimmt sein: Datenaustausch, gegenseitiger Aufruf sollten möglich sein.

- Dem Kreis der Verwender entsprechend ist auf Benutzerfreundlichkeit besonderer Wert zu legen. Möglichst einfache Syntax, gute Lesbarkeit der Programme, Flexibilität bei Programmänderungen sind wichtig.

- Wie bei jedem Produkt sonst auch sind Anschaffungs- und Betriebskosten, technische Qualität des Produkts sowie Qualität und Potential des Herstellers in die Evaluation einzubeziehen.

Als Produkt, das die Funktionen Reporting und Datenmanagement am besten abdeckt und auch sonst gut in die "Landschaft" paßt, wurde Anfang 1983 FOCUS eingeführt; es hat sich im praktischen Einsatz gut bewährt.

Hilfe und Unterstützung bei der Einführung und dem Gebrauch dezentraler Mittel setzen eine Standardisierung voraus: Man muß sich beschränken auf eine relativ kleine Zahl von Lieferanten und Produkten, denn nur so ist man in der Lage, fundierten Service zu bieten.

Ein Arbeitsplatzcomputer ist zunächst einmal ein isoliertes Gerät eingesetzt an einem Arbeitsplatz. In dieser Eigenschaft muß ein Mikro ein möglichst breites Spektrum an Softwareprodukten bieten - heute und auch in Zukunft. Exoten und potentielle "Eintagsfliegen" sind daher nicht gefragt.

Darüber hinaus- und das wird von Benutzern häufig nicht erkannt, da sie ein ganz konkretes Einzelproblem lösen wollen - muß ein Arbeitsplatzcomputer sich in die Umgebung einbetten: Er muß anschließbar sein an die - vorhandene oder geplante -Telekommunikations-Infrastruktur und muß die Möglichkeit -bieten, als simples Terminal des Zentralrechners - das heißt also als IBM 3270 - zu fungieren. In Zukunft kommt noch die Einordnung in dezentrale Bürosysteme hinzu. Für die Software ist die Policy so festzulegen, daß wir zentral und dezentral untereinander verträgliche - besser noch: aufeinander abgestimmte - Produkte einsetzen.

Aus all diesen Überlegungen heraus ist der Standard wie folgt definiert:

- Hardware: Primär Produkte der IBM, daneben in gewissen Fällen auch Mikros von Hewlett-Packard,

- Software: Lotus 1-2-3 für Spreadsheets, TEX-ASS für Word Processing und PC-FOCUS für Datenbanken/Reporting.

Ganz besonders interessant ist natürlich, daß wir mit FOCUS ein Produkt haben, das sowohl auf dem Arbeitsplatzrechner als auch auf dem Zentralrechner angeboten wird. Das bedeutet Synergie in der Unterstützung und für den Benutzer die Möglichkeit, Anwendungen zu transferieren.

Wie kann man nun in einem großen Unternehmen, das zudem noch sehr dezentral organisiert ist, solche Standards durchsetzen? Hier leistet die Beschaffungsprozedur gute Dienste; sie sorgt dafür, daß jeder Antrag vor Genehmigung durch den finanzkompetenten Linienvorgesetzten fachlich beurteilt wird.

Aktiver Benutzer ist typischer Mikroanwender

Nach Einführung des Benutzerservice zeigten die ersten Erfahrungen sehr schnell: "Den" Benutzer gibt es gar nicht. Man muß vielmehr stark differenzieren, was die Einstellung der Benutzer zur EDV und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse angeht. Eine grobe Klassifizierung zeigt vier sehr unterschiedliche Typen:

- Der "Konsument" ist der klassische Benutzer, der an seinem Terminal vorprogrammierte Transaktionen aufruft. Er kommt als Anwender der individuellen Datenverarbeitung nur sehr sporadisch und dann mit sehr einfachen Aufgaben vor.

- Der "aktive" Benutzer, der die EDV zur schnelleren und besseren Bewältigung seiner Arbeit sieht und dafür möglichst einfach zu handhabende, flexible und funktional breit gestreute Hilfsmittel braucht. Er ist der typische Mikro-Verwender.

- Der "Informationsspezialist", dessen Schwerpunkt auf Daten und deren Auswertung liegt. Er ist vielfach als Servicestelle für andere Mitarbeiter oder andere Bereiche tätig und braucht hierzu Hilfsmittel zur Erstellung komplexerer Auswertungen aus Datenbeständen, die aus verschiedenen Systemen stammen und untereinander verknüpft werden müssen. Das Volumen der Datenbestände macht ihn zum typischen User der zentralen Softwarepakete.

- Der "Systemspezialist", dessen Interesse vor allem auf Technik sowie Konzeption und eventuelle Erstellung von Anwendungen gerichtet ist. Prototyping ist zum Beispiel eine charakteristische Aufgabe für ihn.

Individuelle Datenverarbeitung, basierend auf der Bereitstellung Benutzer-orientierter Hilfsmittel und einem Support von seiten der zentralen EDV, löst eine ganze Reihe von Problemen, mit denen der Benutzer bislang allein und obendrein noch ohne Lösung konfrontiert war. Wie in anderen Gebieten auch, löst ein neues Mittel oder Verfahren allerdings nicht nur Probleme, es bringt auch sehr schnell neue Probleme und Gefahren auf.

- Die Benutzer kommen mit sehr großen Erwartungen auf den neu etablierten Benutzerservice zu und sehr schnell gerät man in einen Manpower-Engpaß - mit der Gefahr, daß sich Enttäuschung beim Benutzer breitmacht über in seinen Augen ungenügende Dienstleistungen.

Angemessene Personaldotierung für den Benutzerservice kann und muß dem entgegenwirken.

- Mit den neuen Hilfsmitteln auf den zentralen Rechnern kann der Benutzer schnell und flexibel seine Informationsselbstversorgung betreiben, der Nutzen fällt bei ihm an, die Kosten jedoch zunächst einmal in der zentralen EDV in Form höherer Maschinenbelastung - mit der Konsequenz, daß entweder mehr Geld für zusätzliche Ressourcen beantragt werden muß, oder, wenn dies nicht zum Ziel führt, der Service im Rechenzentrum eingeschränkt werden muß.

Verrechnung der Kosten und Beratung der Benutzer bezüglich effizienter Verwendung der Ressourcen (Batch versus Online!) sind wirksame Mittel zur Verhinderung von Fehlentwicklungen.

- Mit der Verfügbarkeit von Daten und ad hoc erstellten Reports aus ihnen, in einem breiten Benutzerkreis, wächst die Gefahr einer Fehlinterpretation - mit der Gefahr von Fehlentscheidungen beim Benutzer.

Eine umfassende und verständliche Dokumentation der Daten sowie applikatorische Unterstützung der Benutzer müssen hier eingreifen.

- Die neuen Hilfsmittel können einen Benutzer schnell dazu verführen, Aufgaben in Angriff zu nehmen, für die er von seinen Kenntnissen oder seinen Fähigkeiten her überfordert ist -mit dem Resultat einer Frustration beim Benutzer und zusätzlichen Aufwendungen in der Systementwicklung, die das vom Benutzer initialisierte Projekt dann sauber zu Ende führen muß.

Allseitig bekannte EDV-Policies sowie rechtzeitige Beratung im Einzelfall sind wirksame Vorkehrungen dagegen.

- Der breite Markt an Mikro-Hardware und -Software und die Aktivitäten von Herstellern, Händlern und Herausgebern von Fachzeitschriften sind oft verwirrend.

Klare Policies und Strategien sowie Beratung müssen hier versuchen, den Anwender vor Fehlentscheidung zu bewahren.

* Der Beitrag wurde von Dr. Hans-Jürgen Riechle, Ciba AG in Basel auf der Fachtagung PC '85 "Personal Computer optimal genutzt" gehalten.

Informationen: CW-CSE, Kaiserstraße 31, 8000 München 40, Tel.: 0 89/3 81 72-1 69.

DER ANWENDER

Die Ciba Geigy AG ist ein Unternehmen der chemischen Industrie mit Schwergewicht der Aktivitäten in den Bereichen Farbstoffe und Industriechemikalien, Pharmazeutika, Agrarchemikalien, Kunststoffe und Additive.

Zahl der Mitarbeiter weltweit 79 000.

Zahl der Mitarbeiter im Stammhaus Basel: 18 000

Firmensitz: Basel

Die zentrale Computerkonfiguration bei der Ciba Geigy AG ist gekennzeichnet durch ein System IBM 3083 für produktive Online-Anwendungen unter CICS und IMS und ein System IBM 3084 mit TSO für Systementwicklung, Enduser-Computing und Batch-Produktion. Bedient werden rund 800 Terminals und etwa 1300 Benutzer.