IT in der Medienbranche/Leser und Anzeigenkunden profitieren gleichermaßen

Zeitungsverlage: Kundenbeziehungen schon im Call-Center managen

08.10.1999
Kontakte optimieren möchte jeder in der Verlagsbranche. Call-Center sollen die Kundenbeziehung verbessern, das Internet soll die Arbeit mit Abonnenten und Interessenten erleichtern, um die Kosten des Leserservices zu senken. Das Telefon als Kommunikationsmittel löst Brief und Fax mehr und mehr ab, die E-Mail wird zum gewöhnlichen Instrument. Wie halten es die Verlage mit der Beziehung zum Kunden? Gerda von Radetzky* blätterte offline und online in überregionalen Tageszeitungen.

"... und verbinden Sie mit dem nächsten freien Serviceplatz." Rund eine Million Menschen setzen sich pro Jahr mit dem Abo-Service der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) in Verbindung: Etwa 80 Prozent ziehen das Telefon vor, zwölf Prozent schreiben einen Brief oder ein Fax, sechs bis sieben Prozent schicken eine E-Mail; bei Telefon und E-Mail ist die Tendenz stark steigend. Zwei Gruppen wollen bedient werden: Leser und Anzeigenkunden. Von beiden lebt das Geschäft. Gleichzeitig kann ein Kunde aber auch beides sein.

Um den Ansturm zu bewältigen, der je nach Wochentag und Uhrzeit sehr unterschiedlich ist, lagerte die SZ ihr Call-Center aus. Die Mitarbeiterzahl schwankt zwischen 20 und 70. Der Verlag möchte allerdings nicht, daß die ausführende Firma genannt wird.

Briefe, Faxe und E-Mails landen im SZ-Vertrieb. Dort werden sie nach Abonnenten und Anzeigenkunden sortiert und die vorhandenen Informationen werden in die Datenbanken eingegeben - auch das Geburtsdatum, wenn es aus dem Schreiben hervorgeht, oder das Datum des Abobeginns, wenn es länger als 20 Jahre zurückliegt. Diese Daten werden für gesonderte Mailing-Aktionen genutzt. Leserbriefe gehen direkt an das zuständige Ressort, in der Form, in der sie geliefert wurden. Ruft im Call-Center jemand an, der eine Anzeige aufgeben will, wird ihm die entsprechende Nummer genannt. Bei Fragen an die Redaktion geht das Gespräch in die SZ-Zentrale. Die Mitarbeiter des Call-Centers können direkt nur auf die Abonnentendatenbank zugreifen. Auf lange Sicht ist geplant, Abo- und Inserentendatenbanken zu verknüpfen.

Natürlich versucht auch die SZ, ihre Kunden über eine Website (www.sueddeutsche.de) zu bedienen. Doch den "Leser" sucht der Nutzer vergeblich. Beim Internet-Auftritt wurde offenbar nicht vom Kunden, sondern vom Verlag aus gedacht. Und da heißt eben alles rund um den Kunden "Vertrieb". Hier wollen die Bayern einiges ändern. Künftig soll es in den Rubriken beispielsweise Rückrufbuttons geben - falls man zurückgerufen werden will. Zur Zeit kann der Kunde aber auf Chiffre-Anzeigen online antworten - der Verlag druckt den Text aus und sendet ihn an den Inserenten.

"Wir sind zwar keine Direktbank, wollen aber so gut werden", meint die für den Strategievertrieb verantwortliche Elisabeth Walinski. Leserservice hin oder her, Online-Foren lehnt sie ab. Dieses Kundenbindungsinstrument hatte "Der Standard" (www.derstandard.co.at) im Februar eröffnet. Jeder konnte Beiträge hineinstellen, unkontrolliert wurden an einzelnen Tagen bis zu 500 Kommentare veröffentlicht. Im August schlossen die Österreicher das Tor, weil rechtsextreme Postings überhand nahmen.

Für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ; www.faz.de) steht im Internet der Leser an erster Stelle. Hinter "Leserservice" verbirgt sich eine Formularliste zum Anklicken. Doch auch hier ist der Leser nur Kunde im Sinne von Abonnent, ein Formular für einen Leserbrief gibt es nicht, dafür aber Informationen zur elektronischen Anzeigenübermittlung. Allerdings können sie nicht, wie zumindest für zwei Rubriken bei der SZ, direkt online übermittelt werden (auch diesen Dienst wollen die Bayern noch ausbauen). Wie die Frankfurter ihre Kunden managen, war leider nicht zu erfahren.

Schon auf der ersten Seite Web-Tips

Schlägt man "Die Welt" auf, so besticht, daß bereits auf der ersten Seite Web-Tips erscheinen und zu Artikeln, bei denen es sich inhaltlich anbietet, grafisch abgesetzt eine Internet-Adresse genannt wird. Auch das ist Leserservice. Um diesen zu optimieren, hat der Axel-Springer-Verlag genau die gegenteilige Konsequenz gezogen wie die SZ und die Tochter ASV Direktmarketing gegründet. Dahinter stehen zwei Call-Center: Im Februar nahm das Hamburger Büro seinen Dienst auf, im August ein Ableger in Berlin, der nur für die lokalen Springer-Titel "Berliner Morgenpost" und "B.Z." agiert. Für sämtliche anderen Springer-Titel von "Die Welt" bis "Bild am Sonntag" stehen die Hamburger bereit.

Das hanseatische Call-Center - jetzt schon mehr als eine Anrufzentrale - wird weiter ausgebaut. Innerhalb von sieben Monaten wurden rund eine Million Geschäftsvorfälle bearbeitet. Anders als bei der SZ laufen hier sämtliche Anfragen ein, egal ob per Brief, Fax, E-Mail oder Anruf zugestellt. Bei einem Anruf erkennt das System anhand der gewählten Telefonnummer, welche Zeitung der Kunde erreichen möchte. Mittels Automatic Call Distribution werden die Anrufe auf spezielle Mitarbeiter verteilt. Diese wurden aus den Redaktionen und aus anderen Call-Centern rekrutiert. Geschäftsführer Tim Greve hält trotz aller Technik die Schulung der Mitarbeiter für die wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Kunden-Management.

Die Arbeitsplätze sind per Computer Telefony Integration (CTI) mit den Datenbanken der einzelnen Titel verbunden. Kundendaten über reine Abo-Informationen hinaus werden auch hier gespeichert, um sie für gezielte Werbeaktionen wie beispielsweise den Anruf nach einer Urlaubsunterbrechung zu nutzen. Auch diese "Outbound"-Anrufe erledigen die Call-Center-Mitarbeiter.

Jobgesuche können online aufgegeben werden

Bietet die FAZ auf der Homepage Werbebuttons diverser Anbieter, so zeigt "Die Welt" (www.welt.de) das, was ein Frankfurter erwartet: den aktuellen Xetra-Dax mit den Daten des Vortags, einen Dax-Ticker, aktuelle Wirtschaftsmeldungen und Datum mit Uhrzeit des Einloggens. In der "Berufswelt" können Jobgesuche online aufgegeben werden. Die Ausweitung des Online-Anzeigenschaltens ist geplant.

Ein Klick führt auch zum "Service" der "Neuen Zürcher Zeitung" (www.nz.ch). Unter "Leserdienst" findet sich an erster Stelle die Rubrik "Lesermeinungen". Hier stehen lange Abhandlungen, allerdings wird gefiltert, bevor der Text von jedem eingesehen werden kann. Klar gegliedert, geht es zum Abo-Service mit vorbereiteten Formularen wie bei den deutschen Tageszeitungen.

Doch in einem ist die Schweiz den Deutschen weit voraus: Die NZZ stellt ihre Kfz-, Immobilien- und Stellenanzeigen in den Pool von "SwissClick" (www.swissclick.ch), der direkt mit der NZZ verlinkt ist. Und eben nicht nur mit ihr. Fast sämtliche Schweizer Zeitungen vereinen hier ihre Anzeigen, so daß der Nutzer beispielsweise ein Auto nicht ausschließlich in der NZZ sucht, sondern auch in der Südschweiz, in Basel oder Zürich.

Will er ins Theater, so schlägt er nicht die virtuelle Zeitung X auf, sondern sucht unter seinem Ort im Angebot aller Zeitungen. Auch inserieren kann er online. Der neueste Dienst dreht sich rund um das Reisen.

Vor einem dicken Problem stand die NZZ 1997 mit der Einführung des Warenwirtschaftssystems von SAP. Die Erreichbarkeit sank auf bis zu 40 Prozent, ein Arbeitsrückstau von rund drei Wochen, die Überlastung des Leserservices und massive Kundenreklamationen zwangen den Verlag zum Handeln.

Zwar wurde das Team sofort aufgestockt und die Kapazität durch eine online angebundene Tele-Marketing-Agentur erweitert, letztendlich war jedoch klar, daß ein System mit integrierter Sprach- und Datenanwendung hermußte, ein Workflow ohne Medienbrüche. (Mit einer Auflage von durchschnittlich 166555 Exemplaren hat die NZZ etwas mehr als halb so viele Abonnenten wie die SZ, pro Jahr gibt es rund 360000 Kontakte.)

Dabei stand die Entscheidung zwischen internem und externem Call-Center - für die Schweizer kam wie bei Springer nur ein internes in Frage, um den Kunden kompetent bedienen zu können. Gesucht wurde nach einer Plattform für die gesamte Crew, das heißt, für jeden, der irgendwann mit Lesern in Kontakt kommen könnte.

Sämtliche Arbeitsplätze sollten einheitlich ausgestattet, die Arbeitsabläufe benutzerfreundlich werden. Das System mußte sich in die SAP-Welt nahtlos integrieren lassen, um die bestehende Infrastruktur weiter verwenden zu können. Eine wesentliche Anforderung war die Erweiterbarkeit des Systems. Unified Messaging war genauso Voraussetzung wie das Reporting. Die Ausschreibung gewann Siemens gegen Aspect/Lucent.

Nach zwei Monaten Erfahrung meint Projektleiter Urs Arnet lakonisch: "Die Effizienzsteigerung geht weiter, als wir das gedacht haben." Knapp eine halbe Million Franken hofft er pro Jahr einzusparen, nämlich die Kosten für die Auslagerung des Overflow bei einer gleichzeitigen Verbesserung der Qualität der Auskünfte. Die Investition, über deren Höhe er schweigt, sollte sich nach fünfeinhalb Jahren amortisieren; heute hält er einen Return on Investment innerhalb von drei bis vier Jahren für realistisch.

Mit dem System lassen sich Informationsquellen in verschiedenen Fenstern auf einer Bildschirmseite darstellen. Kommt ein Anruf eines bereits erfaßten Kunden, übergibt das System die Nummer an die Datenbank. Ein Fenster mit allen Informationen öffnet sich. Der Versand innerhalb des Intranet geschieht per Klick. Auch eine Telefonnummer wird per Maus-Ansteuerung gewählt. Im Schnitt laufen täglich 1200 Anrufe ein (Tendenz steigend), 150 Faxe (stagnierend) und 150 E-Mails, wobei es auch mal 1000 pro Tag sein können. Um dies alles managen zu können, sind die 31 Arbeitsplätze mit Computer mit integriertem Lautsprecher und Telefonhörer ausgestattet. Die Mitarbeiter wurden einen halben Tag lang daran geschult. Der Anrufende hört nicht, daß über CTI telefoniert wird.

Ein Vorteil ist die Austauschbarkeit der Information: Muß bei der SZ die Mitteilung eines Lesers, die sich auf ein Abonnement oder auf ein Inserat bezieht, erst noch kopiert werden, um an die unterschiedlichen Stellen weitergesandt werden zu können, kann der NZZ-Mitarbeiter die Nachricht, gleichgültig in welcher Form sie eintrifft, elektronisch über das Intranet weiterreichen. Die Durchlaufzeiten eines Geschäftsvorfalls reduzieren sich dadurch erheblich, eine prozeßorientierte Organisation entsteht.

Heute steht für Urs Arnet fest: "Die Projektrealisierung hat sich positiv auf die Motivation der Mitarbeiter ausgewirkt." Und er ist überzeugt, daß sich "mit Unterstützung durch technologische Innovation Effizienz und Qualität verbessern". Die Erreichbarkeit liegt nach seinen Worten jetzt bei 80 Prozent, will heißen, der Anrufer muß höchstens 20 Sekunden warten, bis eine freundliche Stimme antwortet - ohne Warteschleife.

In den Zeitungsverlagen hat sich die Erkenntnis, daß Kundenfreundlichkeit eine zentrale Erfolgskomponente ist, schon lange herumgesprochen. Bislang wurden weder Zeit noch Kosten gespart, um dem Service-Ideal weitgehend zu entsprechen. Call-Center-Technologie macht es den Verlags-Dienstleistern in der Anzeigenabteilung, beim Vertrieb oder in Redaktion und Archiv inzwischen leichter, den Kundenkontakt effizient zu gestalten. Die "Süddeutsche Zeitung", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Welt" und die "Neue Zürcher Zeitung" wurden diesbezüglich einmal genauer unter die Lupe genommen.