Zeitarbeit bleibt in IT-Branche umstritten

07.01.2002
Von Katja Müller
Das "Job-Aqtiv-Gesetz" soll der Zeitarbeitsbranche mehr Flexibilität erlauben. Doch das Hauptziel, den Arbeitsmarkt zu beleben, wird nach Ansicht von Firmen und Verbänden verfehlt.

Die Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der größten Probleme, mit denen die Bundesregierung zu kämpfen hat. So waren im September von 3743022 Arbeitslosen 680622 (entspricht etwa 18 Prozent) seit über zwei Jahren ohne feste Anstellung. Bundesarbeitsminister Walter Riester kündigte an, die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) im Wahljahr 2002 nicht auszuweiten. Damit fällt eine der bisher am meisten genutzten Strategien zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit weg.

Stattdessen sieht das kürzlich verabschiedete Job-Aqtiv-Gesetz vor, die Arbeitsvermittlung zu stärken. Die Reform des Arbeitsförderungsrechts tritt zum 1. Januar 2002 in Kraft. Aqtiv steht für Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren und Vermitten. Neu geregelt wird dabei auch die Zeitarbeit. Die maximale Überlassungsdauer eines Leiharbeiters wird von zwölf auf 24 Monate verlängert. Ab dem 13. Monat erhält der Angestellte der Zeitarbeitsfirma den gleichen Lohn und die gleichen Sozialleistungen wie ein Mitarbeiter des ausleihenden Unternehmens.

Doch das neue Gesetz stößt bereits auf harsche Kritik. Nicht nur die Aktionsgemeinschaft Wirtschaftlicher Mittelstand ist gegen die Ausweitung der Zeitarbeit, das Institut der Deutschen Wirtschaft bezeichnet die Liberalisierung gar als Mogelpackung. Holger Schäfer, Mitarbeiter der Statistikabteilung, erklärt: "Den Verleihfirmen entsteht ein riesiger Aufwand, weil sie alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Anmietbetriebes recherchieren müssen, damit die Verträge entsprechend geändert werden."

Höhere Sozialleistungen

Schließlich schaffe die Branche kontinuierlich Arbeitsplätze, verteidigt das Institut der Deutschen Wirtschaft die Arbeitnehmerüberlassung. So habe sich seit 1995 die Zahl der Zeitarbeitskräfte auf 339000 verdoppelt. Zwei Drittel der im Jahr 2000 eingestellten Personen kamen aus der Arbeitslosigkeit. Die Liberalisierung hätte sich dem Institut zufolge auf anderen Ebenen vollziehen müssen, beispielsweise der unbeschränkten Verleihdauer wie etwa in den USA oder Großbritannien. Lutz Martens, Chef des IT-Service der Zeitarbeitsfirma Randstad Deutschland, klagt: "Die Sozialleistungen für unsere Leiharbeiter müssen ab dem 13. Beschäftigungsmonat mit denen im Anleihbetrieb identisch sein. Wie wir das hinkriegen sollen, wissen wir noch nicht."

Zwar erhielten laut Martens in der Vergangenheit etwa 80 Prozent der von Randstad vermittelten Computerspezialisten nach einiger Zeit in ihrem Anleihvertrieb eine Festanstellung. Doch diese Zeiten sind vorbei. "Im Moment beschäftigen wir etwa 200 Mitarbeiter im IT-Bereich, aber viele werden nicht übernommen." Am gefragtesten seien immer noch Qualifikationen in den Bereichen Support, Netzadministration und Programmierung. Dass Unternehmen Mitarbeiter länger als ein Jahr entleihen, könne er sich nur im IT-Sektor vorstellen. Möglicherweise lohne sich hier eine langfristige Beschäftigung für die Unternehmen eher als bei gering qualifizierten Arbeiten mit einer kurzen Einarbeitungszeit.

Von "weniger Aufwand und höherer Planungssicherheit" durch das Job-Aqtiv-Gesetz schwärmt indessen das Zeitarbeitsunternehmen DIS AG. Mit Sonderleistungen wie Handys für Außendienstmitarbeiter, Weihnachts- und Urlaubsgeld versucht das Unternehmen, gegen das schlechte Image der Branche anzukämpfen. Knapp 400 Leiharbeiter hat die DIS AG in den IT-Bereichen ihrer 23 Niederlassungen unter Vertrag. Die durchschnittliche Überlassungszeit beträgt drei Monate. "Je qualifizierter der Mitarbeiter ist, desto länger dauern die Aufträge", erklärt die IT-Geschäftsbereichsleiterin Christina Mankus. Unix- und Oracle-Profis gefragt Um Programmierer zu bekommen, müsse DIS marktgerechte Gehälter bezahlen und interessante Auftraggeber bieten. "40 Prozent unserer IT-Mitarbeiter haben ihre vorherige Stelle selbst gekündigt, um bei uns anzufangen." Nur zehn bis 20 Prozent kämen aus der Arbeitslosigkeit. Mit Präsenzseminaren und Coachings werden die Angestellten auf ihren Einsatz beim Kunden vorbereitet.

Gefragt sind vor allem Software- und Datenbankentwickler, Unix- und Oracle-Spezialisten. 80 Prozent der Mitarbeiter wechseln schließlich zum Anleihbetrieb, sagt Mankus. Erfolgt die Einstellung vor dem Ablauf eines halben Jahres, muss das Unternehmen eine Ablöse von zehn bis 30 Prozent vom Jahresbruttoverdienst des Leiharbeiters an die DIS AG bezahlen. Doch gerade im Projektbereich der Computerfirmen rechnet das Zeitarbeitsunternehmen mit einer steigenden Nachfrage nach längeren Überlassungszeiten. "In der Vergangenheit konnten wir eine Vielzahl von Projekten in den Bereichen IT, Finance und Engineering aufgrund der Befristung nicht wie gewünscht unterstützen", erklärt Dieter Scheiff, Vorstand für Marketing und Vertrieb.

Widerstand von Gewerkschaften

DIS-Vorstandsvorsitzender Dieter Paulmann geht noch einen Schritt weiter: "Wir sind zuversichtlich, dass die Zeitarbeitsbranche in den kommenden drei Jahren mindestens 20000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wird. Im Fall der völligen Liberalisierung könnten die Leihfirmen in den nächsten fünf Jahren sogar bis zu 500000 neue Stellen einrichten." Doch die von der DIS AG propagierten Zahlen sind für die Betroffenen nicht nur Anlass zur Freude. Besonders nicht für die Gewerkschaftsvertreter, denen die Zeitarbeit von jeher ein Dorn im Auge ist. Das erste deutsche Arbeitnehmerüberlassungsgesetz trat im Oktober 1972 in Kraft und erlaubte damals eine Leihfrist von bis zu drei Monaten. Im gleichen Maße, wie seitdem die Überlassungsdauer verlängert wurde, verstärkte sich auch der Widerstand der Gewerkschaften.

"Es ist fatal, wenn immer mehr tarifliche Dauerarbeitsplätze zerstört werden und zunehmend im Niedriglohnbereich bezahlt wird", meint Jürgen Ulber, Jurist beim Vorstand der IG Metall. So habe keine der 12501 Zeitarbeitsunternehmen einen Flächentarifvertrag unterzeichnet. Viele Leihfirmen traten aus dem Bundesverband Zeitarbeit aus, als dieser Anfang der 90er Jahre Mindeststandards zu Lohn- und Sozialregelungen einführen wollte. Seitdem sind nur noch etwa 1500 Zeitarbeitsunternehmen Mitglieder des Verbandes. Zwar sind unter diesen zwölf Prozent die Großen der Branche vertreten, die Mitgliedschaft scheint sie aber nicht daran zu hindern, das oft kritisierte Gebaren der Branche beizubehalten.

So liegen laut Ulber die Löhne der Zeitarbeitsfirmen zumeist unterhalb des Sozialhilfeniveaus (Das gilt allerdings nicht für den IT-Bereich). Auch Randstad macht da nach Meinung des Juristen keine Ausnahme. Vor allem an Arbeitslosen habe die Branche großes Interesse. Denn zusätzlich zu den Gebühren der ausleihenden Firma kassiere das Zeitarbeitsunternehmen für jeden eingestellten Erwerbslosen Leistungen vom Arbeitsamt.

Schlechtes Image

Dass das Image der Zeitarbeit nicht das beste ist, zeigt auch die Reaktion vieler Unternehmen, wenn sie gefragt werden, inwieweit sie auf Leiharbeiter zurückgreifen. Siemens-Sprecherin Sabine Metzner äußert sich zur Zeitarbeit zum Beispiel nur vage. So spiele die Überlassung im Mobilfunkbereich eine große Rolle, konkrete Auskünfte zur aktuellen und geplanten Zahl der Leiharbeiter konnte sie aber nicht geben. Unternehmen wie Compaq, Suse, SAS Institute oder Oracle geben auf Nachfrage an, dass sie nur wenige Zeitarbeiter beschäftigen. Nicht mehr als eine Handvoll seien bei Compaq tätig. "Bei uns haben die eigenen Mitarbeiter Vorrang", so Unternehmenssprecher Herbert Wenk. Auch bei Suse wird die neue Gesetzgebung nicht viel ändern. Bis zum März besetzte der Nürnberger Linux-Distributor ein Drittel seines Sales-Call-Centers mit etwa 15 Leiharbeitern, bestätigt Personalchef Dirk Spilker. "Wenn jemand wirklich gut war, haben wir ihn übernommen und die Probezeit entsprechend verkürzt." Immerhin 90 Prozent dieser Mitarbeiter hätten eine Festanstellung bei Suse erhalten. Im Moment gebe es jedoch keine Verträge mit Leiharbeitern.

Für den IG-Metall-Juristen Ulber sind Übernahmen in diesem Ausmaß jedoch selten. Besonders IT-Firmen, die vorwiegend im Projektbereich mit Zeitarbeitsfirmen zusammenarbeiteten, verlagerten die Beschäftigungsrisiken auf die Leiharbeiter. Große Besorgnis weckt bei Ulber auch die Kooperation von Arbeitsamt und Leihfirmen. "Mehr als der Hälfte der Zeitarbeitsfirmen müsste die Erlaubnis entzogen werden, aber das Arbeitsamt hat zu wenig Mitarbeiter, um der Illegalität gegen zu steuern." Arbeitsgerichte haben einschlägige Erlasse von Arbeitsämtern als rechtswidrig verurteilt, sagt Ulber.

Rudolf König, von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, zeigt sich gelassen: "Wer Arbeitslose einstellt, bekommt entsprechende Leistungen." Wie sich die längere Überlassungsdauer auf den künftigen Arbeitsmarkt auswirkt, vermag er nicht zu prophezeien. Doch so ganz scheint er dem Bundesverband Zeitarbeit nicht zu trauen. So seien die Studien, in denen die Organisation behauptet, dass ein Drittel der Mitarbeiter von den Anleihfirmen übernommen werden, "mit Vorsicht zu behandeln". Denn einzelne regionale Erhebungen würden noch keine repräsentative Umfrage ergeben.