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Zeichen der Zeit: Rückblick 2004

27.12.2004
Das IT-Jahr 2004 wurde durch die Begriffe "Konsolidierung" und "Standardisierung" geprägt. Dennoch war unter Anwendern und Anbietern ausreichend für Bewegung gesorgt.

Ein Jahr von Pleiten, Pech und Pannen" schrieb die CW vor genau zwölf Monaten, als auf das Jahr 2003 zurückgeblickt wurde. So schlecht, das sei vorweg gesagt, war 2004 beileibe nicht, auch wenn es wieder Insolvenzen, Unglücke und Reibungsverluste im Computerkosmos gegeben hat. Allerdings gründet hier das Dilemma, dem sich IT-Verantwortliche, -Abhängige und -Beobachter im vergangenen Jahr stellen mussten: Es war nicht schlimm, aber es war auch nicht gut. 2004 war einfach nur ein ganz normales Jahr.

In einigen Branchen der Old Economy riefe diese Bilanz ein Schulterzucken hervor. Für die IT-Industrie hingegen, die sich in Gesellschaft stets mit dem Mäntelchen der Innovation und Modernität bekleidet, ist gepflegte Langeweile ein übles Gift. Die Industrie und ihre Produkte sind endgültig nicht mehr sexy, stattdessen zählen andere Stärken: "Der Wertbeitrag der IT lässt sich messen", überschrieb die CW im Sommer einen Artikel. Immerhin etwas, auch wenn es stark nach Rechtfertigung klingt. Zieht man den Vergleich zwischen den Geschwistern IT und TK, kommt die Telekommunikationsindustrie 2004 eindeutig besser weg, weil sie innovativer, moderner und spannender wirkt.

Outsourcing, Sicherheit, Spam

Vieles, was in den vergangenen zwölf Monaten auf der IT-Tagesordnung stand, war zudem bereits 2003 en vogue. Outsourcing lief und lief wie der VW Käfer, Security war immer noch ein heißes Eisen, Linux stand weiterhin vor dem Durchbruch, Spam nervt seit zehn Jahren, und Compliance war auch schon länger bekannt. Die Stimmung kumulierte 2004 in den Begriffen Konsolidierung (Server, Lieferanten, Personal) und Standardisierung (Hardware, Software, Services). Das klingt nicht nach etwas grundlegend Neuem, sondern nach dem Versuch, bestehende Verfahren billig abzulösen. Beide Begriffe lassen sich mit dem Anspruch, in einer bahnbrechenden Branche zu wirken, nur mit einiger Mühe vereinbaren.

Positiv formuliert, stabilisierte sich die IT-Branche im Konsolidierungsjahr 2004 und legte die Fundamente für eine Trendwende. In Deutschland etwa wurde offiziell das "Jahr der Technik" begangen, was verschiedene Jugendliche hierzulande eigenwillig interpretierten. Das Ergebnis waren die Schädlinge "Sasser" und "Netsky", die ein 18-Jähriger aus Niedersachsen im Frühjahr in die Welt setzte. Ursprünglich hatte der Berufsschüler (Wirtschaftsinformatik) damit eine Art "Antivirus" gegen Schädlinge wie Mydoom und Bagle schaffen wollen. Der Urheber des Super-Wurms "Phatbot", 21 Jahre alt und arbeitslos, kam ebenfalls aus Deutschland.

Der Bereich der IT-Sicherheit boomte 2004, erlebte aber auch ernst zu nehmende Angriffe auf die größte Schwachstelle, den Anwender. Mittels so genannter Phishing-E-Mails - eine Wortkomposition aus password und fishing - wurden Opfer aufgefordert, ihre Kunden- oder Kontendaten online zu aktualisieren. Dazu sollten sie auf einen Link klicken, der sie allem Anschein nach zur vermeintlichen Web-Seite ihrer Hausbank weiterleitete. Tatsächlich landeten die vertraulichen Informationen, darunter PINs, TANs und Passwörter, aber in den Händen von Kriminellen.

Bei den legalen Konzepten, Gewinne zu erzielen, macht Microsoft in der IT-Branche niemand den Rang streitig. Der Konzern entschied sich 2004, dem künftigen Betriebssystem und XP-Nachfolger Longhorn noch etwas Entwicklungszeit zu spendieren; stattdessen kommt 2005 in einem Zwischenschritt Windows XP Reloaded. Daneben forcierte Microsoft die Themen Sicherheit und Suchmaschinen. Zwar wuchs der Druck aus dem Open-Source-Lager auf den Konzern auch im ausklingenden Jahr weiter an, dafür wurden im Gegenzug einige spektakuläre Erfolge erzielt: Forrester meldete, dass Windows sicherer als Linux ist; andere Analysten rechneten vor, dass das Betriebssystem zudem auch noch billiger kommt. Außerdem tauchten im Februar Teile des Windows-Quellcodes frei im Netz auf.

Das Open-Source-Lager konnte 2004 ebenfalls frohlocken, denn neben München interessierten sich plötzlich auch Paris, Rom und Berlin für das System. Und mit der bröckelnden Unix-Bastion haben die Freien einen neuen Feind anvisiert, dessen Ablösung im Rechenzentrum leichter erscheint als der direkte Angriff auf den Riesen aus Redmond. Im Sande verlief hingegen der unrühmliche Plan von SCO, Linux-Anwender wie Daimler-Chrysler wegen der Verletzung angeblicher Unix-Rechte zu verklagen.

Eine Attacke auf seinen Marktführer hat 2004 der Chiphersteller AMD eingeleitet, und Intel tat sich in den vergangenen Monaten reichlich schwer. So schaffte es der kleine Rivale, den Konzern in einigen Punkten technisch zu überflügeln und Maßstäbe zu setzen. Neuer Trend: Statt wie bisher einen Prozessorkern pro CPU zu verbauen, werden die Unternehmen künftig zwei Cores pro Chip implantieren. Dies wird aber nicht an der Tatsache ändern, dass der traditionelle Geschwindigkeitswettbewerb weitergeht. Inzwischen hat sich auch Intel wieder berappelt und seinen Investoren ein versöhnliches viertes Quartal in Aussicht gestellt.

An prominenten Abgängen musste die Branche die Herren Ulrich Schumacher (Infineon), Michael Dell (Dell) und Thomas Siebel (Siebel) verkraften. Die zwei Letztgenannten zogen sich in das Kontrollgremium ihres jeweiligen Unternehmens zurück, Schumacher hatte keine eigene Firma. Der Konzern Dell gab sich 2004 wieder einmal finanziell keine Blöße und setzte das Wachstum unbeeindruckt fort. Siebel hingegen sah sich mit verschiedenen Hosting-Wettbewerbern à la Salesforce.com und Rightnow konfrontiert und musste eigene Angebote nachschieben.

Schambach gründet wieder

CA-Chef Sanjay Kumar zog im Frühjahr die Konsequenzen aus der Bilanzaffäre und reichte seinen Rücktritt ein. Und Deutschlands Vorzeige-Ex-Gründer Stephan Schambach setzte sich von Intershop ab; die Softwarefirma war bis Redaktionsschluss immer noch aktiv und verdarb nicht wenigen Beobachtern wieder einmal die seit Jahren laufenden Insolvenzwetten. Schambach hat übrigens ein neues Unternehmen namens Demandware gegründet, diesmal in den USA. Dort gibt es auch das Wagniskapital, das seinen Namen wohl nicht zu unrecht trägt.

Wirtschaftlich gesehen waren zwei Höhepunkte im Jahr zu melden: die Börsengänge von Salesforce.com und Google. Beide haben inzwischen eine Berg- und Talfahrt an den Finanzmärkten hinter sich, liegen aber immer noch deutlich über den Ausgabekursen - bei Google sind es immerhin rund 100 Prozent. Die Suchmaschine war zwischenzeitlich so viel wert wie die SAP AG. Interessant aus ökonomischer Sicht war auch die Übernahmeschlacht von Oracle und Peoplesoft: Der überraschenden Einigung Mitte Dezember war ein sechs Quartale dauernder Grabenkrieg vorausgegangen.

Gute Bilanz: SAP und IBM

Gefreut hat sich darüber die SAP AG, die zwar immer noch dem "Mittelstand hinterherlief" (CW), deren Geschäfte sich im Jahr 2004 dennoch ausgesprochen gut entwickelt haben. Ähnliches gilt für IBM, die in Anlehnung an einen Sinnspruch wirtschaften konnten: Die dicksten Bauern essen die meisten Kartoffeln. Allerdings hat IBM gegen Ende des Jahres mit dem PC-Business einen Teil seiner Felder an die chinesische Lenovo-Gruppe abgegeben. Dass damit ein Teil der Computerhistorie - IBM erfand einst den PC - zu Grabe getragen wurde, regte nicht weiter auf: Konsolidierung as usual.

"Let’s buy Walldorf"

Der interessanteste Deal des Jahres zeichnete sich jedoch dadurch aus, dass er nicht zustande kam: Microsoft suchte eine sinnvolle Anlage für seine mehr als 50 Milliarden Dollar schwere Kapitalreserve und fand die SAP. Letztlich scheiterten die Übernahmegespräche, was auch am starken Euro gelegen haben mag. Also entschloss sich Microsoft, die Tatsache zu akzeptieren, inzwischen ein reifes Unternehmen zu sein: Ein Sparprogramm wurde aufgesetzt, die Belegschaft per CEO-Mail motiviert, Klagen außergerichtlich beigelegt und ehemals prozessfreudige Wettbewerber sowie murrende Aktionäre mit Geld zugeschüttet. Allein das Volumen für Dividenden und Aktienrückkäufe beläuft sich in den kommenden vier Jahren auf 75 Milliarden Dollar.

Diese Probleme sind nicht allen Unternehmen aus der Branche geläufig. Revitalisiert wurden 2004 einige IT-Hersteller, die ihre besten Zeiten eigentlich schon lange hinter sich hatten. Microsoft-Erzfeind Nummer eins Sun erhielt eine milliardenschwere Geldspende von Microsoft und schloss vordergründig Frieden mit dem Konzern - Microsoft-Erzfeind Nummer zwei Apple profitierte von seinem expandierenden Musik-Business, das den Aktienkurs der Company fast auf ein Allzeithoch katapultierte - Microsoft-Erzfeind Nummer drei Novell war dank des Suse-Kaufs im Vorjahr plötzlich wieder ein Lieferant mit Zukunft und erwachte "aus seinem Koma" (CW). Die Software AG schließlich, kein Microsoft-Erzfeind, konnte sich an den eigenen Haaren aus dem Legacy-Sumpf ziehen.

VoIP, UMTS, Smartphones

Der eingangs gelobte Telco-Bereich florierte 2004 gleich aus mehreren Gründen: Die Technik Voice over IP (VoIP) wurde in die Lager der Privatnutzer und Unternehmen hineingetragen, UMTS ging ohne gravierende Pannen an den Start, und Handys/Smartphones verkaufen sich wie noch nie. Zudem kam man um die Wörter "Breitband-Internet" und "drahtlos" beim besten Willen nicht herum. Finanziell profitiert hat im ausklingenden Jahr vor allem die Deutsche Telekom, die ihre Schulden verringern konnte und sich eine neue Struktur verpasst hat. Zudem gab der Carrier ein anschauliches Beispiel, wie man Tochtergesellschaften (T-Online) ausgliedert, an die Börse bringt und gewinnbringend wieder integriert.

IT-Kompetenz im Vorstand

Bleibt zum Schluss die entscheidende Frage für Anwender aus der CW 16/04: "Wie kommt IT-Kompetenz in den Vorstand?" Mit dem Blackberry! Das Mobiltelefon mit E-Mail- und anderen Funktionen war der Executive-Hype des Jahres, und seine Verbreitung von oben nach unten legt den Schluss nahe, dass die Geräte relativ leicht zu bedienen sind. Zudem zwingen sie die Manager dazu, E-Mails selbst zu beantworten und sich so mit der komplizierten Materie IT auseinander zu setzen.

Im kommenden Jahr beantwortet die CW dann die Frage: "Wie komme ich in den Vorstand?" Wir wünschen ein erfolgreiches und vor allem ein fröhliches neues Jahr. Und noch eine versöhnliche CW-Überschrift für Offshore-Betroffene: "IT-Gehälter im Osten steigen kräftig." Wenn das kein Grund zum Feiern ist! (ajf)