PPMS generiert Soll-Vorgaben nach Ist-Werten:

ZDF realisiert Projektmanagement auf Mikros

27.04.1984

Im Zweiten Deutschen Fernsehen will man den technischen Fortschritt nicht länger allein in den Dienst eines respektablen Programms, also der Produktion und des technischen Sendebetriebes, stellen. Gebot der Stunde sind die Verbesserung der Internen Kommunikationsstruktur und -effizienz und die Entwicklung ökonomisch orientierter Informationssysteme.

Um die dafür nötigen organisatorischen Aufgaben zu meistern, wurde die bisherige DV-Abteilung in einen größeren Bereich "Betriebswirtschaft - Informationssysteme - Datenverarbeitung" integriert. Unter der Führung des bisherigen Leiters der Abteilung für betriebswirtschaftliche Untersuchungen, Dr. Gerrard Breitbart, wird das ZDF jetzt DV-mäßig neue Wege gehen.

Damit gerät Breitbart mitten in eine sehr aktuelle Branchenkontroverse. Haben die Mikros wirklich einen Platz als Ergänzung der Groß-EDV? Stellt die "Mikrowelle" nicht, wie Vertreter der reinen Großanlagenideologie behaupten lediglich einen raffinierten Vertriebstrick dar, der am Ende dem Benutzer nur unzureichende Problemlösungen und der bereits überforderten DV-Abteilung nur lästige, zusätzliche Unterstützungsaufgaben beschert? Diese in der Branche weitverbreitete Ansicht will Breitbart einem empirischem Test unterziehen.

Als Pilotprojekt hat Breitbart das neue Projektmanagementsystem "PPMS" der Personatec GmbH, Wiesbaden, gewählt. Damit verbindet er ein DDP-Experiment mit einem größeren Vorhaben, die allgemeinen Bedingungen für Softwareentwicklungsprojekte beim ZDF zu verbessern. PPMS ist nur eine aus einer Reihe von Projekt-Steuerwerkzeugen, die zur Zeit in das Gesamtkonzept integriert werden.

Warum PPMS? Das gegenwärtige Angebot an Projektmanagementpaketen für Mikros ist äußerst gering. Es gibt nur einige wenige deutschsprachige Pakete; die meisten basieren auf Netzplantechnik. Netzplantechnik ist nun eine der Operations-Research-Methoden, die in der Theorie sehr interessant, in der Praxis aber recht umständlich anzuwenden sind. Netzpläne bedürfen bekanntlich einer kontinuierlichen und konstanten Pflege, wenn die Aussagefähigkeit erhalten bleiben soll. Kaum eine DV-Abteilung kann sich einen solchen Verwaltungsaufwand leisten. Darüber hinaus erfordern solche analytischen Planungsmethoden eine genaue Zergliederung des Projektes in realitätsbezogenen Tätigkeiten, die in bestimmten logischen Verbindungen zueinander stehen. Eine solche Zergliederung ist im Falle eines DV-Projekts so gut wie nie möglich; die Detailarbeiten ergeben sich im Laufe des Projektes. Bei Personatecs Projektmanagementsystem hingegen wird von historisch-komparativen Ansätzen ausgegangen. Statistiken der Vergangenheit werden benutzt, um einen globalen Plan zu erstellen, der im Laufe des Projekts verfeinert wird. Die Planung bewegt sich immer im statistisch vertretbaren Raum.

Empirisch fundierte Vorhersagen

Kern des Systems PPMS ist ein Tätigkeitsbericht, der von jedem Mitarbeiter der Projektgruppen ausgefüllt wird. Hierbei werden Arbeitsstunden festgehalten und mit verschiedenen Attributen wie Projekt, Phase, Art der Arbeit etc. versehen. Tätigkeitsberichte dieser Art werden ohnehin in den meisten DV-Abteilungen bereits geführt. Der Zusatzaufwand für PPMS ist deswegen gering. Über die Arbeitszeiten hinaus kann man auch Maschinenkosten sowie Soll-Vorgaben für alle Kategorien erfassen. Diese Statistiken bilden mit der Zeit eine historische Projektdatenbank, mit der man empirisch fundierte Vorhersagen für neue Projekte generieren kann.

PPMS rentiert sich allein schon wegen des aktuellen Überblicks über die Istdaten. Ein leistungsfähiger Report-Generator erstellt Listen von beliebigen Teilmengen der Datenbasis in einer beliebigen Sortierung der Attributwerte. Damit ist die Berichterstattung der typischen DV-Abteilung voll abgedeckt. Das wirklich Neue und Interessante an dem System sind die Funktionen für Analyse und Planung. Das System kann Vektorendateien erstellen mit einer Art Vektorengenerator. Diese können dann innerhalb PPMS der Regressionsanalyse unterzogen werden oder außerhalb PPMS Grafik- oder Statistikpaketen zugeführt werden. Darüber hinaus gibt es zwei Varianten der Vorausplanung.

Die erste Variante ermöglicht die Generierung von globalen Soll-Vorgaben für ein neues Projekt auf der Basis eines alten Projektes, selbst wenn das alte Projekt unterschiedliche Größenordnungen aufweist. Zeit und Stunden werden statistisch adjustiert, damit die gleiche Verteilungskurve erhalten bleibt. Diese Kurvenmethode ist in den Ingenieurwissenschaften lange bekannt und führt zu wesentlich besseren Ergebnissen als die linearen Methoden.

Die zweite Variante betrifft die Vorausplanung innerhalb des Projektes. Leider werden die ursprünglichen Soll-Vorgaben eines Projektes selten genau eingehalten. Man muß trotzdem versuchen, kurz und mittelfristig verbesserte Prognosen aufgrund der Ist-Entwicklung zu erreichen. Zu diesem Zweck bietet PPMS die Möglichkeit, durch sogenannte Fertigstellungsmeldungen die Konsequenzen der Ist-Entwicklung zu analysieren. Aufgrund eines angegebenen Fertigstellungsgrades für Projektteile in Verbindung mit dem ursprünglichen Soll, dem gegebenen Ist und der Personalkapazität werden verbesserte Soll-Vorgaben erstellt. Dadurch findet eine ständige Rückkopplung zwischen der täglichen Arbeit und dem planerischen Entscheidungsprozeß statt.

Arbeitsteilung zwischen Host und Mikro

PPMS hat auch andere Design-Vorteile. Das Paket ist von einem DV-Leiter einer projektorientierten Ingenieurfirma entwickelt worden, selbst im Großrechnerbereich tätig, mithin an einer Großrechnerkompatibilität interessiert ist. Im Gegensatz zu den üblichen Basic-Paketen PPMS in Ansi-Cobol geschrieben benutzt Isam-Datenstrukturen. PPMS ist somit portabel und kann im Prinzip auf jedem Mikro, Mini oder Mainframe laufen. Lieferbar sind zur Zeit Versionen für MS-DOS und CP/M auf IBM und Sirius. Eine Siemens-Version ist gerade in der Design-Phase. Datenstrukturen sind so konzipiert, daß sie mit Leichtigkeit Downloading- und Uploading-Prozeduren unterzogen werden können. Dadurch bleibt der Benutzer flexibel in der Arbeitsteilung zwischen Mikro und Host-Rechner.

Beim ZDF zum Beispiel werde Berichtsdaten an einfachen 3270-Bildschirmen erfaßt, die jedem Programmierer zur Verfügung stehen. Diese Daten ruft der Projektkoordinator dann vom IBM PC ab und speichert sie in einer eigenen Plattendatei. Bei der Erfassung der Tätigkeitsberichte sind Validierungstabellen notwendig, die auf dem Mikro gepflegt werden. Um die 3270-Erfassung zu unterstützen, werden die Validierungstabellen vom Mikro auf die Host-Anlage übertragen. Der geschilderte Ablauf demonstriert nur einige der Möglichkeiten einer Mikro-Integration. Auch ein IMS-Zugriff etwa, um ein Spread-Sheet-Programm auf dem Mikro mit Daten zu beschicken, ist heute kein Problem mehr. DV-Leiter sollten demnach Mikros nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung der Groß-DV ansehen.

Die Groß-DV-Anhänger sind, wie wir wissen, noch nicht bekehrt. Sie blockieren meist noch den Mikroeinsatz. Das wird sich ändern, sobald praktische Erfahrung zu einer vernünftigen Arbeitsteilung führen wird. Widerstand ist von den Personal- und Betriebsräten zu erwarten, da der Mikroeinsatz eine sehr unmittelbare Auswirkung auf die Arbeit platzgestaltung haben kann. Auch bei Mitarbeitern des ZDF hat der geplante Einsatz von PPMS gewisse Ängste vor der "perfekten Kontrolle" ausgelöst. In solchen Fällen ist die von Breitbart verfolgte Strategie empfehlenswert.

Er argumentiert: "Selbst die Basis verlangt vom Management, daß vernünftige Entscheidungen getroffen werden. Man beklagt häufig die Realitätsfremde der Führungsinstanzen. Vernünftige Entscheidungen basieren jedoch auf Daten und Rückkopplung. Ohne solche Daten bleiben Managemententscheidungen mehr oder weniger willkürlich, mit häufig unangenehmen Folgen auch für Belegschaft. Nicht erst der Einsatz von PPMS ermöglicht es uns, diejenigen Mitarbeiter zu identifizieren, mit unter durchschnittlichem Einsatz arbeiten; hierfür gibt es einfach und wirkungsvollere Methoden."

Der Personalrat stimmte aufgrund dieser Argumentation und auf das Versprechen hin, daß die Projektinformation nur zur Projektüberwachung und nicht zur Personenüberwachung eingesetzt werde, der Einführung von PPMS zu.

Henrike Fahrenholz ist Leiterin der ZDF-Abteilung für betriebswirtschaftliche Untersuchungen.