Datenaustausch über das Web

XML befreit EDI aus proprietären Fesseln

10.04.1998

Entgegen den optimistischen Erwartungen Ende der achtziger Jahre konnte sich EDI nie wirklich auf breiter Basis etablieren. Vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen scheinen von dem Verfahren nicht wirklich überzeugt zu sein und scheuen die meist recht hohen Investitionskosten. Mit dem immensen Erfolg des Internet, das immer mehr auch zu einem kommerziell interessanten Medium wird, besteht Aussicht, die Kleineren mit ins EDI-Boot zu locken. Beinahe jede fortschrittlich organisierte Firma ist mittlerweile an das weltweite Netz angeschlossen, die Zahl der potentiellen Geschäftspartner ist beeindruckend. Ob dies allerdings für einen EDI-Boom ausreicht, darüber herrscht in Insiderkreisen noch Unstimmigkeit. Erwartete Kosteneinsparungen durch Web-basierte EDI-Lösungen werden in den gleichen Diskussionen wieder in Frage gestellt. Man ist sich uneinig, wo genau die größten Kosten im VAN anfallen und wie sie durch Web-Technologien neutralisiert werden könnten.

Wer jetzt allerdings die international etablierten VAN-Anbieter und die großen Namen des traditionellen EDI-Geschäfts in der Defensive wähnt, irrt gewaltig. Im Gegenteil ( gerade die EDI-Spezialisten wie GE Information Services (GEIS), Harbinger Corp. , Premenos Technology Corp. und Sterling Commerce, haben sich den aktuellen Gegebenheiten angepaßt und peilen mit Erweiterungen, Schnittstellen und VAN-Alternativen neue Zielgruppen an. So gründete beispielsweise GEIS, die wohl weltgrößte EDI-Schmiede, mit Netscape Communications Corp. ein Joint-venture namens Actra Business Systems. Mit einer Reihe von "Cross-Commerce"-Business-Anwendungen will man jeden Winkel des Internet erschließen. Auch Siemens-Nixdorf (SNI) bietet in Kooperation mit Intershop Communications eine "Electronic Commerce Suite" inklusive Standard-EDI- und SAP-R/3-Schnittstellen an.

Eine andere Strategie verfolgt Microsoft. Die Gates-Company versucht, Software-Entwicklern Windows NT als Business-Plattform schmackhaft zu machen, und möchte daher das virtuelle Unternehmen der Zukunft unterstützen. Im Visier haben die Redmonder vor allem auch kleine und mittelständische Unternehmen. Bereits im September 1996 stellte eine Presseerklärung die "Value Chain Initiative" (VCI) vor, in der die großen Anbieter der US-EDI-Szene eingebunden werden sollten. Zudem kündigte der Windows-Hersteller für Mitte 1998 die "Commerce Interchange Pipeline" (CIP) an, eine Kombination aus XML plus Schnittstellen zu EDI-Anwendungen.

Die Idee ist durchaus attraktiv: Nicht auf die verschiedenen Software-Tools kommt es an, sondern auf die Geschäftsdaten selbst - eine Erkenntnis, die innerhalb der EDI-Welt für einen Paradigmenwechsel stehen könnte. Hier könnte auch der Schlüssel zum eigentlichen Einsparungspotential liegen, über das so kontrovers diskutiert wird.

Unterstützt werden Microsofts EC/XML-Initiativen auch von Commerce Net, einem Konsortium aus namhaften amerikanischen EC-Anhängern. Seit der XML-Entwickler-Tagung Ende letzten Jahres in Montreal demonstrierte Commerce Net sein XML-Engagement mit der Etablierung einer eigenen XML/EDI Task Force (XML/EDI Group, http://www.xmledi.net). Sie steht unter der Federführung von Bruce Peat und David Webber und verfolgt das Ziel, die Kombination aus XML und EDI zu unterstützen, zu testen und einem breiteren Publikum nahezubringen. Seither konnte der Anbieter weltweit Interessenten aus allen Industriesparten gewinnen. Der erste Eintrag im Gästebuch stammt vom WWW-Erfinder Tim Berners-Lee, den ersten ernsthaften Disput gab es mit der Netscape-Tochter Actra Business Systems.

Mit einem Techno-Mix aus XML, EDI, Templates und Agents, die auf bestimmte Wörterbücher (Dictionaries beziehungsweise Data Repositories) zugreifen, wird ein feines Räderwerk aus regelbasierenden dynamischen EDI-Prozessen erzeugt. Hinweise darauf, wie man die doch recht kryptisch anmutenden EDI-Nachrichten in der Standard Generalized Markup Language (SGML) abbilden kann, finden sich bereits 1990 in Eric van Herwijnens Klassiker "Practical SGML". Er demonstrierte, wie sich eine Edifact-Rechnung in eine SGML-Document Type Definition überführen läßt.

Am 12. Januar dieses Jahres wurde die erste Version eines XML-Standard-Formats für Handel im Internet, das Open Trading Protocol (OTP), verabschiedet. Hinter dem OTP-Konsortium stehen Firmen wie AT&T, British Telecom, Cybercash, Digicash, Fujitsu, Hewlett-Packard, IBM, Mastercard, Mondex, Sun und Verifone, auch Netscape/Actra und Oracle sind mit von der Partie. Als erster deutscher Vertreter kündigt das Informatikzentrum der Sparkassenorganisation (SIZ) eine breite Unterstützung des OTP an, das dann den gesamten Prozeß von der Produktauswahl bis hin zur Lieferung und Reklamationsmöglichkeiten abdecken soll. Die Wahl der elektronischen Zahlungsmethode wie "Cybercash", "Geldkarte", "Mondex" oder "SET" bleibt dabei jedem freigestellt. OTP könnte als Beispiel dafür dienen, wie in Zukunft Geschäftsbereiche mittels XML systemunabhängig abgebildet und zu Industriestandards etabliert werden könnten.

Definitionen

EDI = Electronic Data Interchange: Softwaregesteuerter elektronischer Austausch von standardisierten Geschäftsdaten über VAN, Punkt-zu-Punkt-Verbindung oder über das Internet (meist Web-basiertes EDI).

XML = eXtensible Markup Language: Teilmenge von SGML, sie ermöglicht es, strukturierte Dokumente über das Web zu transportieren und zu verarbeiten.

VAN = Value Added Network: meist proprietäre Netzumgebung für den Austausch von Daten in verschiedensten Formaten inklusive Konvertierung des Daten-Inputs in kundenspezifische Zielformate. Ein prominentes Beispiel ist "Swift" für weltwei-te Finanztransaktionen zwischen Kreditinstituten und anderen Teilnehmern wie Wertpapiersammelbanken und Brokern (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication).

XML-Fahrplan

Auf der XML-Conference in Seattle hat Jon Bosak, Vorsitzender der Arbeitsgruppe und Vertreter von Sun Microsystems, einen Blick in die Zukunft getan. Bereits im April soll der Entwurf für "XML Namespaces" veröffentlicht werden. Diese Funktion erlaubt es, in XML-Daten Elemente zu erkennen und Namen zuzuordnen. Als Beispiel nannte Bosak den Fall, das es zwei Tags für "Temperatur" gibt, die jeweils völlig verschiedene Informationen für unterschiedliche Objekte beinhalten und dennoch problemlos im selben Datenbestand koexistieren können.

Ferner ist die Extensible Linking Language nun offiziell in zwei Teile zerfallen: "Xlink" für Links innerhalb des XML-Dokuments und "Xpointer" für eine detailliertere Adressierung. Der Zeitplan für die Extensible Stylesheet Language (XSL) soll in den nächsten Tagen bekanntgegeben werden. Die Sprache ermöglicht, XML-Daten in HTML umzuwandeln. Befürchtungen, Microsoft könne sich künftig XML bemächtigen und mit proprietären Zusätzen versehen, wies Bosak zurück. Vielmehr glaubt er, daß die Auszeichnungssprache sich zum universellen Format für strukturierte Daten entwickelt. Demnach ist das Engagement der Gates-Company unüber- sehbar. Bereits jetzt ist XML ein fester Bestandteil der E-Commerce-Strategie. Ebenso ist XML als Verbindung zwischen COM und Corba im Gespräch.

Lucky Kuffer (Lucky.Kuffer@sueddeutsche.de) arbeitet freiberuflich als SGML-Consultant, hauptsächlich für die Süddeutsche Zeitung.