Interview mit Robert Bauer, Chef des Advanced Systems Development Lab

Xerox Parc - Einblicke in Amerikas IT-Ideenschmiede

07.01.2000
MÜNCHEN (CW) - Robert Bauer ist Mitarbeiter der ersten Stunde im Forschungs- und Entwicklungslabor Palo Alto Research Center (Parc) von Xerox. Mit dem Leiter des Advanced Systems Development Lab sprach Don Tennant von der CW-Schwesterpublikation "Computerworld Hong Kong".

CW: Den Parc-Labors haftet die Legende an, dass aus der entwickelten Technologie, beispielsweise der grafischen Benutzeroberfläche, kein Kapital geschlagen wurde.

Bauer: Wir haben viel Zeit damit verbracht, herauszufinden, warum wir bei Xerox nicht in der Lage waren, Kapital aus dieser Entwicklung zu schlagen. Der Fehler lag jedenfalls nicht bei denen, die die Benutzeroberfläche entwickelt hatten.

Als das Team nämlich von den Chefs des Parc aufgefordert wurde, Steve Jobs und seinem kleinen Team das auf Smalltalk basierende GUI vorzuführen, haben sich die Entwickler geweigert, dies zu tun. Sie sagten: "Xerox mag uns wegen Aufsässigkeit entlassen, aber es ist ein Unterschied, ob wir das System den Kunden - oder auch Steve Jobs - zeigen, die nicht viel davon verstehen, oder ob wir es den Ingenieuren zeigen, die sofort wissen, was zu tun ist, wenn sie das System gesehen haben." Doch sie wurden genötigt, es dem Team vorzuführen, denn seinerzeit hatte Xerox als Privatunternehmen bei Apple investiert und hielt einen kleinen Anteil.

Außerdem gab es jemanden in Stanford, dem Hauptsitz von Xerox, der den Chefs bei Parc aus mir unerfindlichen Gründen befahl, ihre Leute dazu zu bringen, das System vorzustellen. Ansonsten würde die Forschungsarbeit auf dem Gebiet eingestellt.

Ich erinnere mich noch an den Tag, als der "Mac II" auf den Markt kam. Auch wenn zuvor die "Lisa" ein kommerzieller Flop war - als der Mac II herauskam, kauften ihn die Leute noch am selben Tag, um ihn auszuprobieren. Der Grund für den Erfolg von Apple und Jobs liegt darin, daß sie am Ball geblieben sind, nachdem die Lisa gescheitert war. Sie haben mit ihrer Basistechnik etwas hingekriegt, was die Leute wollen und dafür bezahlen.

Fast alles, was wir bei Parc erfunden haben, war erfolgreich, hat sich aber meistens anders entwickelt als geplant. Adobe wollte beispielsweise ursprünglich nie das tun, was das Unternehmen dann tatsächlich getan hat. Diejenigen, die Synoptics und später Bay Networks aus der Taufe hoben, wollten eigentlich das optische Ethernet entwickeln. Das Projekt wurde gestoppt, weil der Markt dafür noch nicht bereit war. Statt dessen landeten sie bei Twisted-Pair-Ethernet.

CW: Das Beispiel des Satellitentelefon-Projekts Iridium zeigt, dass ambitionierte Vorhaben auch scheitern können. Was denken Sie über diesen Schnitzer, unter dem vor allem Hauptinvestor Motorola zu leiden hat?

Bauer: Vor drei Jahren war ich auf einem Seminar, bei dem der Chef von Motorola sagte, dass Iridium ein Selbstläufer sei. Das hat damals auch mich beeindruckt. Und viele Leute haben investiert. Ich denke kurzfristig und bin eher der ausführende Typ. Als ich damals von Iridium hörte, dachte ich: Hey - das ist eine große Sache, schau dir die mal näher an.

Iridium ist aber im Nachhinein ein Musterbeispiel für Ideen, die fernab vom wirklichen Markt gesponnen werden. Als ich zwei Jahre später erfuhr, daß die zu verwendenden Telefone so groß wie ein Schuhkarton sein würden, war mir klar, dass die Sache scheitern muss. Es hatte nichts mit dem Alltag der Menschen zu tun - einen echten Nutzen davon haben höchstens Leute, die in Ägypten nach Öl suchen.

Irgendwann einmal wird aber jemand Geld mit der Idee des Satellitentelefons verdienen. Es gibt eine Menge Bandbreite dort oben, und man wird herausfinden, wie sich diese nutzen lässt. Die Technik wird Fortschritte machen, die Telefone werden immer kleiner. Die Iridium-Idee wird Erfolg haben - allerdings nicht unbedingt mit Motorola.

CW: Was denken Ingenieure wie Sie über die Tatsache, dass so vieles über die finanziellen Möglichkeiten und die "schnelle Mark" gesteuert wird?

Bauer: Es gibt unglaublich viele Techniker, die die Welt verändern wollen. Wenn man damit auch noch viel Geld verdienen kann, ist das cool. Es ist auch nichts falsch daran, Geld zu machen. Letzten Endes lassen sich Techniker aber am stärksten durch die technische Herausforderung motivieren.

Deshalb können wir immer noch sehr gute Leute einstellen. Sie bewerben sich beim Parc, weil sie an Innovationen teilhaben wollen, die sowohl technisch als auch geschäftlich ausgerichtet sind. Aber wer wirklich reich werden will, kommt nicht ins Parc. Bei uns kann man die Welt verändern und hat dabei sein Auskommen. Wir arbeiten einfach sehr vielfältig.

CW: Warum haben Sie das Parc nie verlassen?

Bauer: Viele von denen, die weggingen, wurden schwer reich und hatten Erfolg. Trotzdem betrachten sie ihre Zeit im Parc als die schönste. Sie schauen immer wehmütig zurück. Obwohl man sich im Parc sicher nicht an unrealistischen Zielen orientiert, hat doch jeder die Freiheit, Dinge zu erforschen und daran vielleicht auch zu scheitern. Ich will es einmal so ausdrücken: Ich kann immer noch produktiv versuchen, Mehrwert zu erzeugen, und trotzdem Spaß dabei haben.

Die Zeiten sind allerdings im Moment hart. Die Xerox-Aktie hat seit Juli 60 Prozent verloren. Xerox versucht, sich neu erfinden, alles neu zu strukturieren, ins Netz zu gehen, zum Lösungsanbieter zu werden - das sind schwierige Probleme.

CW: Was ist heute für die Mitarbeiter des Parc spannend? Was finden die Leute aufregend?

Bauer: Parc ist ein sehr großer und uneinheitlicher Ort. Wir haben über 300 Angestellte, davon 190 Techniker. Das klingt zwar nicht nach viel, bringt aber trotzdem eine große Bandbreite an Meinungen und Interessen. Das Internet ist natürlich ein großes Ding, und auch die Art und Weise, wie wir es für uns nutzen.

Ansonsten dreht sich eigentlich alles um drei zentrale Themen. Das eine sind sogenannte "Knowledge Ecologies", die Ökosysteme des Wissens, eine großartige Idee. Es geht nicht um Knowledge-Management, sondern um eine Ökologie. Die Menschen leben in einem System. Das muß man als Ganzes sehen und erkennen, welche Kräfte alles beeinflussen. Dann gilt es die Technik zu finden, die dort hineinpasst.

Ein weiteres Thema ist "denkende Materie", eine Art Brückenschlag zwischen der physikalischen und der virtuellen Welt. Wie lässt sich das Arbeiten von Computern auf andere Dinge und Materialien übertragen? Stellen Sie sich einmal einen Drucker oder Kopierer ohne Ersatzteile vor, der sich selbst repariert. Das ist die Vision dieser Leute. Maschinen sollen sich einmal so reparieren, wie es bisher unsere Techniker getan haben.

Das dritte Thema ist das Internet oder Internet-Dienstleistungen. Wie bekommt man das Netz dahin, Probleme anzugehen? Die Menschen sollen in diesem Medium wirklich interagieren und Informationen austauschen können.

CW: Die Erfindung des Web wird Tim Berners-Lee vom CERN zugesprochen. Stimmen Sie dem zu?

Bauer: Ja, er hat es erfunden. Diejenigen, die Erfolg haben, besitzen meistens eine elegante Einfachheit in allem, was sie tun. So auch Berners-Lee. Er hat der Hypertext-Welt die Komplexität genommen, indem er zwei sehr einfache Dinge erfand - das Hypertext Transfer Protocol (HTTP) und die Hypertext Markup Language (HTML). Er hat es einfach getan. Die Menschen sahen es und waren verblüfft.

CW: Das Internet hat einen großen Rausch ausgelöst und viel verändert. Kann so etwas noch einmal in ähnlicher Form passieren?

Bauer: Das Internet entstand - rein technisch betrachtet -, weil die Infrastruktur dafür bereits vorhanden war. Dann kamen ein paar enorme Wachstumsschübe, aber auch immer wieder einschneidende Unterbrechungen. Weil das US-Militär um die Überlebensfähigkeit seiner Befehls- und Kontrollsysteme fürchtete, kam der Wunsch nach verteilten Computersystemen und Netzwerken auf. Nur deshalb wurde in den 60ern das Arpanet gegründet, ohne das es heute kein Internet gäbe. Das alles ist nicht über Nacht geschehen.

CW: Wird nun ein anderes, ähnliches Phänomen auftreten, das die Welt nochmals verändert? Oder passiert so etwas nur alle tausend Jahre einmal?

Bauer: Fragen Sie sich doch einmal selbst: Wusste irgend jemand, daß es das Internet geben würde? Ich kenne niemanden, der das vorausgesagt hätte. Kein Unternehmen war darauf eingestellt, niemand hat es vorangetrieben. Es ist einzig ein organisches Phänomen, das auf einer Technik basiert, die bereits installiert war. Wie soll ich etwas vorhersagen, was - wie das Internet beweist - nicht vorherzusehen ist?

Sicher bin ich mir nur, dass die Verbindung von Mensch und Technik im kommenden Jahrhundert das zentrale Thema sein wird. Diejenigen, die nicht wahrhaben wollen, dass es dabei ebenso um das Menschliche wie um die Technologie geht, werden verlieren. Außerdem glaube ich, dass die Globalisierung als Phänomen die größten Auswirkungen haben wird. Das wird alles verändern.

CW: Können Sie das näher umschreiben? Was genau wird sich Ihrer Meinung nach ändern?

Bauer: Wie alle großen Firmen expandieren wir weltweit. Wir haben Entwickler, die für uns in Singapur und Indien Software schreiben, und wir haben unsere eigenen Entwicklungszentren. Das wird sich immer weiter bewegen. China hat einen großen Markt und ein enormes Potenzial an Talenten.

Für die meisten ist Software etwas Geheimnisvolles, aber es ist keine Hexerei. Die Entwicklungswerkzeuge werden immer einfacher. Das wird die Fähigkeit, Anwendungen maßzuschneidern, wirklich revolutionieren. Man denkt sich etwas aus, sagt jemandem in Afrika Bescheid, und der kann das Programm schreiben. Die Entwicklungszyklen liegen inzwischen bei 24 Stunden, wenn global produziert wird.