X11-Architekturen im Vergleich mit anderen Topologien Mit X-Terminals hat der User die Zukunft besser im Griff Von Stefan Asprion

03.09.1993

Hinter der Bezeichnung X11 verbirgt sich ein Konzept, an dem nur noch reine PC-Anwender vorbeigehen koennen. In allen anderen Bereichen besteht Einigkeit, dass X11 die Gebiete User-Interface, heterogene Netzwerke und Client-Server-Architektur revolutioniert hat. Die Notwendigkeit von X11 ist unumstritten. Uneinigkeit besteht jedoch bezueglich des bevorzugten Einsatzes von Workstations, daen- beziehungsweise plattenloser Workstations, X- Terminals oder X11-emulierender PCs fuer X11-Applikationen. Im folgenden werden die einzelnen Alternativen unter besonderer Beruecksichtigung der Kosten betrachtet.

*Diplominformatiker Med. Stefan Asprion ist Vertriebsingenieur bei der GTS-GRAL Graphische Standards fuer Computersysteme GmbH, Darmstadt.

Beim Preisvergleich zwischen X-Terminals und Workstations wird meist nur der Einkaufspreis fuer die Hardware beruecksichtigt. Diese Betrachtungsweise verleitet zu der Feststellung, dass X-Terminals nicht wesentlich kostenguenstiger als plattenlose Workstations sind, doch der erste Eindruck kann taeuschen. Das Einsparungspotential durch X-Terminals waechst bei Betrachtung der Langzeitkosten, etwa fuer Wartung und Systemadministration bemerkenswert.

Eine Studie der X Business Group (The X Business Group: Cost for X-Series, Mid-Range Color Desktops; Februar 1992kam hierzu zu folgendem Ergebnis: Innerhalb von nur drei Jahren ueberschreiten die Unterhaltungskosten fuer Workstations den Anschaffungspreis bei weitem, waehrend X-Terminals, deren Anschaffungspreis von vornherein wesentlich niedriger ist, nicht einmal 60 Prozent des Anschaffungspreises fuer den Unterhalt benoetigen. Um dieses Ergebnis nachzuvollziehen, empfiehlt sich eine genaue Betrachtung der verschiedenen Architekturen.

Beim ersten Architekturbeispiel hat jeder Anwender eine eigene farbfaehige Workstation zur Verfuegung. Diese Workstation bietet dem Anwender alle noetigen Ressourcen (CPU, Platten, Bildschirm). Die Workstations in unserem Beispiel moegen zwar miteinander vernetzt sein, ein zentraler Daten-Server ist jedoch nicht vorgesehen. Jede dieser Workstations muss auch extreme Anforderungen, wie beispielsweise eine aufwendige Monatsabrechnung,bewaeltigen.

Die zweite Architektur besteht aus datenlosen Workstations mit einer minimalen Platte, die nur fuer Swapping und Betriebssystem-Komponenten genutzt wird. Bei der datenlosen Workstation ist die I/O-Komponente von der CPU und der Bildschirmausgabe getrennt. Die I/O-Komponente wird ueber das Netz durch einen zentralen Daten-Server, zu dem alle Anwender Zugang haben, bereitgestellt. Bei dieser Architektur benoetigt der zentrale Server sehr kurze Plattenzugriffszeiten fuer die Unterstuetzung der NFS-Operationen.

Plattenlose Workstations werden diesem Architekturmodell ebenfalls zugeordnet, da sie in der Regel nach kurzer Zeit mit einer Platte fuer Swapping nachgeruestet werden. Swapping ueber das Netzwerk verursacht eine inakzeptable Performance-Reduzierung.

Die dritte Architektur verwendet X-Terminals. Mit X-Terminals in Kombination mit einem zentralen Server sind sowohl die Platten wie auch die Rechenleistung zentralisiert, wo sie effektiv zugeteilt werden koennen. Nur die Benutzer-Schnittstelle, die einen leichten Zugang zu allen Rechnerressourcen des Netzes erlaubt, steht lokal zur Verfuegung. Wenn mehr Rechnerressourcen benoetigt werden, lassen sich einfach neue Systeme fuer spezielle Aufgaben in das Netz integrieren.

X-Terminals sind fuer grafische Benutzer-Schnittstellen optimiert. Auch wenn der Host gerade ausgelastet ist, reagiert das X-Terminal durch seinen lokalen Window-Manager sofort auf Benutzeraktionen.

Einen vierten Ansatz stellt die Verwendung von PCs mit einer X- Server-Emulation dar (wie beispielsweise PC-Xware von NCD). Dieses Vorgehen ist dem X-Terminalmodell aehnlich und erlaubt zusaetzlich die lokale Ausfuehrung von Windows- oder DOS-Applikationen. Damit lassen sich jedoch nicht im selben Ausmass Administrationskosten einsparen wie beim X-Terminalmodell. Beachtenswert ist weiterhin, dass die Grafikkarten und Monitore bezueglich Performance, Aufloesung und Bildschirmgroesse die Faehigkeiten von X-Terminals nicht erreichen.

Mit Wabi (Windows Application Binary Interface) von Sunsoft koennen jetzt auch MS-Windows-Applikationen auf Unix-Rechnern in Kombination mit X-Terminals ausgefuehrt werden. Daher empfiehlt sich der Einsatz von PCs mit X11-Emulation nur dann, wenn die PC- Hardware schon vorhanden ist und aus Wirtschaftlichkeitsgruenden weiterhin benutzt werden soll oder wenn der Einsatz von X11 nur gelegentlicher Natur ist.

Das primaere Ziel bei der Auswahl einer Architektur ist es, immer die Ausfuehrbarkeit bestimmter Applikationen bei akzeptabler Performance und entsprechender Ausgabequalitaet zu gewaehrleisten. Dieses Ziel soll naturgemaess mit einem Minimum an Kosten erreicht werden. Im folgenden werden elementare Aspekte fuer die Architekturauswahl betrachtet.

Das erste Modell, das auf voll ausgebauten Workstations basiert, setzt voraus, dass Rechenleistung, Hauptspeicherausbau und Plattenkapazitaet jede noch so gelegentliche, aber ressourcenintensive Anwendung abdecken kann. Diese Loesung ist aeusserst kapitalintensiv und mag bei staendigem Einsatz von aufwendigen und interaktiven Grafikapplikationen in Kombination mit entsprechender Grafikhardware seine Berechtigung haben. Bei diesem Modell sollte nicht vergessen werden, dass das Betriebssystem wie auch die Applikationen bei jeder Workstation auf dessen Platten gehalten werden muss. Manche Unternehmen befuerchten hier die Rueckkehr zur zentralisierten DV mit ihren schlechten Antwortzeiten oder haben ebenfalls unberechtigte Angst vor dem Verlust des "eigenen Rechners".

Das zweite Modell mit den platten- oder datenlosen Rechnern ist, auch wenn es einen zusaetzlichen I/O-Server benoetigt, im Beschaffungspreis kostenguenstiger. Generell stellt sich jedoch die Frage: Entspricht die Loesung wirklich dem Benoetigten? Das Modell stellt dem Anwender eine eigene CPU und das Betriebssystem zur Verfuegung ohne dabei zu beachten, dass die heute ueblichen Rechenleistungen meist durch zu langsamen Input/Output (I/O) und dies oft noch in Kombination mit einem zu geringen Speicherausbau ausgebremst werden. Die Konsequenz daraus ist entweder eine Aufruestung zu kompletten Workstations oder die Verwendung als X- Terminalersatz. Im zweiten Fall gilt es zu beruecksichtigen, dass plattenlose Workstations teurer sind und dass sie Hauptspeicher und lange Bootzeiten fuer ein nicht benoetigtes Betriebssystem beanspruchen.

Das dritte Modell basiert auf einem oder mehreren Servern zur Bereitstellung der Rechenleistungen und der I/O mit X-Terminals als Front-end fuer den Anwender. Diese Loesung ist auch ohne Beruecksichtigung von spaeteren Aufruestungskosten im Vergleich zum zweiten Modell nochmals kostenguenstiger. Sie profitiert von der reibungslosen, nicht ueber das Netz ablaufenden Zusammenarbeit von CPU und I/O. Es werden weniger MIPS pro Benutzer benoetigt, da nicht alle Benutzer zum gleichen Zeitpunkt ressourcenintensive Applikationen fahren.

Das Betriebssystem und die Applikationen auf den Platten muessen nicht mehr mehrfach gehalten werden. Der Hauptspeicherbedarf eines X-Terminals ist, da es kein Betriebssystem benoetigt, wesentlich geringer als bei plattenlosen Workstations. Werden auf einer Workstation etwa 12 MB Hauptspeicher fuer einen Benutzer benoetigt, so kann der Hauptspeicherbedarf beim parallelen Betreiben der Applikationen auf zirka 6 MB pro Anwender sinken.

Trotz alledem sollte mit dem Sparen nicht uebertrieben werden. Zur Sicherstellung der Akzeptanz sollten je nach Art der Applikationen folgende Grenzen nicht unterschritten werden: 12 bis 16 MB fuer das Betriebssystem und 1 bis 8 MB pro Benutzer, 4 MIPS fuer das Betriebssystem und 1 bis 4 MIPS pro Benutzer. Der Swap-Bereich sollte mindestens zehnmal so gross wie der einem Benutzer zugeordnete Hauptspeicherplatz sein.

Bei dem Modell der komplett ausgestatteten Workstations lohnt eine Betrachtung der Netzwerkauslastung nicht. Bezueglich der Performance ist jedoch zu beachten, dass sowohl die Applikation als auch der Window-Manager und der X-Server auf einer Workstation ablaufen. Dies kann bei kleineren Systemen schnell an die Grenzen der Leistungsfaehigkeit fuehren.

Bei platten- oder datenlosen Workstations steht die Performance oft im Zusammenhang mit der Netzbelastung; waehrend des Bootens oder des Ladens fallen beachtliche Wartezeiten an, aufgrund derer plattenlose Workstations oft schon nach kurzer Zeit zu datenlosen Workstations aufgeruestet werden. Aber auch dann noch stellt die Uebertragung grosser Datenmengen en bloc ueber eine Ethernet- Verbindung ein Problem dar.

Im Gegensatz dazu werden bei der Kommunikation zwischen dem Host und X-Terminals nur sehr kleine Pakete uebermittelt, die fuer die Burst-Uebertragung und damit fuer Ethernet-Netze sehr gut geeignet sind. X-Terminals beinhalten X-Server und, wie etwa bei NCDs X- Terminals ueblich, einen lokalen Window-Manager. Dadurch wird der Host entscheidend entlastet. Die Grafik-Performance von X- Terminals der aelteren Generation profitiert im Gegensatz zu den Workstations davon, dass der X-Server durch den Einsatz von ASICs optimiert ist.

Wartung und

Administration

Bei komplett ausgestatteten Workstations muessen sowohl die Applikationen als auch das Betriebssystem gewartet und aktualisiert werden. Zusaetzlich sind fuer jede Workstation regelmaessig Datensicherungen durchzufuehren, die eine Menge Zeit kosten. Basierend auf einer Studie eines grossen NCD-Kunden wird fuer die Betreuung eines Netzwerkes mit 20 Workstations eine volle Systemadministratorenstelle benoetigt.

Bei plattenlosen Workstations hingegen besteht der Vorteil, dass Daten zentral gewartet werden koennen. Die Betriebssysteme der datenlosen Workstations muessen jedoch weiterhin individuell betreut und konfiguriert werden. Dabei wird der Betreuungsaufwand fuer 20 datenlose Workstations auf eine halbe Administrationsstelle geschaetzt.

Die Administration eines X-Terminal-Netzwerkes gestaltet sich wenig aufwendig, da X-Terminals kein Betriebssystem besitzen und alle Anwendungen zentral gewartet werden koennen. Insbesondere bei Verwendung von X-Terminals, die systemweit oder einzeln von einem beliebigen Terminal aus konfiguriert werden koennen (Remote Configuration), lassen sich Administrationskosten reduzieren. Die Wartung und Aktualisierung aller X-Terminals des Netzes kann zentral durchgefuehrt werden. Die oben erwaehnte Studie kam zu dem Ergebnis, dass nur ein Systemadministrator fuer 100 Terminals benoetigt wird.

Eng mit den Administrationskosten verbunden sind die Ausgaben fuer Wartung, die sich bei Workstations erfahrungsgemaess staerker an der Anzahl als an der Leistungsfaehigkeit orientieren und insgesamt wesentlich hoeher liegen als fuer X-Terminals. Die Ausfallquote von X-Terminals allgemein ist ausserordentlich gering, da keine Fehler mit Platten oder Betriebssystem auftreten koennen. Die Ausfallsicherheit und eine geringere Komplexitaet der X-Server- Software gegenueber dem Betriebssystem spiegeln sich in den Wartungskosten direkt wider.

Investitionssicherheit

durch stabile Technologien

Zur Sicherung der Investition ist es von entscheidender Bedeutung, stabile und sich staendig verbessernde Technologien zu lokalisieren. X-Terminals

basieren auf Benutzer-Schnittstellen-Techniken, die sich in der letzten Zeit nicht entscheidend geaendert haben. Die Maustechnik erfuhr beispielsweise in den letzten fuenf Jahren keine Wandlung, waehrend sich die Rechenleistungen nahezu jedes Jahr verdoppelt haben und laufend groessere Platten mit schnelleren Zugriffszeiten auf dem Markt angeboten werden. Aufgrund dessen sind Workstations nach etwa zwei Jahren veraltet.

Auf Workstations basierende Architekturen lassen sich nur beschraenkt aufruesten. X-Terminals hingegen koennen weiterhin eingesetzt werden, da bei steigenden Anforderungen nur ein weiterer Server in das Netz integriert werden muss. Dies erlaubt eine graduelle Aufruestung, die bedarfsangemessen ist. Die Investitionen in X-Terminals bleiben gesichert, da ueber jedes Window ein anderer Rechner ausgenutzt werden kann.

Die Aufruestung der X-Terminals selbst ist im Vergleich zu Workstations berechenbar. Die Aufruestbarkeit ist herstellerabhaengig und wird hier nur fuer die Geraete von NCD stellvertretend betrachtet. In diesen werden fuer den Hauptspeicher Standard-SIMMs verwendet, die bei Bedarf durch 2, 4 oder 8 MB ausgetauscht werden koennen.

Fazit: X-Terminals sind sowohl bei Einkaufskosten als auch bei Administration und Wartung die preisguenstigere Loesung. Die auffallendsten Einsparungen koennen mit X-Terminals im Bereich der Langzeitkosten, also etwa bei Wartung und Administration, erreicht werden. Die Kosteneffizienz in Kombination mit guter Performance und einfacher Bedienbarkeit bei hoher Investitionssicherheit werden immer haeufiger zu einer Entscheidung fuer X-Terminals fuehren.