Microsoft hat sich schon warmgelaufen

Wunschkind der PC-Hersteller heißt Windows 3.1 und nicht OS/2

17.04.1992

SAN MATEO/MÜNCHEN (CW) - Microsoft hat im Wettbewerb mit der IBM das Feld offensichtlich schon gut bestellt: Mehr als 85 PC-Hersteller sollen sich nach Aussagen der Gates-Company verpflichtet haben, die aktuelle Windows-3.l-Version auf ihren Rechnern als Betriebssystem-Erweiterung zu installieren.

Demgegenüber scheint die IBM mit ihren Bemühungen, PC-Cloner sollten die ab April 1992 verfügbare Version 2.0 von OS/2 als Standard-Betriebssystem mit neuen PCs gleich mitliefern, nicht auf Gegenliebe zu stoßen. Zum Microsoft-Lager gehören nach Unternehmensangaben aus Redmond Schwergewichte wie DEC, AST, Zenith, Tandy und die auf den Direktvertrieb spezialisierten Packard Bell und Dell Computer. Aus dem Umfeld des Clone-Anbieters Compaq, der in dieser Liste auffälligerweise fehlt, verlautete ferner, daß sich einige Top-Manager aus Houston ernsthaft überlegen, Windows 3.1 zumindest auf einigen PCs der verschiedenen Desktop-Linien standardmäßig zu installieren.

Microsoft setzt darüber hinaus den Hebel auch noch an anderer Stelle an: So will die Marketing-Mannschaft von CEO William H. Gates III auch mit dem Festplatten- und Diskettenlaufwerk-Produzenten Seagate Technologies ins Geschäft kommen. Ziel einer auf der Windowsworld in Chicago angekündigten Kooperation soll sein, die DOS-Erweiterung auf die an PC-Hersteller ausgelieferten Festplatten aufzuspielen.

Big Blue scheint Microsoft in dem Kampf um Betriebssystem-Marktanteile nichts Gleichwertiges entgegensetzen zu können: Nach Aussagen von Tommy Steele, bei der IBM als Direktor im Personal Systems Programming Center tätig, konnte der Mainframe-Marktführer bislang lediglich den Cloner Reply Corp. aus der US-Hauptstadt Washington darauf festlegen, ihren 486-50-Megahertz-PC "486-50C" mit OS/2, Version 2.0, auszustatten.

Ansonsten erregt die IBM nach Meinung von Branchenkennern wie Jesse Berst, Herausgeber des US-amerikanischen Newsletters "Windows Watcher", vor allem im Wunschdenken Aufsehen: Dazu paßt auch, daß Steele nur vage von "einigen wohlbekannten Namen" aus der PC-Szene zu reden vermag, mit denen man "in naher Zukunft gewisse Dinge" ankündigen werde.

Dem hält Industriebeobachter Berst entgegen, daß schon auf der Herbst-Comdex PC-Systeme zu erwarten sind, die speziell für die Nutzung von Windows 3.1 optimiert seien: Neben Grafikbeschleuniger-Karten und 32-Bit-Treibersoftware prophezeit Berst Datenkompressions-Chips, die von Haus aus bereits auf der Mutterplatine aufgebracht sein werden.

Zudem hat Big Blue im Verhältnis zu Microsoft schlechte Karten geht es um die Anzahl von Windows- beziehungsweise OS/2-tauglichen PCs: Während IBM auf 140 Third-Party-Systeme

rechnen kann, reklamiert der Betriebssystem-Spezialist Kompatibilität zu 1200 verschiedenen Mikro-Konfigurationen.

Erste kritische Stimmen zu 0S/2

Wie an anderer Stelle gemeldet (siehe auch CW Nr. 15, Seite 37: "OS/2 Version 2.0 wird...") will die IBM ihr Wunschkind mit Kampfpreisen in den Markt drücken. Demonstrativ zur Schau getragener Optimismus - schon am ersten Tag der Auslieferungen seien 2000 telefonische Bestellungen für das 32-Bit-Multitasking-Betriebssystem eingegangen - scheint aber noch nicht angebracht: Wie ein IBM-Offizieller konzedierte, kam die überwiegende Mehrheit der Anrufe von Anwendern, die OS/2 in einer früheren Version installiert hatten und sich nun die kostenfreie Neuausgabe sichern wollten.

Ferner mehren sich bereits in der Anlaufphase der Markteinführung erste kritische Stimmen, die die Version 2.0 noch nicht für das Gelbe vom Ei halten: So mäkelten Kritiker an IBMs Versprechen herum, "OS/2 sei ein besseres Windows als Windows". Zumindest für die neue Windows-3.1-Version scheint dies nicht zuzutreffen.

Auch werde IBM erst in den nächsten zwölf bis 18 Monaten eine Unterstützung für Mehrprozessor-Rechner unter OS/2 anbieten. Big-Blue-Manager Steele rechtfertigte dieses Vorgehen mit dem lapidaren Hinweis, man wolle den Anwender nicht überfordern. Der habe mit der neuen Technologie in OS/2 schon genug zu tun, neue Funktionalität wolle man dem Benutzer deshalb nur häppchenweise zukommen lassen.

Bei der Entkräftigung eines wesentlichen Argumentes gegen OS/2 - es verbraucht momentan noch 28 MB Speicherplatz auf Festplatten gegenüber neun von Windows 3.1 - müssen sich die IBM-Entwickler gar Schützenhilfe von außen holen. Nach Informationen von der IBM nahestehenden Kreisen will Big Blue in Kürze eine Kooperation mit der Stac Electronics Inc. ankündigen: Danach soll die Stac-Kompressionssoftware "Stacker for OS/2" den Platzbedarf von OS/2, Version 2.0, halbieren.

Beta-Tester grämten sich auch schon darüber, daß OS/2 auch in der 2.0-Version noch nicht über eine XGA- und Super-VGA- sowie eine 32-Bit-Grafikunterstützung verfüge.