Workstation-Lösungen bieten vergleichbare Leistung für weniger Geld: Die Tage der zentralen DBMS sind gezählt

04.03.1988

HEIDELBERG (qua} - Zusehends verlieren die Mainframes im Bereich der Datenbank-Management-Systeme an Boden. Eine auf Arbeitsplatzrechnern basierende verteilte Datenbank ist etwa um den Faktor 10 kostengünstiger als ein entsprechendes Großrechnersystem - so Helmut Wilke, Geschäftsführer der Relational Technology GmbH (RT), Frankfurt, anläßlich einer Benutzerkonferenz in Heidelberg.

"Die sinkenden Umsatzzahlen im IBM-Mainframe-Markt drücken eine veränderte Einstellung der Anwender aus", meint Wilke. Insbesondere solche Unternehmen, die noch keine Großrechneranlage im Einsatz haben, ließen sich leicht vom Preisvorteil einer dezentralen Datenbanklösung überzeugen. Weniger einfach seien die RZ-Leiter zu gewinnen, die bereits mit einer großen IBM-Maschine arbeiten. "Denen gefällt es nicht, wenn jeder Enduser sein eigenes Rechenzentrum hat", mutmaßt der RT-Geschäftsführer. Folglich sieht Wilke das RT-eigene Datenbank-Management-System "Ingres" einschließlich der Dezentralisierungsoption "lngres-Star" weniger als Konkurrenz zu den Mainframe-Datenbanksystemen. "DB2 wird sich im Großrechnerbereich durchsetzen", prophezeit der RT-Manager; "also stecken wir unsere Energie besser in die Entwicklung von Gateways."

Auf Koexistenz statt Konkurrenz setzt RT auch im PC-Bereich. Dort sei der Markt ähnlich eng, denn gegen die Präsenz von Dbase komme faktisch niemand mehr an.

Nichtsdestoweniger wird laut Wilke an einer OS/2-Version von Ingres gearbeitet. Offensichtlich haben die RT-Manager diesen Schritt allerdings nur halbherzig unternommen: Nicholas Birtles, Europachef der in Alameda/Kalifornien, beheimateten Relational Technology Inc., spekuliert, daß viele Anwender von MS-DOS direkt auf Unix wechseln werden. "Sie überlegen sich, ob sie einen weiteren Herstellerstandard übernehmen und damit erneut eingesperrt werden wollen."

35 Prozent vom Umsatz des eigenen Unternehmens, so vermuten die RT-Sprecher, werden im laufenden Kalenderjahr auf das Unix-Konto gehen. Wilke weiß zu berichten, daß auch Digital Equipment mit Ultrix mittlerweile ein größeres Geschäft mache als mit VMS. "Der Niedergang von MS-DOS wird einen Schub für Unix bewirken", orakelt der Geschäftsführer.

In Heidelberg wurde auch eine neue Ingres-Version vorgestellt, deren offizielles Announcement für das CeBIT geplant ist. Ingres 6.0 baut nach Herstellerangaben auf einer Multi-Server-Architektur auf. Die Datenformate wurden dem AINSISQL-Standard angepaßt; außerdem sei mit der neuen Ausführung ein Online-Recovery möglich.

Während der Konferenz wurde Kritik an der unzureichenden Dokumentation und den allzu knappen Fehlermeldungen von Ingres laut. Wilke dazu: "Wir haben drei Viertel der Fehlermeldungen für die Version 6.0 überarbeitet." Ingres-Star ist in der neuen Ausführung vorläufig noch nicht verfügbar.

Die fehlende Multi-Window-Umgebung ist eine weitere Schwachstelle, die von Anwenderseite bemängelt wurde. Um hier Abhilfe zu schaffen, kooperiert RT seit drei Monaten mit Sun Microsystems. Anfang des nächsten Jahres soll eine auf dem Produkt "Simplify" und auf dem X/Window-Standard basierende Fensterumgebung für Ingres marktreif sein. Zunächst soll sie nur auf Sun-Maschinen lauffähig sein, ist aber langfristig für den Einsatz an allen Ingres-Arbeitsplätzen bestimmt.

Die Benutzerkonferenz war zudem auch die Gründungsversammlung einer deutschen Ingres-User-Group. Das Instrument der Anwendervereinigung dient Wilke zufolge gleichzeitig als Medium der Veröffentlichung von Herstellerankündigungen und als Input-Quelle für künftige Produktverbesserungen.