Workflow-Loesungen sind in den USA besonders gefordert Amerikaner setzen auf das Produkt-Daten-Management

14.10.1994

Von Markus Gyssler*

Waehrend sich Europa derzeit noch auf das Engineering Data Management (EDM) konzentriert, das kuenftig den unternehmensweiten Informationsfluss steuern soll, lautet in den USA das Schlagwort der neunziger Jahre Product Data Management (PDM). Die amerikanischen Unternehmen verfolgen dabei einen Ansatz, der weit ueber die Funktionalitaet konventioneller EDM-Systeme hinausgeht.

In den USA wird EDM, das ausschliesslich zur Verwaltung der technischen Daten dient, grundsaetzlich als Teil des PDM angesehen. PDM stellt dagegen das Management aller mit einem Produkt zusammenhaengenden Informationen dar, nicht nur im Konstruktions- und Produktionsprozess, sondern darueber hinaus auch im Vertrieb, Service und Marketing.

Ed Miller, President der CIM Data Inc., teilt den PDM-Markt bezueglich der Systemanbieter in vier Bereiche ein. Die Hersteller von CAD-Loesungen bieten schon seit geraumer Zeit die Moeglichkeit, ihre Software durch Daten-Management-Module zu erweitern. Diese Add-ons sind naturgemaess sehr gut in die CAD-Software integriert, meist jedoch im Funktionsumfang auf die Beduerfnisse der Konstruktionsabteilungen beschraenkt. Zudem machen die in sich geschlossenen Loesungen eine einheitliche Datenverwaltung ueber unterschiedliche CAD-Systeme hinweg oftmals unmoeglich. Deshalb sind diese Module eher als Einstieg in die Zeichnungs- und Konstruktionsdatenverwaltung zu verstehen und koennen nur unter bestimmten Voraussetzungen (CAD-System, Plattform etc.) die Basis fuer eine abteilungsuebergreifende Informationsverarbeitung bilden.

Wie in Deutschland hat sich auch in den USA eine Vielzahl kleinerer Softwarehaeuser vollstaendig dem Thema PDM verschrieben. Diese Anbieter koennen ihre Daten-Management-Programme aufgrund des vergleichsweise geringen Entwicklungspotentials nur fuer bestimmte CAD-Systeme und Plattformen anbieten. Da heutzutage jedoch kaum eines der groesseren Anwenderunternehmen mit einem einzigen CAD- System oder einer vollstaendig homogenen Rechnerumgebung arbeitet, faellt die unternehmensweite Integration solcher Produkte oft schwer.

Die dritte Gruppe bilden die grossen Hardwarehersteller, die ebenfalls vom zukunftstraechtigen PDM-Markt partizipieren wollen. Einige dieser Firmen haben dafuer einen Rahmen entwickelt, in den unterschiedliche Softwareprodukte anderer Hersteller eingepasst werden. So wird in bestimmten Bereichen Expertenwissen eingekauft und in ein flexibles System integriert. Die Anbieter koennen schnell auf unterschiedliche Kundenanforderungen reagieren und bieten ohne lange Entwicklungszeiten qualitativ hochwertige Softwarebausteine an. Die Beschraenkung auf bestimmte Hardware- oder Softwareplattformen kann allerdings dadurch auch nicht behoben werden.

Die Gruppe mit den wahrscheinlich besten Zukunftsaussichten bilden die Anbieter von Document-Management-Systemen (DMS). Softwareprodukte dieser Kategorie bieten bereits die Moeglichkeit, unterschiedliche Arten von Dokumenten zu verarbeiten und beispielsweise Workflow-Strukturen zu definieren. Die Erweiterung dieser Loesungen, entsprechend den Anforderungen eines PDM-Systems, etwa beim Stuecklisten-Management, wird im allgemeinen als Garant fuer interessante Alternativen zum jetzigen Angebot gewertet.

Eine andere Gruppe, die eng mit der PDM-Technologie verbunden ist, stellen die Systemintegratoren dar. Unternehmen wie Andersen Consulting, Price Waterhouse oder EDS bieten zwar selbst keine PDM-Systeme an, beraten und unterstuetzen jedoch bei der Implementierung groesserer Installationen. Weiterhin sieht CIM Data die Moeglichkeit, dass Anbieter von MRP-Systemen (Manufacturing Resource Planning) ueber die naechsten Jahre hinweg im PDM-Markt aktiv werden koennen, sei es mit eigenen Entwicklungen oder ueber Partnerschaften mit etablierten PDM-Anbietern.

Die Anforderungen an die Informationssysteme entsprechen ganz dem Wunsch nach einer Bereitstellung saemtlichen gespeicherten Wissens ueber alle Unternehmensbereiche hinweg. Obwohl dies natuerlich auch in Deutschland oberstes Ziel ist, sind doch Unterschiede bezueglich der Annaeherung an diese Integration zu erkennen. Die Hoffnung auf den Einstieg der DMS-Anbieter in den PDM-Markt verwundert nicht, wenn man den Einsatz der Verwaltungssysteme in den USA naeher betrachtet. Viele Unternehmen legen nach wie vor grosses Gewicht auf ein durchgaengiges Dokumenten-Management - und dies nicht nur fuer bestimmte Dokumententypen oder bestimmte Abteilungen. Unterschiedliche Anwendungen sorgen, in ein Gesamtsystem integriert, fuer die Bearbeitung saemtlicher Dokumente - ein Ansatz, der auch von einigen deutschen Anbietern verfolgt wird und durch seine Offenheit gute Chancen besitzt, die Grundlage zukuenftiger PDM-Systeme zu bilden.

Neben der reinen Dokumentenverwaltung liegt die Prioritaet der US- Anwender jedoch auf dem Workflow-Management. Gemaess den teamorientierten Arbeitsweisen wird der zeitlich und inhaltlich korrekten Weitergabe von Informationen an bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb des Unternehmens ein hoher Stellenwert beigemessen. Wechselnde Unternehmensstrukturen und Verantwortungsbereiche sowie haeufige personelle Umsetzungen in den amerikanischen Firmen haben dafuer gesorgt, dass die Anforderungen an die Flexibilitaet der Workflow-Module sehr hoch gesteckt sind.

Verschiedene Sichtweisen auf Produktstrukturen

Eine dritte Forderung des US-Markts betrifft die Bills of Material (BOM) - die Stuecklisten. Ueber BOMs wird die Abbildung kompletter Produktstrukturen realisiert. Verschiedene Abteilungen innerhalb eines Unternehmens muessen in der Lage sein, durch unterschiedliche Sichtweisen auf eine Produktstruktur die fuer sie kritischen Informationen zu erhalten. Das bedeutet, dass Stuecklistenmodule eine Vielzahl unterschiedlichster Aufloesungen und Auswertungen abdecken muessen.

Anwendungsbereiche wie Klassifikation und Sachmerkmalleisten, in Deutschland die Hauptpunkte einer jeden Systemdemonstration, sind in den USA weit weniger verbreitet. Dies hat seinen Grund in der Tatsache, dass amerikanische Firmen intensiver nach Moeglichkeiten suchen, durch PDM-Systeme unterschiedliche Unternehmensbereiche zu verbinden. Sicher werden Sachmerkmalleisten auch Einzug in die amerikanischen Unternehmen halten, nicht aber als Bindeglied oder Basis in unternehmensweiten Informationssystemen, sondern als spezielle Werkzeuge in ausgewaehlten Abteilungen.

In den USA gehen die Unternehmen oft den klassischen Weg der dokumentenbasierten PDM-Implementierung. Die Prioritaet wird dabei von vornherein auf das Handling saemtlicher im Unternehmen anfallenden Dokumente gelegt. Hier wird der Unterschied zu deutschen Firmen deutlich, die meist mit der Verwaltung von Konstruktionsdaten beginnen. Im naechsten Schritt folgt bei den Amerikanern die Definition von Strukturen und Prozessen, die fuer eine geordnete Weitergabe der Dokumente erforderlich sind.

Barry Brown, PDM-Manager bei Visionary Design Systems in Sunnyvale, Kalifornien, taxiert den Anteil des PDM-Systems am Gesamterfolg eines Unternehmens auf rund 30 Prozent. Die vorbereitenden Taetigkeiten und Analysen fuehren nicht selten zu Umstrukturierungen innerhalb des Unternehmens im Vorfeld des PDM- Einsatzes.

Systeme profitieren von jeder Neuinstallation

Betrachtet man die Werbeanzeigen einiger Hersteller, so entsteht der Eindruck, dass PDM voellig problemlos funktioniert. Dies ist natuerlich nicht der Fall, denn ein System von der Stange kann es nicht geben. Neue Installationen werfen immer wieder neue Probleme auf, von deren Loesung die Produkte selbst allerdings profitieren. So stellt die Integration der bereits in den Unternehmen vorhandenen Software eine grosse Huerde dar, denn vielen Applikationen fehlt es an der noetigen Offenheit. Somit bleibt nur der Weg ueber individuelle Schnittstellen, oftmals auf Dateiebene.

Aber auch bezueglich ihrer Funktionalitaet sind die PDM-Systeme keineswegs vollkommen. So ist beispielsweise die vollstaendige Unterstuetzung unternehmensweit verteilter Daten heute noch ein Wunschtraum. Hinsichtlich der Plattformen sind die Produkte fast ausschliesslich auf Unix und VMS beschraenkt. Diese Limitierung, entstanden durch die Herkunft der PDM-Systeme aus technischen Abteilungen, muss behoben werden, denn fuer die Implementierung der Informationstechnologie in allen Abteilungen eines Unternehmens ist der Einsatz auf PC- und Macintosh-Systemen unumgaenglich.

Auch in den USA ist das Geschaeft mit PDM beziehungsweise EDM noch nicht so richtig ins Rollen gekommen, obwohl die Unternehmen erkannt haben, dass ein computergestuetztes Informations-Management die unabdingbare Voraussetzung fuer die Anerkennung nach dem ISO- 9000-Standard ist. Spektakulaere Abschluesse wie etwa Sherpas 15- Millionen-Dollar-Installation bei Hughes Aircraft Co. sind die Ausnahme. Im Rahmen dieser Implementierung werden bis 1997 rund 20000 Online-Benutzer mit mehr als 50 Installationen in einer ATM- Umgebung (Asynchronous Transfer Mode, 150 Mbit/sec) arbeiten.

Doch Wunschdenken und Angebot driften zu oft noch auseinander, so dass auch in den USA gilt: Unternehmen, die das universelle Informations-Management-System suchen, werden noch einige Jahre warten muessen. In dieser Hinsicht ist der Unterschied zu Deutschland wieder ganz klein.