IT in der Energiewirtschaft/Mit Lotus Notes/Domino R/3-Dialoge umgangen

Workflow als Plattform für Kommunikationslösungen

15.01.1999
Mit einer Workflow-Lösung auf Basis von Lotus Notes/Domino hat der Stromversorger Energie Aktiengesellschaft Mitteldeutschland den Bereich Materialwirtschaft optimiert. Im Vordergrund stehen dabei effektivere Abläufe und, damit verbunden, die Schaffung neuer Ressourcen. Uwe Brandenstein berichtet über sein Projekt.

Die Deregulierung im Strommarkt bringt für die Versorgungsunternehmen zahlreiche neue Anforderungen mit sich. Während sie über Jahrzehnte weitgehend in geschlossenen Gebieten agierten, müssen sie künftig nicht nur mit Konkurrenten rechnen, sondern sind beispielsweise auch verpflichtet, Leitungswege zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug können sie ebenfalls in anderen Versorgungsgebieten als Stromanbieter tätig werden. Was derzeit nur Großkunden wahrnehmen, wird bald schon private Haushalte betreffen: Man kann sich seinen Stromlieferanten aussuchen, und der wird mit flexiblen Tarifen und individuellen Verträgen ein differenziertes Angebot erstellen.

Wo ein Stromanbieter sich bislang seiner Kunden sicher sein konnte, muß er sich also künftig der Konkurrenz stellen und dieser Entwicklung intern durch Effektivierung der Betriebsabläufe und Änderung der Kostenstrukturen begegnen. Nur auf dieser Grundlage lassen sich dann attraktive, wettbewerbswirksame Tarife gestalten.

Auf diese Entwicklung muß die DV-Technik eines Stromanbieters ebenfalls vorbereitet sein; sie muß unter anderem das Tarif- und Vertragswerk durch entsprechende Abrechnungsmodalitäten ergänzen und so auch in diesem Bereich die erforderliche Flexibilität garantieren. Aber die Neuausrichtung der DV beschränkt sich nicht auf die klassischen Einsatzgebiete. So spielt für die Kasseler EAM auch die Neustrukturierung der Unternehmenskommunikation eine wichtige Rolle; hier kommt mit Lotus Notes seit etwa zwei Jahren eine neue Software-Generation zum Einsatz, die unter Mainframe- Bedingungen nicht denkbar war.

Suchte die EAM anfangs ein Mailing-System, das die rudimentären Mail-Funktionen der Mainframe-Systeme ablösen sollte, so wurde bald klar, daß man mit einem reinen E-Mail-System wertvolle Möglichkeiten verschenken würde. Für die EAM stellte sich daher die Frage, wofür sich eine derartige Software zusätzlich einsetzen ließe. Da sie wesentlich mehr kann, wäre sie für eine reine Mailing-Lösung überdimensioniert gewesen. Heute stellt Lotus Notes/Domino für die EAM eine breite Anwender-Schnittstelle für Applikationen dar, also eine Plattform für spezifische Kommunikationslösungen.

Zu diesen Applikationen gehört, neben Helpdesk und Benutzerservice für die DV-Anwender der EAM, eine umfangreiche Workflow-Lösung für die internen Warenanforderungen, die die Schnittstelle der Materialwirtschaft zu den einzelnen Fachbereichen darstellt.

Dies ist bei der EAM ein sehr umfangreicher Bereich, der so unterschiedliche Materialien wie Kabel, Strommasten, Transformatoren, aber auch Schreibtische und Büromaterial umfaßt.

Bestandsführung und Beschaffung erfolgen mit R/3. Es wurde aber festgestellt, daß R/3 sich in erster Linie für Mitarbeiter eignet, die sich relativ intensiv damit beschäftigen. Nicht jeder, der in der EAM Material benötigt, verfügt aber auch über intensive DV- Erfahrung. Einem Mitarbeiter der Baukolonne, der Material abrufen will, kann man nicht zumuten, R/3-Dialoge zu bedienen.

Warenanforderung wurde einfacher

Das Missing-Link zwischen Enduser und R/3 bildet bei der EAM Lotus Notes/Domino. Damit ist eine Warenanforderung einfach geworden: Aus einem detaillierten Warenkatalog werden die jeweiligen Materialien ausgewählt, wobei Informationen über Warengruppen, verfügbare Mengen, Preise etc. aus R/3 zugespielt werden. Anschließend wird die Warenanforderung kontiert und den diversen Budgets zugewiesen, wobei die Budgetprüfung gleich innerhalb von Notes erfolgt. Auch dazu werden die Daten automatisch aus R/3 abgerufen. Dabei wird geprüft, inwieweit die Budgets ausreichen, wer jeweils die Budgetverantwortung trägt, wer berechtigt ist, die Anforderung freizuzeichnen, ob Limits überschritten sind, die eine Gegenzeichnung erforderlich machen, etc.

Jeden Schritt dieses detaillierten Workflows steuert und kontrolliert Lotus Notes, bis schließlich, nach der endgültigen Freizeichnung, die Anforderung zur Ausführung an die Materialwirtschaft in R/3 übergeben wird. Hier werden bestandsgeführte Waren reserviert; bei nicht bestandsgeführten gibt das System eine Bestellanforderung an die Abteilung Einkauf weiter. Für Waren, bei denen entsprechende Rahmenvereinbarungen mit Lieferanten bestehen, reicht der Workflow bis zu einer automatischen Direktbestellung aus dem R/3-System: Ohne manuellen Eingriff der Materialwirtschaft geht ein Bestellvorgang im Idealfall direkt über den Fax-Server zum Lieferanten.

Zu diesem Vorgang kommen noch die jeweiligen Vertretungsregelungen für Urlaub und Krankheit hinzu. Diese sind komplett in Lotus Notes implementiert und damit für die Anwender vollständig transparent: Die Struktur des Workflows nicht kümmern, Notes filtert die Informationen und bündelt die für den aktuellen Arbeitsschritt gerade relevanten Funktionen.

Pro Jahr wickelt die EAM mit diesem System etwa 20000 Beschaffungsfälle ab. Mehrere hundert Mitarbeiter arbeiten damit, einige nur ein paarmal im Jahr, andere täglich, wobei die Anwendung so gebaut sein muß, daß beide gut damit umgehen können.

Die Vorteile einer solchen Lösung sieht die EAM nicht in erster Linie in der Einsparung von Arbeitszeit: Ein Besteller muß im Grunde wie vorher die Bestellung ausfüllen. Aber er kann nun feststellen, ob und wo sich seine Anforderungen im Workflow befinden, ob beispielsweise eine Freigabe nicht erfolgen kann oder eine Bestellung bereits automatisch ausgelöst wurde. Was hier optimiert wurde, sind die Kommunikationsvorgänge selbst: Anforderungen werden nicht mehr tagelang transportiert und dann erst einmal abgelegt. Die erreichte Zeiteinsparung entsteht zwischen Auslösung und Verarbeitung einer Anforderung, also durch optimierte Abläufe. Daneben ergeben sich aber auch direkte Einsparungen an Arbeitszeit, weil die Vorgänge nicht mehr separat archiviert und dokumentiert werden müssen; das erledigt Lotus Notes automatisch.

Optimierung der Abläufe und Integration, vor allem in das R/3- System, sind die wesentlichen Beiträge dieses Anwendungsbereichs zur Bewältigung der neuen Herausforderungen. Optimiert anbieten heißt für die EAM immer auch, über eine optimierte DV zu verfügen.

ANGEKLICKT

Den meisten Mitarbeitern der EAM ist nicht zuzumuten, R/3 zu beherrschen. Da aber Beschaffung und Bestandsführung mit R/3 erfolgen, wurde zur Erhöhung der Benutzerfreundlichkeit Lotus Notes/Domino als Bindeglied integriert. Kontierung und Budgetprüfung erfolgen gleich innerhalb von Notes, wozu Daten aus R/3 abgerufen werden.

Der Workflow

Die Steuerung und Kontrolle einzelner Arbeitsschritte per Software, wie sie von Workflow-Systemen vorgenommen werden, funktioniert am besten da, wo es sich um strukturierbare Vorgänge handelt. Wenn ein Workflow-System, beispielsweise auf Basis von Lotus Notes, dafür sorgt, daß vorgeschriebene Arbeitsvorgänge in der richtigen Reihenfolge von bestimmten Mitarbeitern durchgeführt werden, müssen sich diese nicht mehr um Koordination und Kontrolle kümmern, sondern können sich statt dessen mehr ihren eigentlichen Aufgaben widmen.

Im Grunde gibt es zwei Arten von Workflow-Systemen: Datenbank- und Messaging-orientierte wie Lotus Notes/Domino. Letztere machen sich die Tatsache zunutze, daß die Aufgaben in kommerziellen und verwaltenden Tätigkeiten in aller Regel aus Dokumenten bestehen, und machen aus diesen Dokumenten Nachrichten, die sie in streng vordefinierten Abfolgen zu den einzelnen Bearbeitern leiten. Diese finden ihre nächste Aufgabe ähnlich einer E-Mail in ihrer Notes- Umgebung vor, erledigen sie mit den jeweiligen Werkzeugen und geben sie weiter - wohin, in welchem Zeitraum oder mit welchen Bestandteilen, das überwacht alles die Workflow-Anwendung. Dabei müssen immer auch umfangreiche Ausnahme- oder Vertretungsregeln berücksichtigt werden. Die Zugriffssteuerung sorgt dafür, daß jeder nur mit dem Ausschnitt befaßt ist, für den er zuständig ist. Da Lotus Notes auch mehrere Versionen eines Dokuments verwalten und Änderungen, die nicht miteinander in Konflikt stehen, zusammenführen kann, ist es in einem derartigen System auch möglich, einen großen Teil der Tätigkeiten als parallele Vorgänge zu verwalten.

Lotus Notes kann auch mit unsicheren, nur sporadisch verfügbaren Kommunikationsverbindungen umgehen. Zudem schafft die Replikation eine gute Möglichkeit, auch Offline-Bearbeiter, sogar aus verschiedenen Zeitzonen, in Workflow-Prozesse zu integrieren. Die Verschlüsselungs- und Authentisierungsverfahren, die in Lotus Notes verwendet werden, entsprechen den Anforderungen des US- Verteidigungsministeriums.

DV-Landschaft der EAM

Aus einer klassischen Mainframe-Landschaft mit selbstentwickelter Software für Materialwirtschaft sowie R/2 für Buchhaltungsaufgaben begann die EAM ab Ende der 80er Jahre verstärkt auch Desktop- Rechner einzusetzen. Neue Anforderungen wie leistungsfähiges Mailing, Kalkulation oder Textverarbeitung verdrängten Speicherschreibmaschinen und klassische Terminals. Heute betreibt die EAM etwa 450 PCs und 350 plattenlose Terminals, die wie PCs verwendet werden, die sich vor allem für Standardanwendungen eignen. An allen Desktop-Systemen wird Lotus Notes als universelle Kommunikationslösung eingesetzt. 1997 arbeitete die EAM unternehmensweit mit Windows NT. SAP R/3 MM wird in Verbindung mit einer Oracle-Datenbank betrieben; bis zum Jahrtausendwechsel sollen auch die verbliebenen R/2-Systeme abgelöst werden.

Die EAM

Als regionales Energieversorgungsunternehmen wurde die Energie Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM) 1929 durch einen Zusammenschluß kommunaler Stromversorger gegründet und befindet sich heute im Besitz von zwölf Landkreisen in Hessen, Südniedersachsen, Ostwestfalen und Thüringen, der Stadt Göttingen und der Preussen Elektra. Das Versorgungsgebiet des Unternehmens erstreckt sich heute über 12000 Quadratkilometer in Hessen, Niedersachsen und Thüringen, wo rund 700000 Stromkunden aus dem Netz der EAM beliefert werden. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Kassel beschäftigt 1500 Mitarbeiter und erzeugte 1996 in eigenen Kraftwerken mehr als 45 Gigawattstunden Strom. Der Jahresumsatz der EAM belief sich 1997 auf 1,7 Milliarden Mark.

Uwe Brandenstein ist Leiter des Projekts Warenanforderung bei der EAM in Kassel.